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    Nightmare Detective
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Nightmare Detective
    Von Björn Becher

    Dass man im Horror-Kino sogar in den eigenen Träumen ums Überleben fürchten muss, ist spätestens seit Wes Cravens Nightmare – Mörderische Träume bekannt. In „Nightmare Detective“ greift der japanische Kultregisseur Shinya Tsukamoto dies auf und lässt sich Gut und Böse ein Duell in unseren Träumen liefern. Vordergründig ein übernatürlicher Horrorfilm mit einigen blutigen Szenen, liefert er dabei vor allem ein Blick auf eine krankende japanische Gesellschaft.

    Zwei mysteriöse Todesfälle beschäftigen die Tokioter Polizei. Auf der einen Seite handelt es sich offensichtlich um Selbstmorde, auf der anderen sprechen zahlreiche Umstände gegen eine Selbsttötung. Die junge, auf eigenen Wunsch frisch zur Mordkommission versetzt Polizistin Keiko Kirishima (Hitomi) entdeckt einen Zusammenhang. Kurz vor dem Tod wählten beide Opfer die Zahl „0“ auf ihrem Mobiltelefon. Während ein älterer Kollege (Ren Osugi) die Fälle schnell zu den Akten legen will, bleiben Keiko und ihr junger Assistent Wakamiya (Masanobu Ando) am Ball und finden eine Spur, die zu den Träumen der Opfer führt. Hilfe scheint ein junger Mann zu bringen, der als „Nightmare Detective“ (Ryuhei Matsuda) in die Albträume von Menschen eindringen kann, um ihnen bei der Bewältigung ihrer Vergangenheit zu helfen. Und als Wakamiya und dann auch Keiko selbst die „0“ anrufen und eine mysteriöse Stimme sprechen, scheint der „Nightmare Detective“ ihre einzige Rettung.

    Mit seinem Experimentalfilm „Tetsuo“ gelang Multitalent Shinya Tsukamoto 1989 ein innovativer Hit, der schnell zum Kult avancierte. Seitdem steht Tsukamoto für experimentelle Ideen und starke Bilder, was mit seinem 2004 auch in den deutschen Kinos einen respektablen Erfolg erreichenden Arthouse-Meisterwerk „A Snake Of June“ seinen Höhepunkt feierte. Doch Tsukamoto, der neben Regie meist auch für Drehbuch, Hauptrolle, Kamera und Schnitt zuständig ist, lief in letzter Zeit Gefahr, sich zu selbst zu wiederholen. Vor allem sein klaustrophobischer Horrorfilm Haze beschränkte sich über weite Strecken auf eine Ergötzung an den eigenen Bildern und eine Selbstdarstellungsorgie von Tsukamoto selbst. Mit „Nightmare Detective“ wollte er nun wieder einen Schritt in die andere Richtung gehen, sich selbst ein wenig zurücknehmen und auch etwas stärker einer Geschichte als nur seiner visuellen Umsetzung vertrauen. Das klappt über weite Strecken sehr gut, misslingt aber im zu flachen Finale.

    Die Geschichte und die Inszenierung nehmen einige Anlehnungen an dem spätestens seit Ringu auch im Westen sehr populären J-Horror, wobei es gleich zu Beginn einen ironischen Verweis gibt, in dem kurzzeitig die zu diesem Genre gehörenden langen, schwarzen Frauenhaare eine Rolle spielen. Wer sich aber schon vor dem nächsten Sadako-Aufguss fürchtet, kann beruhigt sein. Das spielt keine Rolle mehr. Die zu Beginn auftretenden Horrorszenen befolgen nichtsdestotrotz die Genreregeln, vermögen aber dank des hier voll zur Geltung kommenden Talents von Tsukamoto zu überzeugen. Wenn der zu Beginn noch unsichtbare Killer auf seine Opfer zusteuert, kann der Regisseur seiner Zerstörungs- und Inszenierungswut freien Lauf lassen und mit dem Einsatz leicht wackeliger Digitalkamera und ein paar ausgebleichten Farben zusätzlich Atmosphäre schaffen. Das blutige Aufschlitzen der Opfer sorgt dafür, dass der Horrorfilm nichts für schwache Nerven ist. Trotz dieses heftigen Beginns verflacht der Film aber mit der Zeit ein wenig, auch wenn er glücklicherweise immer spannend bleibt. Vor allem wenn sich die Bedrohung manifestiert und nicht mehr unheimlich unsichtbar ist, baut das Geschehen etwas ab. Für die am Ende auftretende „Kreatur“ wurde dabei extrem viel Arbeit aufgewendet, wobei der Zuschauer aufgrund hektischer Schnitte und Wackelkamera davon während des Films gar nicht so viel mitbekommt.

    „Nightmare Detective“ versteht sich ersichtlich nicht als reines Underground-Horror-Unterhaltungsprojekt, sondern auch als klaren Kommentar zur gesellschaftlichen Lage in Japan. Das Land verfügt über eine überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate, was historisch bedingt ist (der Ehrenkodex der Samurai sah bei dem Verlust der Ehre Selbstmord, den sogenannten Seppuku vor) aber auch gesellschaftlich (Ehre hat immer noch eine wichtige Bedeutung, der Verlust des Arbeitsplatzes oder Hänseleien in der Schule und daraus resultierende Minderwertigkeitsgefühle treiben überdurchschnittlich viele Japaner in den Selbstmord). In den vergangenen Jahren war dabei vor allem ein Phänomen zu beobachten: der kollektive Selbstmord, bei dem sich mehrere Selbstmordwillige per Internet zur gemeinsamen Selbsttötung verabreden. Daran knüpft der Killer in „Nightmare Detective“ an. Seine Opfer überlegen, Selbstmord zu begehen, er spiegelt ihnen vor, sich mit ihnen gemeinsam umbringen zu wollen, um dann bevor sich die Opfer es anders überlegen können, durch Manipulation in ihren Träumen die Tat zu vollziehen.

    Tsukamoto gibt wie zuvor unter anderem schon in Vital und „Gemini“ die Hauptrollen wieder an andere ab, lässt es sich im Gegensatz zu diesen beiden Werken aber nicht nehmen, eine gewichtige Nebenrolle zu spielen. Das erweist sich insgesamt durchaus als Glücksgriff. Die Rolle des Killers „0“ passt bestens zu Tsukamoto, während Ryuhei Matsuda (Demond Pond) eine genauso hervorragende Besetzung für die Rolle des gebrochenen, von seinen eigenen Dämonen gejagten „Nightmare Detective“ ist. Der in Takashi Miikes Juvenile, A Big Bang Love so kongenial mit Matsuda zusammenspielende Masanobu Ando (Battle Royale, Sakuran - Wilde Kirschblüte, Sukiyaki Western Django), einer der besten japanischen Jungdarsteller, ist in seiner Rolle als Cop-Sidekick dagegen ein wenig verschenkt und hat im Endeffekt nur die Aufgabe, an einer Stelle die Handlung voranzutreiben. J-Pop-Sternchen Hitomi hat die Hauptrolle in ihrem Schauspieldebüt dagegen mehr ihren sagenhaften Beinen (und, wie Tsukamoto in Interviews andeutet, der Tatsache, dass die Produzenten für den düsteren Stoff ein leuchtendes Zugpferd wollten) denn ihren schauspielerischen Fähigkeiten zu verdanken. Sie entpuppt sich als einziges Manko der illustren Darstellerschar, die noch von Veteran Ren Osugi (Audition, Exte, Ode an die Freude, Sonatine) abgerundet wird.

    Tsukamoto-Fans können (und werden) sicher wieder zugreifen, auch Freunden des J-Horror kann dieser sehr ungewöhnliche Genrevertreter empfohlen werden. Ein Meisterwerk sollte man zwar nicht erwarten, aber, vor allem in den ersten zwei Dritteln, überdurchschnittliche Kost bekommt man allemal geboten. Shinya Tsukamoto arbeitet übrigens schon an einer Fortsetzung. Hatte er das Gesamtwerk, zudem ihm die Idee schon kurz nach Beginn seiner Filmkarriere kam, sowieso ursprünglich als Trilogie konzipiert, hat er die Drehbücher zu Teil 2 und 3 nun zu einem Sequel zusammengefasst, das 2008 noch in die japanischen Kinos kommen soll und mit etwas Verzögerung auf Festivals und auf DVD schließlich auch den Weg nach Deutschland finden wird.

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