Schon oft wurde versucht, das komplexe Netz aus Förderbänder, stillgelegten Hallen und unendlich vielen Lagerräumen, das sich Flughafen nennt, filmisch zu entwirren – zuletzt probierten sich Veit Helmer mit „Tor zum Himmel“ und Steven Spielberg mit Terminal an dieser schwierigen Aufgabe. Regisseurin Marina Caba Rall geht mit ihrem Low-Budget-Drama „Last Minute“ einen anderen Weg. Sie benutzt den Flughafen Berlin-Schönefeld nur selten als Labyrinth, beschränkt den Spielort sogar die meiste Zeit kammerspielartig auf einen einzigen Abstellraum. Vielmehr versucht sie die politische Bedeutung dieses Ortes, an dem Menschen abgeschoben oder gar nicht erst reingelassen werden, für ihren Film zu nutzen. Zweifelsfrei steht sie mit ihren Aussagen dabei auch auf der richtigen Seite, aber leider verdrängt der Holzhammer, mit dem dem Zuschauer die Ideale eingetrichtert werden sollen, im Verlauf der Handlung immer mehr die eigentlichen Themen.
Heike Eggert (Petra Kleinert) ist in ihren Vierzigern und hat eine Führungsposition in der Putzkolonne eines Berliner Flughafens inne. Angenervt von Kindern und einem fremdgehenden Mann hat sie sich in ihrem persönlichen Abstellraum für Putzmittel ein Refugium aus mallorcanischen Postkarten errichtet. Die halb so alte, eher alternativ eingestellte Nina Winter (Katharina Schmalenberg) musste gerade feststellen, dass sie ungewollt schwanger ist, trotzdem macht sie sich auf den Weg zu ihrem neuen Job in Frau Eggerts Team, Hartz 4 sitzt ihr im Nacken. An diesem Morgen geht es am Flughafen drunter und drüber, überall wurden zusätzliche Kontrollen eingerichtet, ein unglaubliches Polizei-Aufgebot ist vor Ort, scheinbar ist ein Abschiebehäftling entflohen. Der Häftling heißt Kawa (Ercan Durmaz), ist Kurde und läuft den beiden Putzfrauen bei ihrer Arbeit genau in die Arme. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hecken die drei gemeinsam einen Plan aus, um Kawa an den Absperrungen vorbei nach draußen zu schleusen…
Das Interessanteste an „Last Minute“ ist die Beziehung zwischen den beiden Frauen Heike Eggert und Nina Winter, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Nachdem sie Kawa entdeckt haben, ist für die konservative Frau Eggert sofort klar, dass wenn die Polizei einen Kerl sucht, dann hat der auch was ausgefressen. Für Nina, die selbst schon genug Probleme mit der Obrigkeit hatte, ist es hingegen sogar noch ein Grund mehr, Kawa zu helfen. Diese Konstellation spiegelt wunderbar die verschiedenen Einstellungen wider, die man zum Staat haben kann. Obwohl es Frau Eggert eigentlich sehr schlecht geht, vertraut sie noch immer auf die alten Werte. Für Nina hingegen besteht die Hoffnung gerade darin, dass vielleicht nicht alles beim Alten bleiben muss. Dagegen fällt die Zeichnung des kurdischen Flüchtlings, der das Leben der Frauen zumindest für einen Tag gehörig aufwirbelt, schon ziemlich ab. Um sicher zu gehen, dass der Zuschauer auch wirklich Sympathien für die Pro-Asyl-Haltung des Films entwickelt, wurde aus Kawa gleich ein poetischer Mediziner gemacht, dessen Ansätzen von Frauenfeindlichkeit nur in einigen Szenen und dann auch nur auf verniedlichte Weise angedeutet werden.
Im weiteren Verlauf wird das politische Kammerspiel nach und nach immer mehr mit kurzen Frauenpower-Actionszenen und leichteren Thrillerelementen angereichert. Leider hat sich Regisseurin Rall für diese Momente rein inszenatorisch nicht viel einfallen lassen, was zum größten Teil auch am sehr geringen Budget gelegen haben mag. Aber wahrscheinlich wäre es um einiges intensiver gewesen, wenn sich der Film komplett auf die intime Atmosphäre der Abstellkammer beschränkt hätte. Zu erzählen hätte es genug gegeben, zum Beispiel hätte man sich vielmehr Zeit für die Entwicklung von Frau Eggert von der Obrigkeitshörigen zum Menschenfreund nehmen sollen. In der jetzigen Fassung kippt sie einfach so um, weil sie auf sehr plumpe Art mitbekommt, dass Kawa in der Türkei gefoltert wurde. Ihre wahre Intention wird bis zum Schluss nicht deutlich, ob aus Einsicht, Freundschaft oder gar erotischen Gründen bleibt im Dunkeln.
Auch wenn das erwartete Happy End wirklich gelungen ist, weil die beiden Frauen ihr Abenteuer zwar erfolgreich überstanden haben, sie im Endeffekt aber einfach wieder in ihre problembeladenen Leben zurückkehren, haftet dem Film ein bitterer Nachgeschmack an. Der politische Kahlschlag hat nämlich trotz aller positiven Ansätze eine zu tiefe Schneise hinterlassen. Irgendwann verlagert sich die angebrachte Kritik in undifferenzierte Polemik. So werden zum Beispiel die Polizisten, die die Demonstranten davon abhalten, Kawa zu helfen, nur von hinten gezeigt und so auf äußerst eklige Weise zu gesichtslosen Monstern degradiert. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass die junge Regisseurin Marina Caba Rall mit ihren bewundernswerten Ansichten und ihrem tollen Engagement zurückkommt und vielleicht einen durchdachteren, wenn auch genau so wütenden Film wie „Last Minute“ abliefern kann.