Wenn man keine gute Story zu erzählen weiß, dann gibt es immer noch einen Weg, mit dem man dafür sorgen kann, dass ein Film zum Gesprächsstoff und damit gekauft wird: Provokation. Die funktioniert auch heute noch am Besten mit Sex oder Gewalt. „H6 – Tagebuch eines Serienkillers“, ein weltweit auf Horrorfestivals sehr kontrovers aufgenommener Film des jungen Spaniers Martín Garrido Barón, versucht es ein klein wenig mit dem Ersteren und ganz viel mit dem Letzteren. Zumindest laut Ankündigung auf dem DVD-Cover per wirkungsvollem Pressezitat („Härter als Hostel“), denn das wahre Ergebnis zeugt mal wieder von marketingtechnisch begründeten Übertreibungen.
Nach dem Mord an seiner Ehefrau wanderte Antonio Frau (Fernando Acaso) für Jahre hinter Gitter. Wieder entlassen, macht er sich an die Umsetzung eines kranken Plans, der während des Gefängnisaufenthalts in ihm gereift ist. Eine geerbte Pension und eine neue Ehefrau (María José Bausá), welche die ganze Nacht in einem Krankenhaus arbeitet, dienen als Tarnung und Mittel für die Ausführung. Im Zimmer Nr. 6 der Pension richtet sich Frau seinen Schlachtkeller ein. Die Wände verdunkelt und schallisoliert, alles mit Plastikplane ausgelegt, zerlegt er erst einen vorher vergifteten jungen Mann (Alejo Sauras) - sozusagen als Testlauf - dort in seine Einzelteile, um dann an die wirkliche Ausführung zu gehen. Er lockt Prostituierte in seine Pension, die er dann an einen Tisch fesselt, um sie über mehrere Tage hinweg, zu vergewaltigen und nach und nach mit einer Kettensäge zu zerstückeln.
Martín Garrido Barón war gerade Mal Anfang Zwanzig, als er seinen Film gedreht hat. Regionale Bekanntheit erreichte er trotzdem schon zuvor als Maler, der in Spanien schon zahlreiche Ausstellungen hatte. Diese Herkunft half ihm bei seinem Regiedebüt merklich, denn hier liegt einer der wenigen Stärken des Werkes. Die Bilder sind größtenteils glänzend arrangiert. Die Kameraposition und die Farbgestaltung verhelfen zahlreichen Sequenzen zu einer Aufwertung gegenüber der inhaltlichen Belanglosigkeit. Die Untermalung durch klassische Musik, bevorzugt Mozart (aber u.a. Brahms, Beethoven, Vivaldi, Chopin und Schubert kommen zum Einsatz), sorgt zusätzlich für einige inszenatorische Highlights, welche das Talent des Regisseurs klar erkennen lassen. Leider hält die Geschichte dem bei Weitem nicht stand.
Die auf einen wahren Fall zurückgehende Schilderung der Gräueltaten eines Serienkillers funktioniert weder in dokumentarischer Hinsicht noch in dramaturgischer. Das erste ist auch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, denn Garrido Barón will ersichtlich nicht den damaligen Fall nachstellen, sondern hat einen lose darauf basierenden Spielfilm gedreht. Der ist aber nicht spannend und eignet sich auch nicht als Charakterstudie, die in den Kopf eines Killers schaut. Dessen Motivation wird schnell mit dem Drang berühmt zu werden und der Welt zu zeigen, zu was ein Mensch fähig ist, abgehandelt und was folgt, ist zumindest im Mittelteil eine über weite Strecken eher monotone Abfolge von ähnlichen Handlungssequenzen. Die bedeutungsschwangere, ständige Off-Kommentierung des Killers, seiner Ehefrau und später auch mal des ermittelnden Kommissars zerrt bald mehr an den Nerven als die gezeigten Bilder.
Die angekündigte provokative Gewaltdarstellung entpuppt sich nämlich allzu schnell als ständiges Sprenkeln von Massen an Blut, während die eigentliche Verstümmelung der Opfer ausschließlich im Off stattfindet. Sicher ist das auch für den ein oder anderen Zuschauer schwer verdaubarere Kost, aber die meisten Horrorveteranen, die ersichtlich als Zielgruppe auserkoren sind, sehen weitaus härteres in jeder zweiten Mainstream-Horrorproduktion. Sicher kann auch das Nichtzeigen verbunden mit den Geräuschen (der Motor der Kettensäge und die Schreie des Opfers) eine starke Horrorwirkung entfalten, aber auch das klappt nur in einer einzelnen Szene richtig. Das Gremium der FSK, welches der ungeschnittenen Fassung eine Freigabe komplett verweigert hat, wird sich daher wohl auch kaum an den Bildern gestört haben, sondern mehr an der inhaltlichen Aussage des Films. Dieser stellt nämlich den Killer in den Mittelpunkt und verkneift sich klare Aussagen, die dessen Taten verurteilen. Kritisch kommen eher die Medien und die Öffentlichkeit weg, die sich an der Sensationsgier solcher Fälle berauschen und sie weiter anfeuern, wobei man dies eher zwiespältig sehen muss, denn Garrido Baróns Film kann man ohne Fragen selbst als Teil dieses kritisierten Prozesses sehen.
„H6“ wird für lange Gesichter sorgen. Gore-Freunde werden eher gelangweilt werden, Ästheten können sich wenigstens noch an einigen Bildern berauschen oder dem glänzend inszenierten Warten auf die Auswirkung der Vergiftung von Fraus erstem Opfer. Dies ist eine Szene, die auch dank der beiden Darsteller sehr nachdrücklich wirkt, damit aber ziemlich alleine im Film steht. Wer einen substanziellen Beitrag zur Serienkillerthematik erwartet, wird im wesentlichen nur auf das Wiederaufwärmen alter Klischees und bekannter Motive treffen.