Ein historisches "House Of Cards"
Von Oliver KubeDas opulent ausgestattete Kostümdrama „Maria Stuart, Königin von Schottland“ beginnt mit dem Ende – dem buchstäblichen Ende der Hauptfigur auf dem Schafott. Diesen radikalen Einstieg kann sich die als Theaterregisseurin gefeierte und in diesem Metier schon vielfach ausgezeichnete Josie Rourke bei ihrem Debüt als Filmregisseurin durchaus erlauben. Schließlich weiß doch ohnehin jeder halbwegs geschichtsbewanderte Zuschauer, dass die Rivalität zwischen Maria Stuart und Königin Elisabeth I. von England und Irland im Jahr 1587 mit der Enthauptung der Titelheldin endete.
Nichtsdestotrotz kann ein auf einer wahren Begebenheit basierendes Drama mit einem unausweichlichen, allseits bekannten Ausgang spannend, anregend und emotional bewegend sein. Dies haben in der Kinogeschichte so unterschiedliche Werke wie etwa „Cleopatra“, „Apollo 13“, „Titanic“, „Der Untergang“ oder zuletzt „Ballon“ hinlänglich bewiesen. Rourke inszeniert den bereits mehrfach verfilmten historischen Stoff (am bekanntesten ist wohl der für fünf Oscars nominierte, gleichnamige Film von 1971 mit Vanessa Redgrave und Glenda Jackson) als Melange aus intensivem Polit-Drama und klassischem Ränkespiel mit Seifenopern-Anleihen. Bei dieser Kombination verwundert es nicht, dass der Drehbuchautor Beau Willimon, der hier die Biografie „Queen Of Scots: The True Life Of Mary Stuart“ von John Guy adaptiert hat, zuvor auch schon die abgründige Netflix-Polit-Soap „House Of Cards“ verantwortet hat.
Maria Stuart (Saoirse Ronan) hat das Gros ihrer Kindheit im Ausland verbracht. Kurz vor ihrem 18. Geburtstag stirbt überraschend ihr Ehemann, der König von Frankreich. Sie entschließt sich, in ihre Heimat Schottland zurückzukehren, um dort den ihr rechtmäßig zustehenden Thron zu besteigen. Das passt wiederum Marias Cousine, Königin Elisabeth I. von England (Margot Robbie), überhaupt nicht; schließlich hatte diese das bis dahin von einem schwachen Regenten geführte Nachbarland de facto annektiert. Als Maria auch noch ihren Anspruch auf den englischen Thron anmeldet, entbrennt zwischen den Herrscherinnen ein Machtkampf, der in einen Krieg zu eskalieren droht. Hinter den Kulissen versuchen derweil auf beiden Seiten Politiker sowie Kleriker ihre eigene Agenda durchzudrücken. Kann ein geheimes, persönliches Treffen der Königinnen eine im Kern von beiden angestrebte, friedliche Lösung bringen?
In einer Welt, die nahezu ausnahmslos von Männern bestimmt wird, agieren zwei starke Frauen mit Intelligenz, Geschick und Durchsetzungsvermögen. Dennoch lassen beide Monarchinnen im Verlaufe der Handlung immer wieder zu, dass sie zu Marionetten der Männer werden, die eigentlich ihre ergebenen Untertanen, ihre weisen Berater, ihre loyalen Vertrauten oder liebevollen Partner sein sollten. Welchen Lauf hätte die Geschichte genommen, hätten diese mit einer nur schwer greifbaren Fülle an Macht ausgestatteten Frauen zusammengearbeitet, statt sich von den Kerlen in ihrem Umfeld in einen fatalen Konkurrenzkampf hineinmanipulieren zu lassen?
Obwohl die Monarchinnen Tag und Nacht von ganzen Heerschaaren an Bediensteten und Beratern umgeben sind, sind sie vermutlich die einsamsten Menschen auf der Insel, die sich ihre Reiche teilen. Dabei hätten sie nicht nur bluts- und seelenverwandt, sondern Partnerinnen, vielleicht sogar Freundinnen sein können. Immer wieder versucht die Maria Stuart ihrer Gegenspielerin in Briefen eine Kooperation nahezulegen. Immer wieder ist diese versucht, die Angebote anzunehmen. Und doch kommt es nicht dazu. Denn stets intervenieren Elisabeths Höflinge und Minister. Mal aus eigensinnigen, niederen Gründen wie Gier und Geltungsdrang, mal aus politischer Kurzsichtigkeit oder religiöser Verbohrtheit suggerieren sie ihrer Herrscherin, Maria wolle sie hintergehen, sie ausmanövrieren und habe es lediglich auf ihren Thron abgesehen.
Auf eine verdrehte Weise stimmt das sogar. Denn auch Maria ist vor Einflüsterungen und Manipulationen nicht gefeit. Diese kommen zum einen von Seiten ihres unehelichen Halbbruders James (James McArdle, „Star Wars: Das Erwachen der Macht“), der an Marias Stelle das Land regierte, bis diese aus Frankreich zurückkehrte. Zum anderen verfolgt ihr Prinzgemahl, der charmante und heimlich homosexuelle Lord Darnley (Jack Lowden, „Dunkirk“), den Plan, selbst zum König aufzusteigen. Darüber hinaus predigen die Vertreter der katholischen Kirche konstant, sie sei das einzig legitime Staatsoberhaupt – nicht nur Schottlands, sondern auch des unter Elisabeth I. protestantisch gewordenen Englands.
Sowohl Saoirse Ronan („Lady Bird“) als auch Margot Robbie („Suicide Squad“) agieren auf Oscarniveau. Interpretieren sie ihre Rollen doch mit viel Verve und Leidenschaft. Robbies Part mag zwar etwas kleiner sein, ist aber dafür vielschichtiger. Ihre Elisabeth wirkt fast wie eine Art Bösewicht, da der Zuschauer über weite Strecken die Perspektive der rational erscheinenden Maria Stuart einnimmt. Das Ringen mit ihrer Cousine, die angespannte Situation am eigenen Hof sowie ihr unglückliches Liebesleben und das damit verbundene Fehlen eines direkten Thronfolgers hinterlassen Spuren an Psyche und Physis der Königin, welche äußerlich durch Haarausfall und starke Hautirritationen sichtbar werden. Zu Beginn noch eine attraktive Frau, nimmt ihr Aussehen immer groteskere Züge an. Versuche, diese Mängel mit Hilfe weißer Schminke und grellroter Perücke zu kaschieren, rufen unwillkürlich Erinnerungen an den fiesen „Es“-Clown Pennywise hervor.
Auch der Rest des auffallend multi-ethnischen Casts – gespickt mit Stars wie Guy Pearce („Memento“), David Tennant („Doctor Who“), Adrian Lester („Hustle“) oder Gemma Chan („Crazy Rich“) – weiß zu überzeugen. Komponist Max Richter („Miss Sloane“) verstärkt mit seinem zwischen keltisch angehauchtem Klassik-Bombast und atmosphärischen Ambient-Klängen variierendem Score geschickt die Emotionen. Hauptverantwortlich dafür, dass der aufgrund vieler Dialoge und Rourkes Background gelegentlich in Richtung Theater abzudriftende Film, ein leinwandwürdiges, episches Antlitz erhält, sind aber vor allem John Mathiesons stimmungsvolle Bilder. Der Kameramann hat keine Scheu, ganz nah an die Charaktere heranzugehen, um wenig später weit aufzuziehen und so die Dimensionen ihrer Handlungen zu illustrieren.
Ähnlich exzellent setzte er dieses Stilmittel auch schon in Ridley Scotts „Gladiator“ oder James Mangolds „Logan“ ein. Speziell die zentrale Szene des Films, als sich Maria und Elisabeth bei einem konspirativen Treffen in einem Waschhaus auf dem Lande gegenüberstehen, ist ein wahrer Augenschmaus. Und egal, ob geschichtlich belegt oder nicht (offiziell haben sich die beiden nie getroffen, worüber frühere Adaptionen einfach hinweggegangen sind, während Rourke ihnen nun ein geheimes Treffen ohne ihre Berater und Geschichtsschreiber „andichtet“): Ohne diesen herausragend gefilmten Schlüsselmoment zwischen wehenden Tüchern wären die jeweiligen Entscheidungen der Königinnen nur halb so tragisch und würden sie nicht ansatzweise so berühren, wie sie es dank dieser Begegnung letztlich tun.
Fazit: Saoirse Ronan und Margot Robbie brillieren mit ihren Darstellungen in einem historischen Drama um den frühneuzeitlichen Machtkampf zwischen Maria Stuart und Elisabeth I. Provokante Dialoge und eine exzellente Kameraarbeit verhindern dabei, dass der trotz bekennend feministischer Haltung eher traditionell inszenierte Film allzu steif oder spröde daherkommt.