Schon seit einiger Zeit flimmert der von Medienunternehmen wie dem Springer-Verlag gesponserte „Du bist Deutschland“-Werbespot, in dem Prominente wie Günther Jauch, Michael Schumacher oder Oliver Kahn Zusammenhalt-Parolen raushauen, über die Fernsehbildschirme. Aber wo dieser eklige Versuch, ein positives Nationalgefühl zu erzeugen nur dazu führt, dass die Bürger „im Sinne Deutschlands“ die Köpfe einziehen und alles schweigend ertragen, ist Franz Xaver Gernstls Dokumentarfilm „Gernstls Reisen – Auf der Suche nah dem Glück“ eine ungemein charmante, sehr unterhaltsame, aber vor allem auch glaubwürdige Liebeserklärung an unser Land und seine unterschiedlichsten Bewohner.
Bereits 1983 macht sich Gernstl das erste Mal mit seinem Freund, dem Kameramann Hans Peter Fischer auf, Deutschland zu erkunden. Mit einem grünen VW-Bus fahren sie entlang dem 10. Längengrad nach Norden, vom Allgäu zur Ostsee. Dabei haben sie immer ein offenes Auge für die außergewöhnlichsten Menschen und ihre Befindlichkeiten. Das erste Interview führen sie mit einer jungen Frau, die an einer Haltestelle auf den Bus nach Ochsenhausen wartet. Sie redet kaum ein Wort mit den beiden, nur dass es ihr gut auf dem Land gefällt, in der Stadt sei sie ja eh noch nicht so oft gewesen, können sie ihr entlocken. Aber mit der Zeit fangen die Menschen an, Gernstl von ihren Problemen und Wünschen zu erzählen. Ein Boxtrainer bricht fast in Tränen aus, als Gernstl ihn nach der Beziehung zu seiner Frau fragt – ein wirklich bewegender Moment. Bei dem Besuch eines Schlosses der Bhagwan-Sekte entdecken Gernstl und Fischer ein Kind, das im Gegensatz zu allen anderen keine roten, sondern blaue Klamotten trägt. Sie finden heraus, dass der Kleine Goyinda heißt und nicht allzu viel mit der Sekte anfangen kann. Also leihen sich die beiden Goyinda, der auch unbedingt Reporter werden will, bei der allein erziehenden Mutter kurzerhand für ein paar Tage aus und stopfen den Vegetarier mit ordentlich Hühnchen voll – berührend und urkomisch.
Auch bei Gernstls späteren Reisen gibt es die unglaublichsten Begegnungen. So trifft er, als dem VW-Bus in Villach auf einmal Ziegen den Weg versperren, den Betreiber eines alternativen Tierprojekts, einer Art Gnadenhof, auf dem die Tiere frei herumlaufen können. Auf die Frage, wie er dies den finanzieren könnte, antwortet der Mann, den man zunächst für einen Bauern gehalten hat, er sei Unfallchirurg. Und warum würde er dann nicht Golf spielen, wie es sich für einen Chirurgen gehört, fragt Gernstl. Er wäre zwar Miteigentümer des Golfplatzes, aber er würde die Leute da nicht so mögen, antwortet der Mann. In Klagenfurt hält sich ein langhaariger Mann für den neuen Jesus. Er erzählt Gernstl, dass er seine Berufung vorhergesehen hätte. “Was für eine Berufung?“, fragt Gernstl. “Die Rettung der Welt“, antwortet der Mann. “Ach so“, entgegnet der Gernstl da nur.
Es ist kein Wunder, dass Gernstls Reiseberichte Quotenrenner im Bayrischen Fernsehen wurden, mit seiner angenehm offenen und respektvollen Art nimmt er die Menschen, denen er auf seinen Fahrten begegnet, genauso schnell für sich ein wie die Zuschauer vor dem Fernseher. Einem guten Käse oder Wein, einer leckeren Wurst oder einem Schnaps nie abgeneigt, kommt er mit allen ins Gespräch und fragt jeden nach seiner ganz persönlichen Vorstellung von diesem Ding, das man allgemein als Glück bezeichnet. Über die Jahre sollte das Duo, aus dem mit Tonmann Stefan Ravasz schnell ein Trio wurde, noch viele Male durch Deutschland fahren, mal vom Westen in den Osten, mal entlang der bayrischen Staatsgrenze, oder auch quer durch die Alpen, aber immer auf der Suche nach Glück. Dabei ist soviel komisches, berührendes und interessantes Material zusammengekommen, dass die Best-Of-Kinoversion eigentlich schon lange überfällig war – aber in diesem Fall trifft es der Spruch „besser spät als nie“ glücklicherweise genau.
Wenn ein ehemaliger Theologe, der sich nun der Schafzucht und Käseherstellung verschrieben hat, Gernstl erzählt “Das ist ja was Lebendiges, so Milch und Käse. Das muss man pflegen und gute Gedanken haben. Das ist schon ein Wunder, wie aus Gras Milch wird – und Wolle“, dann schmunzelt man zwar, aber man lacht nicht über ihn. Warum sollte man auch, dieser Mensch hat scheinbar sein Glück gefunden und seine Sicht der Dinge ist nicht etwa dumm oder naiv, sondern einfach zutiefst menschlich. So wie der ganze Film zutiefst human ist, weil er die Menschen mit all ihren positiven, entdeckungswürdigen Eigenschaften, aber auch ihren Fehlern und Nöten als Ganzes feiert. Aus dem grünen VW-Bus wurde erst ein roter, dann ein blauer und dann wieder ein roter, aber Menschen, deren Geschichten es einfach wert sind, erzählt zu werden, haben die Drei in den ganzen 20 Jahren, die sie nun schon unterwegs sind, immer gefunden. So ist der Kino-Zusammenschnitt der TV-Episoden nicht nur ein ungemein unterhaltsamer Film, bei dem man genauso oft schmunzelt wie man laut loslacht, sondern auch ein höchst interessantes Dokument der jüngeren deutschen Geschichte. Und bei diesem echten Deutschland, das der Film uns zeigt, macht es dem Zuschauer mit Sicherheit nichts aus, ein Teil davon zu sein – eher ist das Gegenteil der Fall.