Als Christopher Nolan und David S. Goyer am Drehbuch zu „The Dark Knight Rises“ arbeiteten, liefen sie vor eine Wand: Schreibblockade! Um wieder in Gang zu kommen, diskutierten sie zum Spaß Ideen für einen Superman-Film. Daraus wurde schnell Ernst, sie entwarfen eine Story und stellten sie den Bossen bei Warner vor. Die waren sofort begeistert und gaben ein komplettes Drehbuch in Auftrag. Als das fertig war, soll Nolan, der nicht selbst Regie führen wollte, mit dem Skript namens „Man Of Steel“ im Gepäck zum Kollegen Zack Snyder gefahren sein und geduldig in der Auffahrt gewartet haben, während der Macher von „300“ und „Watchmen“ das Buch gelesen hat. Es folgte die erste Zusammenarbeit der zwei gegensätzlichen Künstler: Christopher Nolan, der mit seiner „Dark Knight“-Trilogie ernste Comic-Adaptionen salonfähig machte und für viele Fans seitdem als Gralsbringer des Genres gilt, nimmt hier die Produzentenrolle ein. Er steht für einen „realistischen“ Ansatz und dick unterstrichene Aussagen, während sein Regisseur Zack Snyder ein Meister der Überstilisierung ist, der keine Probleme damit hat, dass Filme wie „Sucker Punch“ oft missverstanden werden, weil die inhaltliche Botschaft gelegentlich hinter den Bildern verschwindet. In „Man Of Steel“ sind diese Seiten beide deutlich wiederzuerkennen, Nolansche Ernsthaftigkeit und Snyderscher Stilwillen ergänzen sich zu einem vor allem in der zweiten Hälfte bombastischen Action-Spektakel, dem die Leichtigkeit früherer „Superman“-Filme vollkommen fehlt.
Während eines militärischen Putsches auf dem vom Untergang bedrohten Planeten Krypton beschließt der Wissenschaftler Jor-El (Russell Crowe) seinen neugeborenen Sohn Kal-El in einer Raumkapsel gen Erde zu schicken – er hofft so, das Überleben seiner Spezies sicherstellen zu können. Gut 30 Jahre später lebt Kal-El unter dem Namen Clark Kent (Henry Cavill) unentdeckt unter den Menschen in Kansas. Von seinem Adoptivvater Jonathan (Kevin Costner) weiß Clark, der übermenschliche Kräfte besitzt, dass er nicht von dieser Welt ist, aber er ahnt nicht, woher er wirklich kommt. Auf der Suche nach seiner wahren Identität findet er im Eis Kanadas schließlich ein Raumschiff, das bereits vom Militär untersucht wird. Dort erklärt ihm eine Projektion seines Vaters seine Herkunft und zeigt ihm eine mögliche Zukunft als Held für die Menschheit auf. Dabei wird er von der toughen Reporterin Lois Lane (Amy Adams) beobachtet, die schließlich auch seine Kräfte in Aktion sieht. Unterdessen wird durch Clarks Aktivierung des Raumschiffs auch Unheil heraufbeschworen. Der Kryptonier General Zod (Michael Shannon), der nach seinem gescheiterten Putschversuch inhaftiert war und seit der Zerstörung seines Heimatplaneten mit seiner Crew durchs All streift, findet über das Signal des alten Schiffs die Erde. Er weiß, dass Kal-El von seinem Vater den Schlüssel zur Neubildung der kryptonischen Rasse mitbekommen hat und fordert von der Menschheit nun dessen Auslieferung…
„Man Of Steel“ beginnt mit einer Geburt… einer schweren Geburt. Lara Lor-Van (Ayelet Zurer) presst und presst, es ist riesige Anstrengung, bis ihr Mann Jor-El endlich den Säugling Kal-El im Arm hält. Obwohl diese intensive Szene in den Tiefen des Alls stattfindet, wird der Film hier gleich am Anfang geerdet, denn schon hier deutet sich an, dass „Man Of Steel“ keine abgehoben-künstliche Superhelden-Fantasie sein soll, sondern ernst und durchaus düster. Der wilde, dann folgende Eröffnungsritt quer über den Planeten Krypton wiederum ist ein Augenschmaus bei dem gleich die typischen Stärken von Zack Snyder zum Tragen kommen - mit der dynamischen Darstellung der von gigantischen „Tier-Monstern“ und riesigen Flugvögeln bevölkerten Welt könnte sich Snyder für einen „Star Wars“-Regieposten bewerben. So beeindruckend und actionreich diese Auftaktminuten sind, erfahren wir nebenbei trotzdem alles, was wir über diese faszinierende fremde Welt wissen müssen. Wenn Russell Crowe (ein charismatischer Jor-El selbst später als hologrammartiges Phantom) in ein Meer voller „geburtsbereiter“ Babys taucht, ist das nicht nur ein atemberaubendes Bild, sondern auch der elegante Hinweis auf das „alternative“ Fortpflanzungsmodell auf Krypton. Auch die Einführung der beiden Gegenspieler Jor-El und Zod ist von bewundernswert effizienter Knappheit.
Dass die Laufzeit von „Man Of Steel“ trotz der anfänglichen Schnörkellosigkeit satte 140 Minuten beträgt, liegt zum einen an den monumentalen Action- und Kampfszenen der zweiten Filmhälfte, zum anderen aber auch daran, dass das Autorenteam Nolan und Goyer wie schon in „The Dark Knight Rises“ einen Hang zur Wiederholung und zur Überdeutlichkeit zeigt. Das erste Aufeinandertreffen zwischen dem erwachsenen Clark/Kar-El und seinem leiblichen Vater etwa wird im Wesentlichen dazu genutzt, noch einmal alles durchzukauen, was wir aus dem Prolog schon kennen. Statt dem Publikum etwas Freiraum für eigene Vorstellungen zu lassen, wird fast jedes Handlungsdetail haarklein erklärt. Das erleichtert den Zuschauern, die in ihrem Leben noch nie eine „Superman“-Geschichte gesehen oder gelesen haben, womöglich das Verständnis, aber zuweilen wirkt es auch ein wenig pedantisch und führt dazu, dass einige Szenen unnötig in die Länge gezogen werden. So scheint beispielsweise die später eingeführte Figur der Soldatin Carrie Farris (Christina Wren) einzig dem Zweck zu dienen, durch insistierendes Nachfragen für in jenem Moment längst überflüssig gewordene ausführlichere Erklärungen zu sorgen.
Der Erzählrhythmus ist also bisweilen etwas holprig, aber visuell ist „Man Of Steel“ ein Film wie aus einem Guss. Obwohl früh entschieden wurde, dass das Werk in 3D in die Kinos kommen soll, entschied sich Zack Snyder dazu, mit handlicheren und beweglicheren 2D-Kameras zu drehen – erst im Anschluss wurde eine (im Übrigen gut gelungene) Konvertierung durchgeführt. Wenn sich Handkamera-Faustkämpfe zu computergenerierten Zerstörungsorgien auswachsen, ist „Man Of Steel“ fast so etwas wie eine Mischung aus „Transformers“ und den „Bourne“-Filmen – aber ungleich gigantischer. Snyder bietet uns ein episches Action-Spektakel mit einem unverwechselbaren Look und von unerhörten Ausmaßen. So legen der Titelheld und sein ebenfalls stahlharter Widersacher General Zod beim ausdauernden Zweikampf nicht nur die Kleinstadt Smallville, sondern auch das große Metropolis/New York in Schutt und Asche – dabei wird die Auseinandersetzung durch die grauen Bilder von Kameramann Amir Mokri („Transformers 3“), die kakophonische Tonkulisse und die beängstigend überzeugenden Spezialeffekte erst so richtig grimmig – und dazu dröhnt die martialisch-bombastische Filmmusik im typischen Hans-Zimmer-Sound.
Auf den ausführlichen Einsatz von Zeitlupen, der in der Vergangenheit zu einem seiner Markenzeichen geworden ist, verzichtet Zack Snyder dieses Mal, dennoch ist seine inszenatorische Handschrift unverkennbar. Schon im Director’s Cut von „Sucker Punch“ und in „Watchmen“ zeigte er sein Talent für die ruhigen Augenblicke inmitten eines Effektgewitters und auch hier baut er selbst in die größten und lautesten Actionsequenzen noch kleine intime Momente des Innehaltens ein. Dadurch erreicht er oft eine ungeahnte emotionale Resonanz, sogar die Konfrontation zweier nicht gerade feingezeichneter Nebenfiguren wie Colonel Nathan Hardy (Christopher Meloni) und Zods rechter Hand Faora-Ul (Antje Traue) bekommt so einen zusätzlichen Punch. In nachdrücklicher Erinnerung bleibt die Szene, in der Lois Lane und Clark Kent das erste Mal aufeinandertreffen: Sie ist schwer verletzt, er aber heilt ihre Bauchwunde mit seinem Hitzeblick – ein fast schon erotisches „erstes Mal“ (Snyder deutet zudem später an, dass Clark noch nie zuvor einer Frau ähnlich nahe gekommen war).
Ruhigere Einschübe wie diese einzige im weiteren Sinne romantische Begegnung zwischen Clark und Lois bewahren den Film vor dem manchmal nicht mehr allzu fernen Action-Overkill. Geschickt werden zur Entschleunigung gerade im ersten Drittel Rückblenden in Clarks Kindheit genutzt, die zudem die inneren Konflikte des entwurzelten Kryptoniers verdeutlichen. Dass mit Kevin Costner („Der mit dem Wolf tanzt“) und Diane Lane („Untreu“) zwei renommierte Charakterdarsteller für die Rollen von Clarks Adoptiveltern gewonnen wurden, erweist sich dabei als Glücksfall. Costner fungiert als das moralische Leitbild des künftigen Helden, mit prägnanten Worten und vor allem kleinen Gesten gibt er ihm die Richtung vor. Die stärkste Szene gehört aber trotzdem Diane Lane, die den gerade einmal neun Jahre alten Clark (Cooper Timberline), dem seine überirdischen Fähigkeiten unheimlich sind und dem die Welt im wahrsten Sinne des Wortes zu groß wird, nur mit ihrer Stimme wieder in die beruhigende Normalität zurückholt. In diesem Moment wird die Verletzlichkeit des Protagonisten ganz deutlich, hier und in einigen weiteren Szenen gibt es zumindest den Ansatz zu einem Charakter-Drama um einen von Zweifeln geplagten und um Orientierung ringenden Helden: So ist „Man Of Steel“ zwar vor allem ein Action-Inferno, doch die Figuren werden trotzdem nicht völlig vernachlässigt.
Großen Anteil an der insgesamt durchaus erfolgreichen emotionalen Verankerung des effektgeladenen und zerstörerischen Geschehens hat auch der charismatische Hauptdarsteller Henry Cavill („Krieg der Götter“), der den Superhelden vor allem als Menschen darstellt. Auch wenn Superman auch hier gelegentlich in die Nähe eines Gottes gerückt wirkt, ist er deutlich weiter davon entfernt als in früheren Filmen. Der sonst oft so strahlende und nahezu ungebrochene Held im Cape erscheint hier ein klein wenig grauer und konfliktbeladener. Er ist weiter so etwas wie die Verkörperung des Guten, aber er muss schmerzhafte Kompromisse eingehen, wobei sich dann auch wieder die schon erwähnte Überdeutlichkeit bemerkbar macht: Wenn Superman mit der Frage konfrontiert ist, ob er bereit ist, zu töten, um zu retten, wird seine Entscheidungsfindung so lange ausgedehnt bis auch der wirklich letzte Zuschauer die Bedeutungsschwere des Moments erkannt hat. Immer wieder wird der realistische Ansatz dieses Post-9/11-Superheldenfilms unterstrichen, immer wieder klar gemacht, dass dies ein ernster Film über ernste Themen ist, wobei der Eindruck entsteht, dass sich die Macher vielleicht selbst etwas zu wichtig nehmen. Die Leichtigkeit, die in Richard Donners „Superman“-Film immer ihren Platz hatte und die trotz einer ähnlich apokalyptischen Bedrohung auch in „The Avengers“ von Konkurrent Marvel einen wichtigen Part hat, fehlt völlig - Humor gibt es in „Man Of Steel“ nicht.
Fazit: Mit „Man Of Steel“ zelebrieren Zack Snyder und Christopher Nolan trotz einiger Schwächen puren und bitter-ernsten Action-Bombast. Hier kracht es fast in jeder Minute.