Nach Alexandre Ajas High Tension wird die Tabu-brechende Splatter-Schlachtplatte „Inside“ mancherorts als der nächste große Horrorhit aus Frankreich gefeiert. Und zumindest was die erste Stunde des nur knapp 80 Minuten langen Streifens angeht, ist die Euphorie auch noch größtenteils nachzuvollziehen. Die Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury verstehen ihr Handwerk, nutzen klassische Motive wie Dunkelheit, Einsamkeit und – dank der hochschwangeren Protagonistin - Unbeweglichkeit, um mit ruhigen Bildern abseits aller trendigen Schnittstakkatos von Beginn an eine beklemmende Atmosphäre zu erzeugen. Dies gefiel im Übrigen auch Hollywood, weshalb Bustillo und Maury es Alexandre Aja (der im Anschluss an „High Tension“ das The Hills Have Eyes-Remake drehte) nachmachen und sich mittlerweile in den USA an der Neuauflage des Clive-Barker-Kultfilms Hellraiser versuchen.
Im fünften Monat ihrer Schwangerschaft wird die Fotografin Sarah (Alysson Paradis) in einen schweren Autounfall verwickelt, bei dem ihr Mann ums Leben kommt. Vier Monate später verbringt Sarah Heiligabend allein in ihrem Haus, am nächsten Morgen steht die Entbindung an. Als eine Fremde (Béatrice Dalle, Night On Earth, Crime Insiders) an die Tür klopft und vehement Einlass fordert, ruft Sarah die Polizei. Die Cops können die geheimnisvolle Frau jedoch nicht finden und nur versprechen, im Laufe der Nacht noch eine weitere Streife zur Kontrolle vorbeizuschicken. Sarah geht zu Bett – nicht ahnend, dass die Fremde sich bereits Zugang zum Haus verschafft hat und mit gezückter Schere hinter Sarahs ungeborenem Kind her ist…
Schauspielerisch lebt „Inside“ in erster Linie vom Duell der beiden Frauen. Alysson Paradis gibt als Sarah die Sympathieträgerin des Films. Dabei spielt ihr das Drehbuch tüchtig in die Hände, fiebert der Zuschauer mit einer werdenden Mutter doch fast schon automatisch mit. In ihrer ersten großen Rolle liefert die kleine Schwester von Johnny Depps Freundin Vanessa zwischen Trauer, Verzweiflung und Entschlossenheit dennoch eine ordentliche Vorstellung ab. Ihr gegenüber steht die Fremde, gespielt von der inzwischen 43 Jahren alten Genre-Ikone Béatrice Dalle, die vor 22 Jahren in der Titelrolle des französischen Klassikers „Betty Blue“ berühmt wurde. Mit ruhiger, direkter Stimme verleiht sie ihrer Figur die nötige Präsenz und verpasst der wahnsinnigen Angreiferin eine durchaus diabolische Ausstrahlung. Die anderen Darsteller bekommen in dem sowieso sehr dialogarmen Film kaum größere Szenen geboten und dienen eher dazu, den Bodycount in Gorehound-freundliche Höhen zu treiben.
Wie so viele Horrorstreifen bietet auch „Inside“ nur eine äußerst simple Charakterisierung und unterteilt schnell in gut und böse – Sarah trägt Weiß, die Fremde Schwarz. Dafür kommt der Film jedoch schnell zur Sache. Ist die Mysteriöse erst einmal im Haus, zieht die Spannungsschraube feste an und man kann selten erahnen, was als nächstes passiert. Gezielte Schockmomente erledigen den Rest, Gänsehaut ist garantiert. Besonders hervorzuheben ist eine Szene, in der Sarah vor dem Fernseher sitzt, die Kamera langsam nach oben fährt und sich im dunklen Hintergrund schemenhaft die Fremde abzeichnet – oder meint man nur, sie gesehen zu haben? Auch wenn sich Sarah nach der ersten Attacke im Bad verbarrikadiert und diese dann wie im Wahn mit einer großen Schere auf die Tür einschlägt, ist dies einer jener Momente, in denen sich die Fingernägel ganz wie von selbst im Stuhl festkrallen. Und die ersten Morde können aufgrund ihres radikalen Härtegrats durchaus schockieren.
Mit der Ankunft der Polizisten, die vermutlich zu den dümmsten Menschen in ganz Frankreich gehören, ändert sich die Lage aber leider langsam. Erste Logiklöcher tauchen auf, die einen aus der aufgebauten Anspannung herausreißen. Durch das blutig-brachiale Vorgehen der Fremden bleibt „Inside“ aber trotz dieser ersten Schwächen weiterhin sehr intensiv. Mit einer nun folgenden Erlösung der Heldin hätte man den Film stilvoll zu Ende bringen können – zwar wäre diese Auflösung reichlich vorhersehbar gewesen, hätte dem Ganzen aber zumindest noch eine tragische Note verliehen.
Doch Bustillo und Maury wollten offensichtlich mehr und haben noch einen Blut-und-Gedärm-Schlussakt angehängt, der keine Gefangenen mehr macht. Marketingtechnisch hat sich dieser sicherlich gelohnt, denn ohne dieses Gemetzel hätte der Film nicht die weltweite Aufmerksamkeit bekommen, die ihm nun zuteil wird. Je mehr sich das Haus jedoch mit Blut füllt, desto mehr geht der Film darin unter. Die Logiklöcher werden zu ganzen Gräben und so ziemlich jedes Horrorklischee von „das Böse steht wieder auf“ bis „die Heldin tötet das Böse nicht, wenn sie Gelegenheit dazu hat“ wird fleißig bedient, was den Film immer mehr ins Lächerliche zieht.
Und dann kommt schließlich das Grande Finale, über das Gore-Fans rund um den Globus sprechen – Spoiler!die Fremde reißt Sarah nur mit einer Schere bewaffnet das ungeborene Baby aus den Gedärmen Spoiler Ende!: Die hiesigen Sittenwächter werden den Film in einer ungeschnittenen Fassung sicherlich nicht allzu lange auf dem deutschen Markt verweilen lassen. Doch ob solche Szenen gegen Jugendschutzgesetze verstoßen oder nicht, soll hier gar nicht weiter diskutiert werden – vielmehr stellt sich die Frage, warum man sich so etwas überhaupt noch antut. Denn dieser vielerorts gefeierte Tabubruch ist vor allem eines: dumm und geschmacklos - was am Ende dann leider auch das Fazit für diesen über weite Strecken vielversprechenden Genrefilm ist.