Der Dokumentarfilm „Mädchen am Sonntag“ ist der dritte Teil der digitalen Kurzfilm-Reihe 99euro-Films, die von RP Kahl und Torsten Neumann als Produzenten begründet wurde. Wurden bei „99euro-films“ (2002) und „Europe – 99euro-films 2“ (2003) die einzelnen Segmente noch von verschiedenen deutschen bzw. europäischen Regisseuren inszeniert, ist im dritten Teil Kahl für alle Episoden selbst verantwortlich. Aber auch er hielt sich streng an die Vorgaben: ein Drehbudget von maximal 99, kurze Zeitspannen zwischen Planung und Dreh sowie ein digitales Aufnahmeformat.
Laura Tonke, Inga Birkenfeld, Nicolette Krebitz, Katharina Schüttler – wer sich im deutschen Kino richtig gut auskennt, hat jetzt bestenfalls zu drei der Namen ein Gesicht vor Augen. Die breite Masse muss sich wohl aber damit begnügen, von einer, vielleicht von zweien schon mal etwas gehört zu haben. Kein Wunder – seitdem sich das größere deutsche Kino nur noch auf Brachialkomödien, den Zweiten Weltkrieg und Daniel Brühl beschränkt, ist es selbst den Talentiertesten der jüngeren Schauspieler-Generation kaum noch möglich, sich dauerhaften Starruhm zu erarbeiten. Einzige Ausnahme ist die omnipräsente Alexandra Maria Lara, alle anderen Schauspielerinnen unter 40 verschwinden regelmäßig zusammen mit ihren aktuellen Filmen aus den Medien und damit dem Blickfeld des Zuschauers. Das ist nicht nur schade, weil sie aufgrund ihrer Leistungen mehr Beachtung verdient hätten, sondern vor allem, weil sich unter ihnen die ungewöhnlichsten Typen finden lassen, die es sich auch abseits der Leinwand zu entdecken lohnt. Regisseur und Produzent RP (Rolf Peter) Kahl liebt seine Darstellerinnen und hat ihnen nun mit „Mädchen am Sonntag“, stellvertretend für eine ganze Generation hochbegabter, aber nicht ausreichend gewürdigter Schauspielerinnen, ein filmisches Denkmal gesetzt.
Im Dogma-Stil mit einfacher Digitalkamera und ohne künstliche Beleuchtung interviewt er die Frauen in ihrer mehr oder weniger natürlichen Umgebung, wobei er die Fragen dem Zuschauer nicht frei Haus mitliefert. So wird der Kinobesucher, indem er sich die Fragen aus den Antworten selbst zusammenbasteln muss, mit in das Gespräch einbezogen. Für ihn fühlt es sich an, als würde er die vier Mädchen von der Leinwand tatsächlich kennen lernen, mehr als nur ein unbeteiligter Beobachter sein.
Die erste Episode gehört Laura Tonke (Jahrgang: 1973), die vor allem durch kleine Filme großer Regisseure Bekanntheit erlangt hat. Ohne eine Ausbildung auf der Schauspielschule spielte sie als 17-Jährige ihre erste Rolle in Michael Kliers „Ostkreuz“, es folgten unter anderem Tom Tykwers „Winterschläfer“ (1997), Rudolf Thomes „Just Married“ (1998), Dominik Grafs „Bittere Unschuld“ (1999), Christopher Roths „Baader“ (2002) und 2004 ihr bisher letzter großer Erfolg „Farland“, wieder unter der Regie ihres Entdeckers Klier. In einem kargen Hotelzimmer und bei einem Strandspaziergang im Nebel erzählt sie Anekdoten aus ihrem Berufsleben, mit welchem Regisseur sie besser oder schlechter kann, wie unwirklich die Verleihung der Goldenen Kamera als beste Nachwuchsschauspielerin (2000) für sie war oder inwieweit sich ihre Herangehensweise an Rollen über die Jahre verändert hat. Das alles mag für Freunde des deutschen Autoren- und Independent-Kinos nicht uninteressant sein, richtig spannend wird es aber erst dann, wenn Tonke ins Persönliche abgleitet. Trotz ihrer immensen Erfahrung und vielen Auszeichnungen ist auch sie nicht vor der Angst gefeit, die viele Mitglieder ihres Standes in der bedrückenden Wartezeit auf die nächste Rolle befällt: Vielleicht war’s das jetzt mit meiner Karriere, vielleicht bekomme ich nie wieder einen Job. Tonke erzählt von diesen Phasen aber nicht etwa mit Trauer oder gar Wut in der Stimme, vielmehr nutzt sie heiteren, hintergründigen Humor, um ihre Gefühle zu beschreiben. Der Zuschauer merkt so gleich, dass Tonke das Ungetüm Filmgeschäft verstanden hat und findet sie, die ihren Beruf mit einem aus Furcht weinenden, aber auch mit einem ironisch lachenden Auge sieht, einfach nur sympathisch.
Nach einer ganzen Reihe von TV-Produktionen und kleineren Parts in „Das weiße Rauschen“ und Die innere Sicherheit schlug Katharina Schüttlers Auftritt als schwangeres Mädchen, das auf der Suche nach Antworten durch die Hamburger Nacht wandert und dabei die übelsten Dinge erlebt, im Skandalfilm „Sophiiiie!“ (2002) ein wie eine Bombe. So konsequent und schrankenlos hatte man das deutsche Kino selten erlebt. Im Interview aber erzählt sie uns, dass diese Rolle ihrer Karriere gar nicht so gut getan habe, verschiedene Casting-Agenten hätten ihr schon geraten, Szenen aus „Sophiiiie!“ von ihrem Promoband zu löschen, besetzungswillige Regisseure würden sonst abgeschreckt. Auch ihre anderen Geschichten lassen tief in die deutsche Film- und Theaterszene blicken, den schönen Schein der Glitzerwelt ganz schnell verblassen. So ist die zweite Episode, auch wenn Schüttler trotz romantischer Schlittenfahrt bei Schneefall und Einblicken in die Privatwohnung eher pragmatisch und distanziert bleibt, immer noch spannend genug.
Nun sind vierzig Minuten und damit die Hälfte des Films vorbei. Es wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, aufzustehen und nach Hause zu gehen. Was jetzt noch kommt, zieht einen tollen Film unnötig nach unten. Inga Birkenfeld hat erst kürzlich ihre Ausbildung am Europäischen Theaterinstitut in Berlin absolviert, danach in einigen Kurzfilmen und einem Theaterstück mitgewirkt. Das Ziel, das Regisseur Kahl mit dieser Wahl verfolgte, ist klar: Er wollte auch von den Vorstellungen und Hoffnungen einer Schauspielerin erzählen, die noch unbefleckt jeglicher Erfahrungen am Anfang ihrer Karriere steht. Eine gute Idee, die aber auf ganzer Linie daran scheitert, dass Birkenfeld wenig zu erzählen hat, man sich zwanzig Minuten lang nur langweilt und am Ende des Films schon nicht mehr weiß, worüber sie eigentlich gesprochen hat.
Langeweile ist das eine, aber das Konzept des ganzen Films in Frage zu stellen noch etwas viel Schlimmeres – und genau das tut Kahl mit seiner letzten Episode. Wenn Nicolette Krebitz, die erfahrenste der vier Schauspielerinnen und seit „Jeans“ (2001) selbst Regisseurin, gedankenverloren durch Kunstgalerien wandelt und mädchenhaft über Bächlein springt, nimmt man ihr die träumende Künstlerin kaum ab. Als sie dann auch noch nachts unter einer Treppenhausbeleuchtung interviewt wird, die - ach, wie lustig - immer wieder ausgeht, wenn sich keiner bewegt, ist die Grenze zur laienhaften Selbstinszenierung längst überschritten. Von dem Versuch, die Frauen abseits der Mainstream-Medien zu zeigen, bleibt nicht viel übrig, es fühlt sich fast an, als würde Krebitz sich selbst als weitere Rolle spielen. So bröckelt unweigerlich auch das Vertrauen der Zuschauer in den gesamten Film.