Olympia 2008 hin oder her, die Diplomatie zwischen West und Fernost ist nach wie vor ein Tanz auf dünnem Eis. Kritische Punkte anzutippen, wie es gerade US-Außenministerin Hillary Clinton zum 20. Jahrestag des Tiananmen-Massaker wagte, gilt als Affront. Was muss die Kommunistische Partei auch so sensibel sein? Vor der maoistischen Dämmerung hat die Zusammenarbeit doch wunderbar funktioniert! Seit John Rabe wissen wir, dass im Reich der Mitte selbst Nazis aufrechte Menschenrechtler sein konnten. Roger Spottiswoodes ähnlich angelegtes Historien-Epos „Die Kinder der Seidenstraße“ weiß: Auch mit den Briten lief damals alles rund. Der Fernost-Ausflug legitimiert sich über eine Anekdote aus der Zeit der japanischen Fremdherrschaft, bleibt dann aber in fotogenen Panoramen und leeren Aphorismen stecken. Während joviale Pyro-Kommunisten und anglo-amerikanische Ambitionsmonster zur Gutmenschen-Allianz auf dem Abenteuerspielplatz China zusammenkommen, unterstreicht „Die Kinder der Seidenstraße“ entgegen der eigenen Prämisse einmal mehr, wie fremd das Subjekt der westlichen Filmhemisphäre ist.
1939: Kaum ist der Jungjournalist George Hogg (Jonathan Rhys Meyers, Der Klang des Herzens) in Shanghai angekommen, öffnet sich ihm ein Schlupfloch in die Krisenregion Nanking. Entsetzt wohnt er einer Massenhinrichtung bei, bis er in letzter Sekunde vor einem herabsausenden Katana gerettet wird. Der gerissene Widerständler Chen Hansheng (Chow Yun-Fat, Dragonball Evolution, Der Fluch der goldenen Blume) bugsiert den Briten aus der Kampfzone und unterstellt ihn der Ärztin Lee Pearson (Rhada Mitchell, Henry Poole, Silent Hill). Die hat es sich zur Aufgabe gemacht, die in einer abgelegenen Ruine lebenden Waisenkinder zu versorgen. Erst sträubt Hogg sich gegen die Mitverantwortung, schnell aber wachsen ihm die Kinder ans Herz. Er beginnt, sie zu unterrichten und die marode Wohnstatt aufzupolieren. Doch dann dringen die Invasoren weiter vor und zwingen Hogg und seine Schützlinge zur Flucht, durch verschneite Gebirge und flirrende Wüsten, stets entlang der Seidenstraße...
„Die Kinder der Seidenstraße“ ist eine freie Interpretation der kaum dokumentierten Geschichte George Hoggs. Die Filmhandlung setzte Autor James MacManus vorwiegend aus den Erinnerungen der heute noch lebenden Hogg-Kinder zusammen, was naturgemäß zur einseitigen Heroisierung der Figur führt. Um seinem Film Authentizität zu verpassen, montiert Spottiswoode die verträumte Rückschau der inzwischen greisen Männer gleich noch in den Abspann. Das wirkt umso peinlicher, als dass er sich den gesamten Film über nicht für die Kinder interessiert. Einzige Ausnahme ist Shi Kai (Guang Li), der seit der Vergewaltigung und Ermordung seiner Familie besonders unartig ist. Über pubertär-rebellisches Gehabe ist noch kein Trauma greifbar gemacht worden, daran ändert auch „Die Kinder der Seidenstraße“ nichts. Die restliche Kindesschar tritt als hilfsbedürftiges Kollektiv auf, das als Katalysator der forcierten Wandlung des Briten zur humanitären Lichtgestalt herhält. Das ist so respekt- wie substanzlos.
George Hogg steht zwar im Mittelpunkt, Interessantes oder gar Sympathisches kann Jonathan Rhys Meyers ihm aber nicht abgewinnen. Von der Schauspielkunst, die er unter Woody Allens kundiger Führung in Match Point zum Besten gab, ist hier nichts zu spüren. Bald entgleist die Figurenzeichnung gar ins unfreiwillig komische, etwa wenn Hogg und Pearson über die Gründe ihrer Fernost-Reise plauschen. „Weil das Land im Aufruhr ist“, meint er. „Weil wir in China andere Menschen sind“, ergänzt sie, als ob sie zuvor mit Florian Gallenbergers John Rabe grünen Tee getrunken hätte. Hansheng verkündet, Pearson sei im Herzen ganz Chinesin. Der Anblick vorbeiziehender Wüstennomaden allerdings weckt ihr Misstrauen. Als echte Chinesin hat sie ihre unzivilisierten Landsmänner natürlich gleich durchschaut: „Sind wir hier im 14. Jahrhundert gelandet?“ Zum ironischen Bruch der Figur wären derartige Phrasen geschickt platziert, doch Spottiswoode ist nicht daran interessiert, sein heroisches Personal zu hinterfragen.
Kaum tiefgründiger fällt der Blick auf die historisch-politischen Aspekte der Geschichte aus. In einer Nebenrolle darf Michelle Yeoh (Tiger und Dragon) über die Blutrünstigkeit des nationalistischen Widerstandes parlieren. Die Kommunisten derweil bekommen durch Chinas Vorzeige-Darsteller Chow Yun-Fat ein Gesicht. Der freundliche Untergrundkämpfer hat sichtbar Spaß an seinem Zündstoffarsenal und erweist sich gleich mehrfach als Retter in letzter Sekunde. So streng in Peking über die Tätigkeiten chinesischer Filmemacher und Darsteller gewacht wird – dieser Auftritt wird dort mit Genugtuung zur Kenntnis genommen worden sein. Dem entgegen steht ein Zitat aus dem Tao Te King: „Bewaffnet – aber nicht mit Waffen – mögen große Schlachten gewonnen werden.“ Dumm nur, dass der Pazifismus Hoggs ohne die Waffen Hanshengs nicht einen Schritt weit aus Nanking herausgekommen wäre. „Die Kinder der Seidenstraße“ ist schön fotografiertes und sentimentales Appell-Kino, das sich trotz guter Absichten kaum zu artikulieren versteht.