Mein Konto
    Romanze in Moll
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Romanze in Moll
    Von Florian Koch

    Kann in härtesten Krisenzeiten große Kunst entstehen? Ein filmischer Beleg für diese These ist Helmut Käutners Meisterwerk „Romanze in Moll“. Mitten im Zweiten Weltkrieg entstand in den Berliner Jofa-Ateliers ein feinsinniges Melodram, das auch heute nichts von seinem Glanz verloren hat. Die tragische Geschichte einer leidenschaftlichen Frau, die sich in einem Netz von Lügen immer mehr verheddert, basiert lose auf der Erzählung „Les Bijoux“ von Guy de Maupassant. Bezeichnenderweise wird der französische Autor in den Credits nicht erwähnt, da er von den Nationalsozialisten schon früh auf eine „Schwarze Liste“ für verfemte Autoren gesetzt wurde.

    Seit Jahren führt Madeleine (Marianne Hoppe, „Auf Wiedersehn, Franziska!“) mit ihrem Mann (Paul Dahlke, „Das fliegende Klassenzimmer“) eine bürgerliche, aber erotisch unerfüllte Ehe. Sie will aus dem langweiligen Alltagstrott ausbrechen, weiß aber nicht wie. Beim Anblick einer unerschwinglichen Perlenkette in einem Schaufenster gerät sie ins Träumen. Der bekannte Komponist Michael (Ferdinand Marian, „Münchhausen“) beobachtet sie dabei und will Madeleine das teure Schmuckstück schenken. Nach einigem Zögern nimmt sie die Kette an und wird bald seine Geliebte. Um sich mit Michael treffen zu können, erzählt Madeleine ihrem gutgläubigen Ehemann immer neue Lügengeschichten. Durch einen unglücklichen Zufall kommt Viktor (Siegfried Breuer, „Anuschka“), der neue Chef ihres Mannes, hinter Madeleines geheimes Verhältnis. Der nutzt ihre verzweifelte Lage eiskalt aus und stellt sie vor eine ausweglose Wahl: Sollte Madeleine sich auf ein Stelldichein mit ihm einlassen, würde ihr Mann nichts von dem Verhältnis mit Michael erfahren. Andernfalls müsse er doch ernsthaft mit seinem Angestellten über Madeleines jüngste Liebesverfehlungen reden…

    Helmut Käutner erzählt „Romanze in Moll“ als klassische Dreiecksgeschichte, ohne gängige Klischees zu bedienen. Gleich mit der ersten Kranfahrt zieht der Regisseur den Zuschauer in seinen Bann und lässt ihn fortan nicht mehr los. Von den Pariser Dächern schleicht die Kamera bis ins Schlafgemach von Madeleine und verharrt für einige Sekunden auf ihrem ebenen, selig lächelnden Gesicht. Wenig später betritt ihr heiterer Mann das Zimmer und ruft nach seiner Frau. Doch Madeleine reagiert nicht. Sie hat sich das Leben genommen. Verzweifelt sucht ihr Mann nach Gründen für den Selbstmord. Die teure Perlenkette um Madeleines Hals ist für ihn ein erster Anhaltspunkt. In kunstvollen Rückblenden entfaltet Käutner daraufhin die ganze Tragik von Madeleines Leben.

    Mit dem in Schwarz-Weiß gefilmten Drama „Romanze in Moll“ und den beiden darauf folgenden Arbeiten: „Große Freiheit Nr.7“ und „Unter den Brücken“ begründete Helmut Käutner seinen Ruf als „poetischer Regisseur“. Ihm gelang es, in seiner düsteren Dreiecks- (beziehungsweis eigentlich Vierecks)-Geschichte die Dekadenz der sich im Niedergang befindlichen französischen „Fin de siècle“-Gesellschaft herauszuarbeiten. Das Ergebnis war so beeindruckend, dass „Romanze in Moll“ als einer von wenigen unter dem Naziregime entstandenen Filme auch im Ausland honoriert wurde: Das Drama gewann den Schwedischen Kritikerpreis. Bedenkt man zudem, dass zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland hauptsächlich seichte Unterhaltungsfilme wie „Die große Liebe“ oder üble Propagandamachwerke wie „Jud Süß“ produziert wurden, kommt „Romanze in Moll“ tatsächlich eine Sonderstellung zu.

    Neben der außerordentlichen Bildsprache, die geschickt mit Hell-Dunkel-Kontrasten spielt und streckenweise an Orson Welles’ Meisterwerk Citizen Kane erinnert, verblüfft Käutners innovative Erzählweise. Er erzählt sein Drama in Form von mehrfachen Rückblenden, Zeitsprüngen und Perspektivwechseln. Die non-lineare Erzähltechnik verlangt vom Publikum eine hohe Aufmerksamkeit und galt zur Entstehungszeit von „Romanze in Moll“ als absolute Neuerung. Heutzutage setzen viele Filme (Memento) und Serien (Lost) auf diese kunstvolle Darstellungsform. Mit diesem Innovations-Coup schürt Käutner in „Romanze in Moll“ geschickt die Spannung, weil die subjektive Sichtweise der handelnden Personen vom Zuschauer übernommen wird. Das Publikum ist die gesamte Zeit damit beschäftigt, die einzelnen Puzzlestücke zusammenzusetzen, um der Wahrheit hinter Madeleines Suizid endlich auf die Schliche zu kommen.

    Die pointierten und mit spritzigen Wortspielen durchsetzten Dialoge werden erst durch die hervorragenden darstellerischen Leistungen lebendig. Marianne Hoppe zeigt subtil und glaubwürdig, wie die innerlich zerrissene Madeleine immer mehr an ihrem Dasein verzweifelt, während Ferdinand Marian in der Rolle des charmanten Michaels beweisen darf, dass sein fürchterlicher „Jud Süß“-Auftritt seinem Können nicht gerecht wurde.

    Fazit: Propagandaminister Joseph Goebbels empfand „Romanze in Moll“ beim Kinostart als „ehe- und sittenzerstörend und defätistisch“. Ein größeres Kompliment konnte es für das faszinierende Drama des erklärten Nazi-Gegners Helmut Käutner gar nicht geben. Sein düsterer und ungemein bewegender Film über die fatalen Folgen eines Ehebruchs gehört auch heute noch zum festen Kanon der besten deutschen Filme.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top