„The Woman In The Room“ ist der Titel des Kurzfilms, mit dem Regisseur Frank Darabont 1983 debütierte und zum ersten Mal einen Stoff von Stephen King inszenierte. Nach Die Verurteilten und The Green Mile adaptiert er mit „Der Nebel“ zum vierten Mal einen Stoff des King Of Horror – die gleichnamige Kurzgeschichte von 1980. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen King-Adaptionen gibt es hier keinen (gut-)menschlichen Grundton, sondern tiefe seelische Abgründe tun sich auf. Dabei geht es in dem packenden, düsteren Gruselfilm nicht gerade zimperlich zu, Horrorfan Darabont entwickelt eine regelrechte Lust am Gore-Effekt und lässt seine Figuren recht explizit Ableben.
Ein mysteriöser weißer Nebel zieht vom See her auf eine amerikanische Kleinstadt zu. David Drayton (Thomas Jane, The Punisher, Dreamcatcher) ist gerade mit seinem Sohn Billy (Nathan Gamble, Babel) in einem Supermarkt, als die Straßen komplett vom Dunst verschluckt werden. Ein älterer Mann stürzt in den Laden und erzählt von Kreaturen, die aus dem Nebel kommen. Die ratlosen Anwesenden verschanzen sich und beginnen abzuwarten – schon hat Frank Darabont, nach kaum zehn Minuten Spielzeit, sein Szenario etabliert. Eine wild zusammen gewürfelte Menschenmenge, gefangen in einem typischen Supermarkt, bedroht von mysteriösen Monstern. Die Dramaturgie bleibt dicht bei den Figuren, die weder mehr, noch weniger als der Betrachter wissen. Die Monster halten sich weitgehend zurück, seine Spannung bezieht die Erzählung in erster Linie aus dem atmosphärischen Szenario und dem Konflikt, der sich nach und nach zwischen Figuren entwickelt. Da gibt es zum einen David, der seinen Sohn beschützen und auf vernünftige Art und Weise die Situation erfassen will. Sein Nachbar glaubt nicht so recht an die Vorgänge und erkennt nicht den Ernst der Situation, während drei übermütige Angestellte des Supermarkts die erste Katastrophe herbei führen. Am deutlichsten sticht aus der etwa 30-köpfigen Gruppe Mrs. Carmody (Marcia Gay Harden, Miller´s Crossing, Mystic River) hervor, die ihren religiösen Fanatismus immer lauter vermeldet. Spätestens seit Hitchcocks Die Vögel ist eine solche, halb irre Prophetin Gottes aus einem apokalyptischen Szenario kaum noch weg zu denken. Im Verlauf des Films wird Mrs. Carmody mehr und mehr fanatisch, zitiert laut aus der Bibel und kann letztlich die Gruppe spalten. Das zerrt an den Nerven der Zuschauer und an denen der Figuren – doch liegt in ihrer religiös-vereinfachten Weltsicht auch ein gewisser Reiz, sich auf diesem Wege die unfassbaren Geschehnisse verständlich zu machen. Wer Parallelen zur aktuellen politischen Situation in den USA sieht, liegt vermutlich nicht ganz falsch.
Es ist das eigentlich Interessante an der Geschichte, dass der Blick auf das Verhalten der Menschen in dieser Extremsituation fokussiert. Anfängliche Ratlosigkeit und Skepsis wandeln sich in Angst, Panik, Verrohung und letztlich (religiösen) Wahnsinn. So dürfen die Menschen in der grausamsten Szene des Films selbst Hand anlegen, einen vermeintlich schuldigen, jungen Soldaten zusammen schlagen, mit Messern aufschlitzen und den Monstern zum Fraß vorwerfen. Passend dazu beendet Darabont seinen Film mit einem Ende, das im Gedächtnis haften bleibt und absolut folgerichtig wirkt.
Wie eingangs erwähnt, zeigt Darabont sich in der Darstellung von Gewalt ganz und gar nicht keusch: abgetrennte Unterleiber, deformierende Schwellungen, hochgradige Verbrennungen und Kopfschüsse – all das gibt es explizit zu sehen. Man merkt ganz deutlich, dass Darabont eigentlich ein Kind des Horrorgenres ist; als Drehbuchautor schrieb er die Vorlagen zu „Nightmare On Elm Street 3“, Der Blob (Remake von 1988) und Die Fliege 2. Der Humor und die Ironie sorgen hierbei dafür, dass die Grausamkeiten in „Der Nebel“ keine Überhand gewinnen. Was die Szenen weiterhin entschärft, sind die CGI-Effekte, die deutlich als solche zu erkennen sind. Auch wenn die Monster sehr einfallsreich designt sind und wirklich erschreckend aussehen, wird ihnen durch die Künstlichkeit der Computereffekte mitunter leider etwas an Angstpotenzial genommen.
Darabonts Inszenierung trifft den Geist der King-Vorlage, allerdings glückt ihm nicht immer die Zeichnung der Charaktere. David, Mrs. Carmody und drei, vier andere Figuren können eine Anteilnahme des Zuschauers erzwingen. Doch einige der anderen Figuren, z.B. Davids Nachbar, werden nur am Rande gestreift, so dass diese, eigentlich interessanten Charaktere nur ein Schattendasein führen. Außerdem vermisst man bei anderen Figuren Entwicklung oder tiefer gehende Charakterisierung. Das ist sehr bedauerlich, denn gerade ein Film wie „Der Nebel“, der die Einheit von Ort, Zeit und Handlung wahrt und sehr geradlinig und dicht an den Figuren erzählt, ist auf starke Charaktere angewiesen.
Das Ende ist krass und setzt noch ein bitteres i-Tüpfelchen. Leider werden das interessante, nicht Horror-untypische Supermarkt-Szenario und die sich langsam manifestierende „Bedrohung von Innen“ durch zu einfache Figuren und teilweise unglücklich künstliche Effekte blockiert, so dass „Der Nebel“ nicht ganz an die Qualität von Darabonts letzten King-Verfilmungen heranreicht. Dennoch: Es gibt schwarzen Humor, wirkungsvolle Schockeffekte, subtile Andeutungen auf US-amerikanische Befindlichkeiten und solide inszenierten Grusel. Kein Meisterstück, aber guter Fantasy-Horror mit einer sozialkritischen Note.