In den Achtzigern überragte Michael Jackson das gesamte Popbusiness. Ausschlaggebend hierfür war die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit Quincy Jones, der Jacksons ins Stocken geratene Solokarriere auf Hochglanz polierte. Die drei von ihm produzierten Alben „Off The Wall“, „Bad“ und „Thriller“ verkauften sich wie geschnitten Brot und verdienten sich mühelos ihren Platz im Pophimmel. Infolgedessen stieg das Interesse an Michael Jackson ins Unermessliche. Der Sänger strich für einen Werbevertrag mit Pepsi eine zweistellige Millionengage ein. Die Fans standen sich für Konzertkarten die Beine in den Bauch. Zusätzlich angeheizt wurde die „Jacko“-Faszination durch die wegweisende Musikvideoarbeit. Der von John Landis („American Werwolf“) inszenierte „Thriller“-Clip ist ein dreizehnminütiges Grusical, Martin Scorsese (Taxi Driver) ließ ihn als Gangmitglied richtig „Bad“ aussehen, und „Billie Jean“ war unerlässlich für die Akzeptanz farbiger Künstler auf MTV. Vermutlich offenbart diese künstlerische Herangehensweise an die Gestaltung der Videoclips, dass Michael Jacksons Erfolgshunger noch nicht mit der Eroberung der Musikgeschichte gestillt war. Nächster Stopp sollte der Thron der Traumfabrik Hollywood werden – doch der Triumph von „Moonwalker“ an den Kinokassen hielt sich trotz Jacksons enormer Popularität in Grenzen. Aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Budget flimmerte der Film nur außerhalb der Staaten über die Leinwände. In den USA dagegen erschien das Werk nur auf dem Heimvideomarkt zurück – und heimste eine achtfache Platinauszeichnung ein. Unabhängig von der musikalischen und tänzerischen Ausnahmequalität des Popstars wäre es rückblickend aber wohl besser gewesen, wenn man diesen Science-Fiction-Musik-Schwachfug weltweit eingestampft hätte. Denn selbst wenn der geneigte Zuschauer eine – nachvollziehbare – Affinität zu der Musik des „King of Pop“ aufweist, ist es nahezu unmöglich, diesem zerfledderten Videoclip-Zusammenschnitt filmisch irgendetwas Positives abzugewinnen.
„Moonwalker“ präsentiert in mehreren, lose zusammengehaltenen Episoden (verlängerte) Musikvideos zu Songs des Albums „Bad“. Das Spektrum reicht von schnöden Konzertszenen („Man In The Mirror“) über abstruse Knetexzesse („Speed Demon“) bis hin zu dem Kernstück des Films: einer Verbrecher-Science-Fiction-Geschichte, die um „Smooth Criminal“ gesponnen wird. Hierbei stößt Michael mit seinen kindlichen Freunden (Kellie Parker, Brandon Quintin Adams und Sean Lennon, der Sohn von Beatle John) auf den fiesen Mr. Big (Joe Pesci, Oscar für GoodFellas), der die Welt mit seinen Drogen überfluten will.
Der eigentliche „Smooth Criminal“-Abschnitt ist Videoclipkunst in absoluter Perfektion. Bereits das eröffnende Schnippen der Münze in eine Jukebox ist an Lässigkeit nur schwer zu überbieten. Dazu ist die Choreographie der Tanzschritte bestechend und wird von dem famosen „Anti-Gravity-Lean“ ins Unermessliche gesteigert. Die um den Tanzexzess gesponnene Handlung ist allerdings eine Frechheit sondergleichen. Völlig einfallslos hampeln seelenlose Charaktere in den üblichen Klischees herum. Jegliche Logik wird auf den Kopf gestellt und die Szenerie mit stilistischen Nebel- und Zeitlupeneffekten unsinnig aufgepeppt. Dass für diesen Schmarrn kein Schauspieltalent erforderlich ist, ist wohl kein Geheimnis. Michael Jackson ist einfach der unschuldige Strahlemann, der emotionslos in das Abenteuer hineinstolpert. Überboten wird dieser Irrsinn dann aber noch von dem wohl jegliche Gehirnzellen umhauenden Showdown.
Aber man sollte das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Denn vor der „Smooth Criminal“-Episode geht bereits so vieles in die Hose, dass man die verstrichene Filmzeit noch einmal zurückdrehen muss: Der eröffnende Appell an das Gute im Menschen ist zwar überlang, mit zusammengebissenen Zähne übersteht der Zuschauer aber auch diesen „Man In The Mirror“-Clip ohne größere Schäden davonzutragen. Doch darauf folgt die wohl egozentrischste und selbstverliebstete Lebenschronologie der Filmgeschichte. Mit Filmschnipseln, Bildern und Zeitungsartikeln wird das anbetungswürdige Leben des „King of Pop“ in einer nicht enden wollenden Montage zusammengefasst. Er tanzt, wird auf dem Cover des Time Magazines gezeigt, tanzt, badet förmlich im Meer seiner Fans und tanzt noch ein wenig mehr. Es ist wirklich unglaublich, wie jemand einen derartigen Filmnarzissmus auf Zelluloid bannen kann. Aber selbst diesem selbsterrichteten Denkmal lässt sich noch etwas Amüsantes abgewinnen: Kurze Zeit später wird der großartige und mit einem Grammy ausgezeichnete Animationsclip zu „Leave Me Alone“ eingespielt – dieser schlägt interessanterweise in eine völlig andere Kerbe. Soeben war es noch ein wunderbarer Segen, auf den Titelseiten der Tageszeitungen zu erscheinen – nun aber sind die bösen, rücksichtslosen Paparazzi ein Fluch, dem sich ein gigantischer Super-Michael-Jackson entgegenstellt. Die Naivität, mit der der Film zusammengeschnitten wurde, ist mitunter fast schon liebenswert.
Erstaunlicherweise gleicht „Moonwalker“ neben dieser kindlichen Einfalt zeitweise einem losgelösten Drogentrip. In der „Speed Demon“-Episode wird Jackson von aufgebrachten Knetfiguren verfolgt und verwandelt sich selbst in einen Knethasen. Dass dieses Langohr mit seinen Verkleidungsspäßen (er taucht etwa als Sylvester Stallone oder Tina Turner auf) leicht an Bugs Bunny erinnert, ist wohl reiner Zufall. Doch diese Tiermetamorphosen sind noch lange nicht die surreale Krönung des Films. Auf der Flucht vor Mr. Big transformiert sich „Jacko“ zeitweise in einen schnittigen Sportflitzer. Um dem unberechenbaren Widersacher endgültig die Stirn zu bieten, wird der „King of Pop“ außerdem zu einem schießwütigen Roboter und schließlich sogar zu einem kampfstarken Raumschiff (!) ummodelliert. Eine Wendung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte: Der den Frieden predigende Mann, der zuvor noch Bilder von Martin Luther King, Mahatma Gandhi und dem Papst in seine Videoclips montierte, bläst urplötzlich eine ganze Armee aus den Socken.
„My producer is doing this to me, isn't he? I asked for a BAD guy and he gives me Michael Jackson?“ – Steven Spielbergs Knet-Alter-Ego
Auf dem absoluten Höhepunkt seiner Karriere verlor der damals unbestrittene „King of Pop“ langsam jegliche Bodenhaftung. So ist „Moonwalker“ vor allem eine gigantomanische Michael-Jackson-Selbstbeweihräucherung, die inhaltlich nur schwer zu ertragen ist. Zwar fällt die Qualität der einzelnen Videoclip-Segmente überwiegend großartig aus – sobald aber versucht wird, eine Handlung zwischen die Musikstücke zu quetschen, beginnt selbst für den größten Michael-Jackson-Fan eine Tortur aus schlechten Dialogen, miesen Schauspielern und einer dämlichen Dramaturgie. Hätte „Jacko“ seine treuen Fans doch nur mit diesem Käse verschont…