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    Ein Freund von mir
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ein Freund von mir
    Von Jonas Reinartz

    „Ich finde es immer spannend, wenn zwischen Leuten etwas passiert. Am meisten passiert, wenn etwas beginnt oder aufhört. ‚Absolute Giganten’ ist ein Film über etwas, das aufhört. Und ‚Ein Freund von mir’ ist ein Film über etwas, das anfängt.“ (Sebastian Schipper)

    Über Jürgen Vogels Gesicht ließe sich so manches sagen, doch das Wort „gewöhnlich“ wird in diesem Zusammenhang wohl kaum fallen. Der Höcker und die nach unten gebogene Nase lassen an einen Bösewicht aus den Märchen der eigenen Kindheit erinnern, zumindest, wie es die Illustratoren der kindlichen Leserschaft weiß machen wollen. Dazu gesellen sich eine Zahnlücke und unfassbar spitze Eckzähne, die fast aussehen, als hätte sich Vogel in einem Method-Acting-Rausch zu intensiv mit einer Vampirrolle identifiziert und sie sich anspitzen lassen. Es ist ein Gesicht, das im Gedächtnis haften bleibt, vor allem weil es nicht gängigen Schönheitsdealen entspricht und gerade aus diesem Grund anziehend, sympathisch wirkt. Auch wenn ihm sein Äußeres viele Rollen als schräge Type einbrachte, der „größte Instinktschauspieler des deutschen Films“ (Lars-Olav Beier) beeindruckt gerade durch seine Vielseitigkeit. Allein im Kinojahr 2006 ist er in insgesamt sechs Filmen zu sehen; nachdem er in Emmas Glück als Krebskranker auftrat und in einer schauspielerischen Tour de Force in Matthias Glasners Der freie Wille den Vergewaltiger Theo mimte, spielt er nun wieder einen für ihn typischen Part neben Daniel Brühl in der kurzweiligen Komödie „Ein Freund von mir“ von Sebastian Schipper („Absolute Giganten“, 1999). Obwohl eine zu kurze Laufzeit es nicht erlaubt, tiefer in die Welt der Protagonisten und ihre Seelen einzutauchen, gelang Schipper aufgrund guter Schauspielleistungen, einer stimmungsvollen Musikuntermalung und einigen amüsanten Szenen ein grundsympathischer kleiner Film, der Laune macht.

    Karl (Daniel Brühl) ist diplomierter Mathematiker und als leitender Angestellter in einer Versicherung beschäftigt. Kürzlich konnte er sogar den „Bogenschützen“ gewinnen, einen hochrenommierten Preis der Branche. Grund zur Klage hat er augenscheinlich nicht, er verdient gut, kann sich eine große Wohnung in bester Lage leisten und wird von seinem Vorgesetzten Naumann (Michael Wittenborn), der sehr viel von ihm hält, protegiert. Doch der gesamte berufliche Erfolg lässt Karl vollkommen kalt, sein Leben ist von einer durchdringenden Langeweile geprägt. Nicht allein auf seine überdurchschnittliche Begabung ist dies zurückzuführen, hinzu kommt eine Unsicherheit gegenüber seinen Kollegen, am liebsten möchte er in Ruhe gelassen werden und nicht mit Dingen wie Vorträgen oder ähnliche unangenehmen Dingen belastet sein. Aus diesem Grund sieht sich Naumann zu einer offenen Provokation gezwungen, so muss sein Protegé nun die Vorgänge in einer Mitwagenfirma untersuchen, um später dort die Versicherungsrisiken abschätzen zu können. Das Einstellungsgespräch stellt kein Problem dar, denn Karl täuscht tiefe Religiosität vor, was ihm auch die Stelle einbringt, so dass er einem anderen Mitbewerber, Karl (Jürgen Vogel), diesen Trick verrät. Schließlich wird auch dieser angestellt und die beiden lernen sich näher kennen, auch wenn der nüchterne Karl zunächst ein wenig von dem redseligen Hallodri genervt ist, doch dessen gute Laune wirkt stark ansteckend.

    Nach seinem beeindruckenden Erstling „Absolute Giganten“ widmet sich Sebastian Schipper erneut einem zentralen Thema – Freundschaft. Er betrachtet sie, völlig zurecht, als eines der höchsten Güter der menschlichen Gesellschaft, wie generell Zwischenmenschliches. Nach dem Abschied eines Freundes wird also nun die Entstehung einer engen Beziehung zwischen zwei Männern beschrieben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Karl ist introvertiert, besitzt kaum Erfahrung mit dem anderen Geschlecht und fühlt sich in der ihn umgebenden Welt verloren, Hans hingegen ist außergewöhnlich extrovertiert, lässt keine Peinlichkeit aus und hat, wie ein großes Kind, einfach Spaß, wenn es sein muss, auch auf Kosten anderer, jedoch ist dies nie böse gemeint. Beispielsweise ist jene Szene, in der er seinen Freund in Stelles Wohnung einschlafen lässt und sich köstlich darüber amüsiert, als deren Ex-Freund Frank, gespielt von Steffen Groth, auftaucht, von großer Komik. Dass dabei eigentlich er, der sich nackt hinter dem kräftigen Konkurrenten befindet und vorsichtig seine Kleidung aus dem Wohnzimmer fischen muss, allen Anlass zur Sorge hat, gibt dem Geschehen zusätzliche Würze. Sein Glück leitet er nicht aus materiellem Erfolg ab, es geht ihm um jede einzelne Sekunde, die er vollends genießen möchte. So führt er seinen Freund in die hohe Kunst des nächtlichen Nacktfahrens in hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn ein, was dieser zwar zunächst für völlig albern hält, rasch wird es jedoch zu einer Art gemeinsamem Hobby.

    Neben der absurden Komik dieser Szenen ist es vor allem Schippers Inszenierung, die Hans’ Lebensgefühl vermittelt. Die Autofahrten bei Nacht sind von atmosphärischer Musik geprägt und hervorragend fotografiert, wie auch der gesamte Film, was gekonnt den rauschhaften Charakter dieser Unternehmungen illustriert. Zum generellen Look, den er und sein Kameramann Oliver Bokelberg wählten, bemerkte er, dass ein einfaches Prinzip befolgt wurde: Da Karl die Hauptfigur sei, sähe der Zuschauer wie er „eine kühle Jetzt-Welt“. Ein unterkühlter, nüchterner Stil ist die Folge, der unspektakulär und behutsam Eindrücke einfängt, die sich allmählich zu einem Ganzen fügen. Dass bei einer solchen Besetzung hervorragende Schauspielleistungen zu erwarten waren, versteht sich von selbst, in dieser Hinsicht gibt es auch nur Positives zu berichten, auch wenn die beiden Hauptdarsteller wie so oft strikt nach ihrem Rollenklischee besetzt wurden. Daniel Brühl spielt einmal mehr exzellent, gerade ein Gefühlsausbruch gegenüber seinem Chef ist sehr nuanciert gestaltet, doch ist es zu wünschen, ihn zukünftig vielleicht einmal in einer radikal anderen Rolle erleben zu dürfen. Denn so perfekt Brühl und Vogel ihre Parts als Schüchterling bzw. Durchgeknallter auch beherrschen und daher auch perfekt hierfür geeignet sind, vielleicht wäre es sogar interessanter gewesen, wenn sie die Charaktere getauscht hätten. Zwischenzeitlich bestand sogar einmal die Möglichkeit, dass Brühl Hans spielen würde, doch das war zu einer Zeit, in der Vogel noch nicht an Bord war. Da die Finanzierung ohnehin nicht einfach war, ist mehr als verständlich, dass man sich für diese Konstellation entschied, sie harmoniert ja auch bestens. Aus ihrem kleinen Part macht Sabine Timoteo, wieder mit ihrem Leinwandpartner aus „Der freie Wille“ vereint, das Beste, ihre Stelle ist es auch, die zur Demonstration der Loyalität von Hans gegenüber seinem Kumpel führt. Ein wenig problematisch ist leider die Kürze des Drehbuchs und somit auch des Endprodukts. Der Film ist zu früh an seinem Ende angelangt, man hätte sich noch mehr Eindrücke, vor allem in Hans’ Leben gewünscht. Zudem hätten einige Sequenzen noch mehr ausgereizt werden können, stattdessen enden sie zu abrupt. Vom gleichen Problem ist auch das Ende geplagt, doch der Zuschauer wird zufrieden aus dem Dunkeln des Kinosaals ins helle Licht der eigenen Wirklichkeit entlassen und angeregt, über sich und sein eigenes Leben zu reflektieren.

    Trotz kleinen Schwächen in der Inszenierung und eines nur mäßigen Schlusses ist Schipper ein unterhaltsames Porträt einer ungewöhnlichen Freundschaft gelungen, die vor allem Anhängern der Hauptdarstellern zu empfehlen ist, die voll auf ihre Kosten kommen werden. Gerade in Zeiten von sozialer Kälte und allgemeiner Verunsicherung ist mit „Ein Freund von mir“ ein wohltuendes filmisches Kleinod über wahre Freundschaft und das wirklich Wichtige im Leben gelungen, ein Merkmal, das auch schon seinen Debütfilm auszeichnete. Es bleibt zu hoffen, dass Schippers Film die Chance beim hiesigen Publikum erhält, die er sich redlich verdient hat.

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