Wer war Martin Kippenberger? War er ein Maler, ein Lebenskünstler, ein Provokateur, oder war er alles auf einmal? Wie wurde er zu der zwiespältig diskutierten Person – von Kritikern mehrheitlich verachtet, von Fans in der Kunstszene vergöttert –, die er zu Lebzeiten war? Diesen Fragen geht die Dokumentation „Kippenberger - Der Film“ von Jörg Kobel nach. Anhand von bisher unveröffentlichtem Videomaterial und einem guten Dutzend Interviewpartnern entwirft der Regisseur ein vielschichtiges Bild des Tausendsassas und nähert sich somit dem Phänomen „Kippenberger“ ganz passabel an.
Viele Künstler werden erst nach ihrem Tod anerkannt und berühmt. In gewisser Weise war das auch bei Martin Kippenberger so. Zu Lebzeiten wurde er als verschroben, egoistisch und einfach nur provokant angesehen und von vielen Kritikern regelrecht verteufelt. Er träte der Kunst nicht mit dem nötigen Respekt gegenüber, hieß es oft. Erst heute, fast zehn Jahre nach dem Tod des Dortmunder Künstlers, beginnt man die Ausmaße und die weitreichende Bedeutung seines Lebenswerkes zu begreifen und zu schätzen. Vielleicht tragisch für Kippenberger selbst, ein Sieg jedoch für die Kunst. Warum? Was Kippenberger sich zu seiner Zeit vorgenommen hatte, war nichts Geringeres, als den bis dato vorhandenen Kunstbegriff zu verändern, die Gesellschaft und den Kunstbetrieb zu hinterfragen sowie die noch verbleibenden Möglichkeiten zeitgenössischer Kunst auszuloten. Dazu bediente er sich vielfältiger Genres, Stilmittel sowie Werkzeuge und hinterließ, als er 1997 in Wien verstarb, ein umfangreiches Repertoire an Bildern, Skulpturen, Fotografien, Büchern und Videos. Und das macht die Dokumentation deutlich: Kippenberger war ein Multitalent. Neben der Malerei war er auch Installationskünstler, Bildhauer und Fotograf. Aber vor allem war Martin Kippenberger ein hervorragender Performancekünstler, der provozierte, mit dem Begriff „Kunst“ spielte, ihn nicht selten ad absurdum führte. Sein Umgang mit Kunst war ein ironischer, was jedoch viele seiner Kritiker nicht verstanden oder nicht verstehen wollten. So erzählte er z. B. in einem Interview, er hätte das Malen aufgeben, weil es ihm zu lange dauerte. In Zukunft wolle er nur noch reden. „Reden kommt gut“, so das Statement des Künstlers und Provokateurs. Natürlich malte er weiter und wurde so zu einem der produktivsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts.
Ansatzweise arbeitet der Film heraus, wie Kippenberger sich in der Öffentlichkeit inszenierte, wie er schlagfertig, redegewandt aber auch verspielt seinem Publikum gegenüber trat und oft auf Konfrontationskurs aus war. Letztlich wirkte er auf viele so dominant, dass ihm immer wieder vorgeworfen wurde, sich zu sehr aufzuplustern und sich vor seine Kunst zu stellen. Beispielsweise als er in den späten Siebzigern und den frühen Achtzigern zusammen mit Gisela Capitain die Geschäftsführung und die künstlerische Leitung des legendären Berliner Clubs SO 36 übernahm und viele Kunstpartys in wahren Exzessen ausuferten. Leider sind Szenen, in denen Kippenberger in Aktion zu sehen ist, im Film recht rar gesät. Das entworfene Bild hätte an der einen oder anderen Stelle sicher noch besser mit „Beweismaterial“ unterlegt werden können. Es gibt schließlich reichlich davon.
Vom formalen Standpunkt aus betrachtet, ist die Dokumentation durchschnittlich. Originalaufnahmen und O-Töne wurden neben Ausschnitte aus aktuellen Interviews mit seinen engsten Vertrauten gereiht. Die Dramaturgie ist effektiv - je weiter der Film voranschreitet, desto vielschichtiger und komplexer wird das Bild von der Person Martin Kippenberger. Es wird klar, dass sich Kippenberger eben nicht auf „einfach nur provokant“ oder „einfach nur ironisch“ reduzieren lässt.
Was der Film gut zu vermitteln weiß: Die Erinnerung, die an Kippenberger bleibt, ist eine ambivalente. Er war sowohl Frohnatur als auch Melancholiker. Er wollte seine Umwelt mit seinen provokanten Aktionen sowohl auf Distanz halten, hatte jedoch gleichzeitig auch das dringende, menschliche Bedürfnis nach Nähe, nach Intimität. Plausibel gemacht wird diese Charakterisierung durch die vielen Interviewpartner, die Kobel eigens für den Film vor die Kamera holte. Ehemalige Mitstreiter Kippenbergers wie die langjährige Freundin Gisela Capitain geben Anekdoten aus ihrem gemeinsamen Handeln zum Besten; seine Frau Elfie Semotan gewährt einen intimen Einblick in das Privatleben kurz vor Kippenbergers Tod; und die Sammlerfamilie Grässlin erzählt dem Zuschauer Kippenbergers Lieblingswitz. An einigen Stellen jedoch wird die Psychologisierung zu vordergründig, z. B. als Kippenbergers Schwestern über Martin als kleinen Jungen berichten, was de facto wenig zur Interpretation seines Kunstschaffens beiträgt.
Insgesamt ist die Dokumentation – informatorisch gesehen – gehaltvoll, denn nicht nur werden bisher unveröffentlichte Aufnahmen gezeigt, die uns den Menschen Martin Kippenberger näher bringen, auch kommen Interviewpartner unterschiedlichster Couleur zur Sprache, die aus eigener Erfahrung ein umfangreicheres Bild des Künstlers im Kontext seiner Zeit zu vermitteln wissen. Am Ende jedenfalls wird Kippenbergers Motto verständlich: „Dieses Leben kann nicht die Ausrede für das nächste sein.“