Nachdem Sandra Bullock und Regisseurin Anne Fletcher mit ihrer brutal anachronistischen Romantik-Komödie Selbst ist die Braut konservative Rollenverteilungen zwischen den Geschlechtern propagierten und der Gleichberechtigung der Frauen damit einen ideologischen Bärendienst erwiesen, ist es der toughen Filmemacherin Kathryn Bigelow vorbehalten, zu zeigen, dass Frauen auch in Hollywood ganz anders können. Mit ihrem realistisch-intensiven Irakkriegs-Drama „Tödliches Kommando - The Hurt Locker“ meldet sich die vom Publikum leider lange verkannte Action-Regisseurin mit einem harten Männerstoff vehement zurück und räumte im Oscar-Rennen gegen ihren Ex-Ehemann James Cameron und dessen Sci-Fi-Actioner Avatar kräftig ab.
Der Krieg im Irak scheint kein Ende zu nehmen, der Alltag für die Soldaten der westlichen Allianz birgt immer noch permanent die Gefahr, das Land am Ende des Tages im Leichensack zu verlassen. Besonders risikoreich leben die Elite-Spezialisten eines US-amerikanischen Bombenräumkommandos. Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) versuchen das Beste aus ihrem lebensgefährlichen Job zu machen und die Risiken zu minimieren – soweit dies überhaupt möglich ist. Als ihr Vorgesetzter Matt Thompson (Guy Pearce) bei einem Entschärfungseinsatz in die Luft gesprengt wird, steht mit Staff Sergeant William James (Jeremy Renner) schnell ein Nachfolger bereit. Der Adrenalinjunkie ist zwar ein absolutes Ass in seinem Beruf, aber kein Teamplayer; James gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch seine Einheit. Das lässt ernsthafte Spannungen innerhalb der Gruppe ausbrechen, die sich negativ auf die Arbeit der Elite-Soldaten auswirken.
„Tödliches Kommando“ ist ein hochinteressanter Film – und das gleich auf mehreren Ebenen. Geschrieben wurde das Action-Kriegsdrama von Mark Boal, der als sogenannter „Embedded journalist“ in den Irak ging und aus den Reihen einer US-Einheit hautnah vom Kriegsgeschehen berichtete. So basiert Paul Haggis‘ Im Tal von Elah auf Boals 2004 im Playboy veröffentlichtem Artikel „Death And Dishonor“. In Bigelows Drama verarbeitet Boal nun erneut Erfahrungen, die er während seiner Zeit im Krieg gemacht hat. Ursprünglich sollten die „eingebetteten Journalisten“ den für die Öffentlichkeit kaum durchschaubaren Militär-Aktionen im Irak eine größere Transparenz und Nachvollziehbarkeit verleihen, sie gerieten aber schnell in den Verdacht, nur der US-Propagandamaschinerie zu dienen, weil sie oft kaum mehr unabhängig berichteten, sondern vielmehr vom Kampfgeist der Einheit infiziert schienen. Doch Boal behielt dankenswerterweise seine kritische Sicht auf die Dinge und ließ sich nicht manipulieren – diese klare und ungeschönte Perspektive bildet das Fundament für die ungeheure Intensität von „Tödliches Kommando“.
Obwohl Kathryn Bigelow als erstklassige Action-Regisseurin bereits etabliert war, hat sich die Kalifornierin über die Jahre zum derben Kassengift entwickelt, das in Hollywood kaum jemand mehr mit der Kneifzange anfassen wollte. Weil der schwer unterschätzte Strange Days, „The Weight Of Water“ und K-19: Showdown in der Tiefe trotz Qualität fies floppten, kann Bigelow in der Du-bist-nur-soviel-Wert-wie-dein-aktueller-Film-eingespielt-hat-Welt Hollywoods froh sein, dass sie überhaupt noch etwas auf die Beine stellen darf. Für „Tödliches Kommando“ wurde das finanzielle Risiko in einem überschaubaren Rahmen gehalten, die Filmemacherin hat aus dem Mini-Budget von elf Millionen Dollar trotz aller damit verbundenen Zwänge und Einschränkungen das Maximum herausgeholt und die Gelegenheit nahezu optimal genutzt.
Bigelow hat von ihrem Inszenierungstalent nichts eingebüßt, selbst wenn sie mal mit wenig Geld zurecht kommen muss und nicht wie bei „K-19 - Showdown in der Tiefe“ (Kosten: 100 Mio. Dollar) und „Strange Days“ (Kosten: 42 Mio. Dollar) auf große Summen zurückgreifen kann, ist ihre Regie effektiv und einfallsreich. Die Regisseurin konzentriert sich bei „Tödliches Kommando“ auf einen kleinen Ausschnitt und schildert anhand des Bombenspezialkommandos, wie sich der Wahnsinn Krieg auf die Psyche der Soldaten auswirkt. Und es gelingt ihr dabei ein kleiner Coup: Ohne dass die ausgefeilten psychologischen Charakterstudien von Drehbuchautor Boal zu kurz kommen, glänzt Bigelow mit blitzsauberer, gezielt eingesetzter und präzise inszenierter Action. Die Entschärfungsszenarien weisen eine ungemein hohe Intensität auf, die schweißtreibende Atmosphäre überträgt sich von der Leinwand bis in die Stuhlreihen des Kinos. Die innere Spannung dieser Momente frisst sich quasi bis in die Eingeweide der Zuschauer. In jeder einzelnen Einstellung wird der ungemeine Druck, unter dem die Männer stehen, erlebbar. Die Soldaten taumeln zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Adrenalinrausch und nackter Angst.
Greifbar machen Bigelow und Boal das Dilemma des Irakeinsatzes, indem sie sich an einer Handvoll Charaktere abarbeiten. Im Zentrum steht der von Jeremy Renner (28 Weeks Later, Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford) als stoischer, egomanischer Cowboy mit hoher physischer Präsenz gespielte Staff Sergeant William James, ein Antiheld, der sich im zivilen Dasein als unfähig erweist und die Droge Krieg zum Überleben braucht. Die existenzielle Entscheidung, den roten oder den blauen Draht eines zu entschärfenden Sprengkörpers zu kappen, fällt ihm leichter als die Auswahl der richtigen Packung Cornflakes für seinen Nachwuchs aus dem Regal im Supermarkt.
Stilistisch besticht „Tödliches Kommando“ durch die Kameraarbeit von Barry Ackroyd (Flug 93), der mit seiner nervös vibrierenden HD-Digicam immer ganz nah dran ist und dem Film eine prägnante, dreckige Optik verleiht. Bigelow bietet dem Publikum dabei eine Art 360-Grad-Rundumsicht und zeigt alle erdenklichen Eindrücke, die auf die Soldaten in dieser feindlichen Atmosphäre einprasseln. So mutet der Irak für die Amerikaner oft wie ein fremder Planet an, wo hinter jeder Ecke eine potenziell tödliche Gefahr lauert. Nachlässigkeiten leistet sich Bigelow wenige. Die starke Konzentration auf isolierte Szenarien hat aber auch Schattenseiten, weil darunter zuweilen der Erzählfluss leidet. So wirkt „Tödliches Kommando“ dramaturgisch immer mal wieder ein wenig unrund.
Wenn Bigelows Kredit in Studio-Hollywood schon aufgebraucht war, so erfuhr sie zumindest von der Schauspielgilde generöse Unterstützung. Um bekannte Namen - Jeremy Renner spielt hervorragend, zieht aber sicher keine Leute ins Kino – präsentieren zu können, haben sich einige Stars selbst für kleine Rollen oder Cameos angeboten. Der kurze Auftritt von Guy Pearce (L.A. Confidential, Memento) zählt da noch zu den größeren Nummern. serie,12,Lost-Star Evangeline Lilly ist ebenso dabei wie David Morse (Disturbia, Contact) oder Ralph Fiennes (Der englische Patient, Der Vorleser).
Fazit: „Tödliches Kommando“ ist ein Adrenalin-treibendes, ambitioniertes Action-Kriegsdrama. Die Ehrenrettung der Hollywood-Frauen ist Kathryn Bigelow mit ihrer vibrierenden Bebilderung der Droge Krieg schon einmal gelungen, jetzt bleibt zu hoffen, dass ihr nach dem Erfolg des sechsfachen Oscar-Gewinners in Zukunft auch wieder größere, ihrem enormen Talent angemessene Mittel zur Verfügung stehen.