Leben im Angesicht des Todes ist nicht gerade das Angenehmste, was einem Mittdreißiger passieren kann. Schon gar nicht, wenn man sein Leben bisher nicht genossen hat und das nun auf Teufel komm ’raus in den letzten Wochen, die einem die tödliche Krankheit noch lässt, nachholen will. Wenn das Leben das große Glück verwährt hat, sucht man dieses ganz woanders – in exotischer Ferne, wo alles besser und leichter zu sein scheint. Dabei liegt das Gute, Wahre, Schöne oft direkt vor der Nase, man übersieht es nur vor lauter Alltagstrott. So auch in Sven Taddickens Drama „Emmas Glück“…
Max (Jürgen Vogel) sitzt fahlgesichtig beim Arzt. Angesichts der Diagnose, die ihm nur noch wenig Zeit zum Leben lässt, macht sich Panik bei ihm breit. Der beiläufige Rat des Arztes, das Leben wie bisher weiter zu leben, Freunde zu treffen, der Arbeit nach zu gehen, macht dem unauffälligen Mann erst bewusst, dass er ein solches Leben bisher gar nicht hatte. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch eines Rendezvous’ beschließt Max, die letzten Tage seines Lebens im fernen friedlichen Luxus zu genießen. Das nötige Kleingeld dafür liegt schon bereit: sein einziger Freund und Arbeitgeber Hans (Martin Feifel) betreibt in seinem Autohaus einen florierenden Schwarzhandel, den Max verwaltet. Beim nächtlichen Diebstahl von Hans überrascht, flüchtet Max in einem gestohlenen Wagen und beschließt spontan, der unangenehmen Situation noch schneller zu entfliehen, als mit dem gebuchten Flug in die Ferne. Mit Vollgas rast er in die Kurve – und landet auf einem abgelegenen Bauernhof.
Dessen Betreiberin Emma (Jördis Triebel) schreckt aus dem Schlaf. Die resolute junge Dame verarztet den Verletzten, entdeckt die Dose mit fast 70.000 Euro in bar im Auto und beschließt kurzerhand, dass beides bei ihr in besten Händen ist. Zu Spaßen ist mit Emma nicht wirklich: sie bewirtschaftet den hoffnungslos verschuldeten Hof allein, empfängt ihren einzigen Verehrer, den Dorfpolizisten, mit dem Gewehr im Anschlag und verteidigt ihren eigensinnigen Lebensstil mit Wort und Tat. Nur gezwungener Maßen bleibt Max zunächst auf dem Hof. Lange kann er seine Krankheit nicht vor Emma verbergen, gesteht ihr seinen wunden Punkt allerdings erst, als er den ihren durch den Besuch des Gerichtsvollziehers erfahren hat. Die drohende Versteigerung des Hofes und Emmas Bereitschaft, für dessen Erhalt sogar sein eigenes Geld zu stehlen, macht ihm den wahren Wert dieses Eigentums bewusst.
Die Zusammengehörigkeit von Leben und Tod wird hier greifbar, das Leben ist trotz seiner Einfachheit um ein vielfaches erfüllter als der Arbeitsalltag des Stadtmenschen. Daraus ergibt sich auch der tiefere Sinn von Emmas Worten „Nur die Angst vor dem Tod ist schlimm, nicht der Tod selbst“. Kurz entschlossen kauft Max den Hof frei und macht sich daran, den natürlichen Kreislauf von Leben und Tod eigenhändig voran zu treiben – heute Abend gibt es Hühnchen! Dem Happy End steht jetzt nur noch Lebemann Hans im Weg, der sich letztlich auch von Emmas Bodenständigkeit geläutert zeigt und sich als besserer Freund erweist, als man ihm zugetraut hätte. Doch Max’ Krankheit ist nicht so leicht zu überwinden wie Yuppi-Allüren. Unbeugsam schreitet sie voran und begleitet das junge Paar als unberechenbarer Schatten in den wenigen glücklichen Tagen, die Max und Emma bleiben. Bestimmen lassen sie sich von ihr dennoch nicht.
Herzergreifend und mit einer angenehmen Portion Leichtigkeit erzählt der 1974 geborene Taddicken die Geschichte vom kleinen Glück und davon, dass man sich ihm öffnen muss, um es finden zu können. So wie Emma stets in Habacht-Stellung ihren Mitmenschen gegenüber tritt, so schwebt Max in einem scheinbar luftleeren Raum durch sein Leben, ohne wirklich mit irgendeinem Menschen in Berührung zu kommen. Das ändert sich für beide erst durch die Begegnung, die allerdings nicht reibungslos verläuft. Den anderen an sich heran zu lassen gelingt beiden erst in dem Moment, wo sie eine Verletzlichkeit, eine Schwachstelle beim Gegenüber feststellen und sich als Retter zeigen können. Tragik und Komik, die in dieser allzumenschlichen Haltung liegen, spiegeln sich in den Gesichtern von Jürgen Vogel (Keine Lieder über Liebe, Der freie Wille) und Kinodebütantin Jördis Triebel eindringlich, ohne die Aufdringlichkeit des Gekünstelten.
Was die Story erst nach und nach offen legt, wird von einer intelligente Kamera und Montage bereits frühzeitig angedeutet. Die Bilder werden zu (An-)Zeichen und gewinnen so eine eigene Sprachebene, die mit dem gesprochenen Wort und der fortschreitenden Handlung in einen Dialog tritt. Bereits in den ersten Szenen sehen wir parallel die Behandlung von Max in einem technisch-medizinischen Apparat und die Bearbeitung eines liebevoll geschlachteten Schweines auf Emmas Bauernhof. Die Kluft des Umgangs mit dem Tod wird hier allein durch die Bilder geöffnet. In den Schlussszenen des Films wird sie sich schließen, wiederum in einer konsequenten Bildsprache, die manchem provokant erscheinen mag, aber gerade dadurch eines der Kernthemen des Films verdeutlicht. Das Thema der freien Entscheidung über das eigene Leben und den eigenen Tod wird zurzeit recht intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert; dementsprechend weicht auch auf der Leinwand das Tabu. Taddicken gelingt es, das Thema mitten ins Leben zu holen und ihm mit wunderschönen und dabei ungeschönten Bildern Authentizität zu verleihen.
Dass ihm dabei ein gleichzeitig ein höchst poetischer Film gelingt, liegt nicht zuletzt an der einfühlsamen Bildgestaltung von Daniela Knapp. Das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Regie und Kamera resultiert aus der kontinuierlichen Zusammenarbeit seit der gemeinsamen Zeit an der Filmakademie Ludwigsburg. Die Früchte ihres Schaffens teilen sie sich ebenso: für „Mein Bruder der Vampir“ erhielt Knapp 2002 den Kamerapreis beim Brooklyn International Film Festival, Taddicken nahm mehrere Preise wie den Kodak Eastman Award der Internationalen Hofer Filmtage 2001 und den FIPRESCI Preis beim Filmfestival Rotterdam 2002 mit nach Hause. Beides also Nachwuchsfilmer, von denen man noch so einiges erwarten darf und die Kino machen, das tief berührt.