Jedes Jahr das gleiche Spiel: Der große Schock kommt mit der Rechnung der Autoversicherung, am 24. Dezember ist Weihnachten und Christian Petzold wird für einen wichtigen deutschen Filmpreis nominiert. Gewinnen tut er dann auch ganz oft. „Die innere Sicherheit“ (2000), „Toter Mann“ (2002) und „Wolfsburg“ (2003) zählen zu seinen bekanntesten Filmen, aber schon viel früher hat Christian Petzold mit einer unerschütterlichen Beständigkeit einen Film nach dem anderen gedreht und ist dabei stets seinem ruhigen, fast unterkühlten Stil treu geblieben. Trotzdem muss der Mann aus Nordrhein-Westfalen jedes Jahr um die Finanzierung seiner kleinen Geschichten kämpfen und selten schaffen diese es auf die große Leinwand. Seine Filme sind lakonisch und langsam, haben aber stets eine starke Wirkung und Anziehung, da sie von Menschen erzählen, die am Abgrund stehen und dort auf einem Hochseil versuchen, das Gleichgewicht zu halten. Meistens sind es Personen, die stehlen und betrügen, wie in „Die Beischlafdiebin“, aber nur, um zu überleben. Manchmal sind es Ex-Terroristen, deren Tochter verzweifelt versucht, ganz normal erwachsen zu werden, wie in „Die innere Sicherheit“. Und manchmal erzählt Petzold die tragische Geschichte eines unglücklichen Autohändlers, der einen Unfall verursacht, bei dem ein Kind ums Leben kommt, weil er Fahrerflucht begeht. Da schafft es Petzold sogar, dass ein Benno Fürmann als guter Schauspieler bezeichnet werden kann – „Wolfsburg“. Dieser Film war 2003 im Panorama der Berlinale vertreten und dieses Jahr erwarteten alle mit Spannung das neueste Werk „Gespenster“, welches sogar im Wettbewerb lief. Die Sterne standen gut, denn der Regisseur hat erneut Julia Hummer für eine Hauptrolle verpflichtet und die Inhaltsangabe klingt mehr als spannend. Kann also nichts schief gehen, oder? Abwarten!
Françoise (Marinnne Basler) reist immer wieder nach Berlin, um ihre vor vielen Jahren entführte Tochter zu suchen. Das Gespenst ihres verlorenen Kindes will sie nicht loslassen. Dann trifft sie in der Großstadt die junge Nina (Julia Hummer), die in einem Wohnprojekt lebt und ihren Lebensunterhalt damit verdient, in Parks den Müll aufzusammeln. Doch Nina ist nicht allein. Toni (Sabine Timoteo) hat die Waise erst vor kurzem kennen gelernt. Die Gelegenheitsdiebin ist eine rastlose Person und Nina ist sofort fasziniert von ihr. Für sie würde sie alles aufgeben. Doch die schicksalhafte Frage, ob Nina Françoises Tochter ist, lässt sich durch das Aufeinandertreffen der drei unterschiedlichen Frauen, nicht leichter beantworten.
Was sich als sehr spannende Konstellation pitchen lässt und großartige Erwartungen im Zuschauer hervorruft, entpuppt sich leider beim Betrachten als ermüdend, wenig ausgereift und zuweilen sogar strapaziös. Zunächst einmal begeht Petzold den Fehler, die Geschichte einer Kindesentführung aus der Sicht des unwissenden Mädchens zu erzählen, wobei doch die Mutter die weitaus interessantere Protagonistin gewesen wäre. Der Film beginnt mit einer langen Autofahrt, bei der der Blick unerbittlich auf die triste Straße gerichtet ist. Die Szene ist unterlegt mit bedrohlich klassischer Musik und noch entsteht dadurch ein wohliges Gefühl auswegsloser Zielstrebigkeit. Doch spätestens in der ersten Szene, wo wir Nina in einem Park den Müll aufsammeln sehen, lässt diese Spannung deutlich nach, denn wo bitteschön ist denn die Protagonistin? Das soll sie sein? Eine junge Frau, die so eingeschüchtert ist, dass sie noch nicht einmal die Schultern heben kann und im Verlauf des gesamten Filmes ihre depressive Gesichtsmimik nicht um einen Millimeter ändert? Wer auf Julia Hummer steht, der kann hier vermutlich nicht ganz zustimmen, doch es muss doch erlaubt sein zu fragen, ob lange Pausen zwischen gesprochenen Wortfetzen und ein Hundeblick im Kindchenschemagesicht eine solide Schauspielleistung ist.
Auch Sabine Timoteo mit ihrer „Scheißegalhaltung“ tanzt stets auf einer Note herum und so schleicht sich langsam das Gefühl ein, dass der Fehler hier bei der Inszenierung liegt. Nina trifft auf Toni, als diese im Park von zwei Männern verprügelt wird. Nina schmeißt sofort ihren Job hin und schließt sich der wilden Toni an. Doch so richtig klar wird nicht, warum sie das tut. Dann dauert es noch mindestens zwanzig Minuten, bis sich die beiden auch körperlich näher kommen und Nina scheint dabei stets vollkommen willenlos zu sein. Doch was den Zuschauer daran interessieren soll, scheint ein Rätsel. Erst mit dem Auftauchen von Françoise, die den beiden Mädchen zufällig auf der Straße begegnet (was die Zufälligkeiten in diesem Film übrigens ein bisschen zu sehr strapaziert), beginnt eine ausreichende Dramatik, die sich allerdings, ohne jetzt zuviel verraten zu wollen, im dritten Akt komplett in Luft auflöst und somit auch seine Legitimation verspielt. Zwischendrin gehen Toni und Nina noch zu einem Casting, wo sie beide erzählen sollen, wie sie Freundinnen geworden sind. Nina beginnt schüchtern einen Traum zu schildern und anscheinend ist dies die Schlüsselszene des Films. Doch da haben Christian Petzold und Julia Hummer mit ihrer weinerlich langweiligen Art die Geduld des Zuschauers zu sehr herausgefordert. Und der Auftritt von Benno Fürmann ist erstens lächerlich klein und zweitens lächerlich überflüssig.
Ob Françoise nun Ninas Mutter ist und ob Nina dies akzeptieren kann, dass versucht Petzold gar nicht erst zu erforschen. Das Ende ist eine nasse Decke über einen Feuer, das sowieso nie richtig brennen wollte. Was im Ganzen noch erschwerend hinzukommt, ist eine schluderige und lieblose Kameraarbeit, die sich damit nur der Inszenierung anpasst. Schade eigentlich, denn Hans Fromm und Christian Petzold sind ein eingespieltes Team und haben immer in ihren tristen Landschaften und Autobahnraststätten schöne Bilder und Blickwinkel gefunden. Leider wirkt dies in diesem Film, ebenso wie die Regiearbeit, ziemlich altmodisch und kein bisschen inspirierend. Petzolds Berlin ist gesichtslos und hingerotzt, aber nicht auf eine gewollte Art und Weise. Für die Kälte in seinen Filmen, ist er bekannt, doch hier scheint er über seinen eigenen Stil gestolpert zu sein. Was in „Wolfsburg“ noch funktionierte – die langen Totalen, das kühle Licht, weibliche Hauptpersonen in körperlich anstrengenden Berufen - wirkt in „Gespenster“ wie aufgesetzt und letztendlich wie ein billiges Klischee.
Es lässt sich also nur hoffen, dass Petzold vielleicht beim nächsten Film einen anderen Stil ausprobiert und/oder wieder mehr Dramatik in seinen Stoffen zulässt. Ein Film lebt zwar auch von den Geheimnissen seiner Protagonisten, doch der Zuschauer sollte die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen, oder zumindest erahnen zu können, was sie bewegt. Ohne das, bleibt nur die Realität und bei der sind wir ja alle Experten.