In der aktuellen deutschen Kinolandschaft wimmelt es von vielversprechenden Regie-Talenten, die bereits mit ihrem Debüt von sich reden machen. Eines dieser Talente ist Birgit Grosskopf. „Prinzessin“, ihr erster Spielfilm (nicht zu verwechseln mit Prinzessinnenbad oder Princesas), konnte 2006 den First Steps Award einkassieren, gewann den „German Independent Award“ in Oldenburg und wurde auf dem Max-Ophüls-Filmfestival mit dem zweiten Platz geehrt. Grosskopf erzählt in ihrem Jugend-Drama die Geschichte einer Mädchenclique, die in einem tristen Vorort lebt und vor körperlicher Gewalt nicht zurück schreckt – ein ungewöhnliches Thema für ein Debüt, das die Gefahr in sich birgt moralisierend oder gar reißerisch zu werden. Aber genau das weiß die Regisseurin geschickt zu vermeiden.
Der Film spielt in der Zeit „zwischen den Jahren“, ein in mehrfacher Hinsicht schönes Bild: Es markiert den Umbruch in den Lebenssituationen der Protagonistinnen, die Balance des Films zwischen hartem Realismus und magischer Poetik und die Divergenz zwischen der romantischen Ader der Mädchen und ihrer Lebensrealität. Die wesentliche Beziehung in „Prinzessin“ ist die zwischen Yvonne (Henriette Miller, Knallhart) und Katharina (Irina Potapenko, Der Lebensversicherer), die durch eine innige Freundschaft verbunden sind. Grosskopf eröffnet den Film mit einer Szene in einer S-Bahn, in der Yvonne einem Mädchen, das ihr aus irgendeinem Grund nicht passt, mit der Faust ins Gesicht schlägt. Für den Zuschauer ist das verstörend und der Regisseurin gelingt die Etablierung einer feindlichen Grundstimmung, die ihre Milieustudie bis zum Abspann begleiten wird. Da Yvonne zu oft zugeschlagen hat, liegt ein Haftbefehl gegen sie vor – morgen muss sie ins Gefängnis. Doch ihr ist mittlerweile alles egal, sie hängt lieber mit ihren Freundinnen ab und versetzt die Vollzugsbeamten. Die Mädchen streifen durch die Vorstadt-Kälte, klauen Kosmetikartikel, zocken eine ältere Bekannte ab, pöbeln auf einer Party und schleppen die kleine Mandy mit in einen Strip-Club. Sie reden vom Blasen und von den Schlampen der feindlichen Mädchengang, die von Özlem angeführt wird, trinken Wodka wie Wasser und rauchen Kette.
Katharina versucht Yvonne dazu zu bewegen, sich der Polizei zu stellen. Sie will erwachsener werden, was ihr allerdings nicht leicht gemacht wird. Denn Yvonne denkt nicht daran etwas zu ändern. Man merkt den Mädchen an, dass sie um jeden Preis aus ihrer Umgebung weg wollen – sie schaffen es aber nicht. Nur Daniel (Martin Kiefer, „Unterwegs“), Katharinas Schwarm, verlässt die triste Umgebung aus grauen Wohnsiedlungen und immer gleichen Einkaufszentren, indem er sich als Freiwilliger für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan meldet. Die anderen stecken in ihren Lebenssituationen fest und müssen ihren Krieg zu Hause austragen, ihren Frust in verzweifelten Gewaltausbrüchen entladen. Als Yvonne in den Besitz einer Pistole gelangt, eskaliert die Situation.
Auf der Tonspur knallen permanent Silvesterknaller, während die Weihnachtsbäume noch in den Wohnungen stehen. In Verbindung mit den kargen, schnörkellosen Bildern entsteht so eine trostlose Grundstimmung, in der alles möglich zu sein scheint, gleichzeitig aber alle Möglichkeiten verspielt sind. Dabei gelingt Birgit Grosskopf das Kunststück, die Handlungen ihrer Figuren nicht moralisch zu bewerten oder zu verdammen. Sie zeigt sie einfach nur, ohne Erklärungen oder ausufernde Psychologisierungen – ganz beiläufig. Ab und an hätte sie zwar etwas dezenter mit der Figurenzeichnung vorgehen können, die ständigen Wodka-Flaschen an den Hälsen der Mädels beispielsweise wirken überzogen, meistens findet sie aber das richtige Maß. Katharina, Yvonne und Jenny tragen Klamotten, die man jeden Tag auf der Straße sehen kann und würden rein optisch nicht als soziale „Problemfälle“ auffallen. Und auch ihre nicht ungewöhnlichen Probleme, nichts mit sich anfangen können etwa, tragen zur Glaubwürdigkeit des Films bei.
Der Zuschauer verbringt die 80 Minuten Laufzeit dicht an der Seite der Mädchen und wird gezwungen, sich mit deren Lebensumständen auseinander zu setzen. Da Grosskopf, wie gesagt, keine Erklärungsversuche bietet, sondern nur zeigt, liegt es am Betrachter, die Frage nach dem Warum zu beantworten. Die unemotionale und kaum manipulative Inszenierung lässt ihm dafür auch genügend Freiraum. Ein Umstand, der dem Film sehr gut tut – alle anderen Konzepte wären schon im Kern zum Scheitern verurteilt gewesen.
Insgesamt ist „Prinzessin“ ein beachtlicher Film geworden, kein Meisterwerk, aber ein kraftvolles Regiedebüt, das durch einen ausgeprägten, der Geschichte angemessenen Stilwillen besticht. Gelegentlich übertreibt Grosskopf es bei der Zeichnung ihrer Figuren, die üblichen Fehler eines Erstlings weiß sie aber zu umschiffen. Nach dem Abspann beschäftigt einen die Geschichte noch weiter und das ist ein zuverlässiges Indiz dafür, dass man gerade einen guten Film gesehen hat. In den Produktionsnotizen berichtet Birgit Grosskopf von einem Jungen, der sie fragte, ob „Prinzessin 2“ schon geplant sei, weil er wissen wolle, wie es mit Katharina weitergeht. Dass der Zuschauer sich diese Frage selbst beantworten muss, ist einer der vielen Pluspunkte des Films.