Das Thema „Nationalsozialistische Erziehungsanstalten“ ist bisher von der Öffentlichkeit wenig beachtet bzw. teilweise totgeschwiegen worden. Diese sogenannten Napolas waren Eliteinternate des Nazi-Regimes, die den Auftrag hatten, Führungsnachwuchs heranzubilden, der das „Dritte Reich“ zu einem „Tausendjährigen Reich“ machen sollte. Jung-Regisseur Dennis Gansel, der mit dem Teenie-Komödienhit „Mädchen Mädchen“ sein Kinodebüt feierte, wagt sich nun an den weit schwereren historischen Stoff. Sein Jugend-Nazidrama „Napola“ glänzt durch gute Schauspielleistungen und eine stimmig aufgebaute Atmosphäre. Der Überraschungsarmut in der Vorhersehbarkeit der Geschichte ist Gansel mehr oder weniger ausgeliefert.
Deutschland im Jahr 1942: Der 17-jährige Arbeitersohn Friedrich Weimer (Max Riemelt) ist ein begnadetes Boxtalent, doch sein Werdegang ist vom gestrengen Vater (Alexander Held) bereits vorgezeichnet. Nachdem die Schule abgeschlossen ist, soll er in ein paar Wochen in der Fabrik anfangen. Bei einem Boxkampf von Friedrichs Vereins wird der Napola-Ausbilder Heinrich Vogler (Devid Striesow) auf ihn aufmerksam und will den Jungen zum neuen Schuljahr für die Eliteanstalt der Nazis verpflichten. Sein Vater ist strikt dagegen und verweigert die Zustimmung. Friedrich sieht jedoch die Chance seines Lebens, fälscht die Unterschrift, verlässt sein Elternhaus und macht sich auf den Weg nach Burg Allenstein, wo die Eliteschule untergebracht ist. Zunächst ist er positiv von der Kameradschaft unter den Schülern überrascht und mit Albrecht, dem literarisch ambitionierten Sohn (Tom Schilling) des Gauleiters Heinrich Stein (Justus von Dohnanyi), entwickelt sich sogar eine Freundschaft. Als die Jungmannen bei ihrem ersten ernsthaften Einsatz Jagd auf entflohene Kriegsgefangene machen müssen, steht Friedrich vor einer schweren moralischen Entscheidung.
Lange Zeit stand die deutsche Nazi-Vergangenheit für die heimischen Filmemacher als Thema kaum zur Debatte. Nachdem Oliver Hirschbiegels wuchtiger „Der Untergang“ die Massen in die Kinos lockte, Volker Schlöndorff mit dem Kammerspiel „Der neunte Tag“ überzeugte und Marc Rothermund im Februar 2005 mit „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ auf die große Leinwand drängt, ist eine angenehme Tendenz zur eigenen Vergangenheitsbewältigung festzustellen. Auf den ersten Blick etwas überraschend nimmt sich Nachwuchs-Regisseur Dennis Gansel der Thematisierung der Nationalsozialistischen Erziehungsanstalten an. Immerhin durchliefen Berühmtheiten wie Schriftsteller und Kritiker Hellmuth Karasek, Schauspieler Hardy Krüger oder der ermordete Großbankier Alfred Herrhausen Hitlers Kaderschmieden, in denen die arische Nachwuchselite durch systematischen Drill herangezüchtet wurde. Betroffene, welche die Napolas durchlaufen haben, hüllen sich zumeist in Schweigen. Anhand der fiktiven Story des Boxtalents und Arbeitersohnes Friedrich gewährt Gansel dem Publikum in „Napola“ einen sehenswerten, sehr stimmigen, aber unaufgeregten Einblick in eine fremde, bisher verborgene Welt.
Stilistisch beweist Gansel ein feines Gespür und legt sein Jugend-Drama irgendwo zwischen dem kommerziellen Bombast von „Der Untergang“ und der kassenfeindlichen Intimität von „Der neunte Tag“ an. „Napola“ beginnt zunächst als Internatsfilm, dessen nationalsozialistischer Hintergrund sich erst mit zunehmender Spieldauer verstärkt. Festgemacht an Hauptfigur Friedrich schildern Gansel und seine Co-Drehbuchautorin Maggie Peren („Mädchen, Mädchen 1+2“, „Vergiss Amerika“) die Mechanismen des Systems. Friedrich hat mit der Ideologie der Nazis wenig am Hut, wittert viel mehr die Chance auf eine große Karriere, die ihm seine Arbeiterherkunft ansonsten verbaut. Seine Scheu gegenüber den Ausbildungsmethoden hält sich bis zu einem gewissen Grad allerdings auch in Grenzen. Erst die Freundschaft zu dem intellektuellen, aber schwächlichen Gauleiter-Sohn Albrecht nährt Zweifel und fordert schließlich eine klare Entscheidung.
Neben der sorgsam aufgebauten, authentisch wirkenden Atmosphäre, die durch den Score von David Lynchs Hauskomponist Angelo Badalamenti unterstützt wird, überzeugt „Napola“ vor allem durch sein Ensemble. Max Riemelt („Mädchen Mädchen 2“) liefert als Friedrich eine grundsolide Leistung ab und macht auch in den Boxszenen eine gute Figur. Schauspielerisch besitzt er allerdings nicht das Talent eines Tom Schilling („Crazy“, „Verschwende deine Jugend“), der für die charakterliche Feinarbeit als Albrecht zuständig ist. Schilling brilliert mit einer ausgefeilten Studie des stillen Querdenkers, der seinem Umfeld hilflos ausgeliefert ist. Für weitere Glanzlichter sorgen Justus von Dohnanyi („Der Untergang“, „Das Experiment“), der als widerwärtiger SS-Gauleiter die großspurigen Gesten des Films transportiert. Dabei bedarf es eines exzellenten Mimen wie von Dohnanyi, um nicht ins Chargieren zu verfallen.
Devid Striesow („Lichter“, „Der Untergang“) als Deutsch- und Sportlehrer Vogler sowie Michael Schenk („Duell - Enemy At The Gates“) als Schleifer Peiner bleiben dem Publikum ebenfalls in Erinnerung. Während sich Striesows Charakter zwar stilschweigend der Ideologie der Nazis angeschlossen hat, hat er eigentlich nur den Boxsport in Sinn und versucht, seine Position als Plattform zu nutzen. Schenks sadistischer Ausbilder steht dagegen zu den Methoden und vertritt sie vehement. In einer der eindringlichsten Szenen lässt er einen Bettnässer samt Matratze auf dem Hof antreten und darauf urinieren, um ihn von seinem Leiden zu „heilen“.
Der Schwachpunkt von „Napola“ liegt in der vorgezeichneten Dramaturgie. Der Film ist frei von großartigen Überraschungen und Wendungen. Die Ereignisse zum Ende kündigen sich bereits vorher an. Dabei ist den Autoren noch nicht einmal ein Vorwurf zu machen, da sich kaum andere Lösungsmöglichkeiten bieten. Vorzuwerfen ist Gansel höchstens seine Unentschlossenheit. Die Systemkritik gerät manchmal zur Nebensache, wenn er die Geschichte der Freundschaft zweier Heranwachsender erzählt. Doch diese Mängel sind Kleinigkeiten, die einem guten, mutigen und gelungenen Film kaum einen Abbruch tun.