Die besten Kinderfilme sind meist die, an der auch Erwachsene ihren Spaß haben. Bewährt hat sich dafür die Struktur eines zeitlich begrenzten Ausfluges in ein märchenhaftes Land, in dem die Gesetzmäßigkeiten des Alltags außer Kraft gesetzt sind. Auf der Grundlage des gleichnamigen Kinderbuchbestsellers schickt Gigi van Liempd in „Erik im Land der Insekten“ den 10-jährigen Erik in ein knallbuntes Land, das mit seiner phantasievollen Ausstattung und den liebevoll gemachten Kostümen an „Alice im Wunderland“ erinnert. Die Abenteuer, die Erik zu bestehen hat, sind nicht minder aufregend als die von Alice.
Dabei ist Erik (Jasper Oldenhof) nun eigentlich alles andere als ein Abenteuerheld. Sein Selbstvertrauen baute immer auf die Unterstützung durch seinen Vater, der ihm Mut machen konnte. Seit dessen Tod hadert er mit seinem Schicksal und versucht mehr oder weniger erfolgreich, den Herausforderungen des Alltags zu entfliehen. Die aufmunternden Blicke seiner niedlichen Klassenkameradin Rosalie (Yale Sackman) machen ihn so nervös, dass er lieber galant das Weite sucht. Bei seiner Lehrerin (Lenette van Dongen) zieht diese Vogel-Strauß-Taktik allerdings nicht: Ein Referat steht an, und Sich-Drücken gilt nicht. Zu seinem Thema „Insekten“ weiß er rein gar nichts. Zum Glück hat er noch seinen Opa (Jaak van Assche). Der hat ein Gemälde von einer Wiese auf dem Speicher stehen, auf dem sich unzählige der kleinen Tiere tummeln. Auch ein Buch mit Erklärungen zum Leben der Insekten drückt ihm der Opa in die Hand. Was er nicht ahnt: in der Nacht wird Erik durch einen kleinen Trick seiner resoluten Ur-Ur-Großmutter (Trudy Labij) mitten in das Bild hinein katapultiert. Er staunt nicht schlecht, als er, geschrumpft auf Fingernagelgröße, die Welt der Insekten auf Augenhöhe kennen lernt.
Bei seiner Begegnung mit einer Wespe lernt er die erste wichtige Lektion: sich als Mensch zu outen, ist keine gute Idee, denn Menschen gelten hier erstens als gefährliche, unsensible Eindringlinge und sind als ULO (unbekanntes laufendes Objekt) bekannt, und zweitens futtern sie den Honig weg. Auf einem Hummeltaxi (Jörgen Raymann) gelangt er zum Schneckenhotel und wird aufgrund seines Büchleins schnell der gefeierte Star unter der illustren Gesellschaft von Mücken (Georgina Verbaan), Grashüpfern (StanyCrets) und Käfern (Ralph Caspers). Lediglich der Tausendfüssler (Peter van den Begin) scheint neidisch zu sein auf den schnellen Ruhm. Dabei ist Erik doch eigentlich nur auf der Suche nach dem Regenwurm (Serge-Henri Valcke), der ihm mit seiner uralten Weisheit weiterhelfen soll. Doch auf dem Weg dorthin, hat er noch viele aufregende und lehrreiche Abenteuer zu bestehen. Und dann gilt es natürlich, wieder in seine eigene Welt zurück zu kehren und sich dort der Realität zu stellen.
Die Faszination des Films begründet sich vor allem auf der grundlegenden Entscheidung des Regisseurs, das Reich der Insekten mit echten Menschen zu bestücken und nicht auf die vermeintlich einfachere Methode der Computeranimation zurück zu greifen. Dadurch gewinnen die Figuren eine Lebendigkeit und Ausdruckskraft, die auf künstlichem Wege kaum zu erreichen wäre. Die Tierchen agieren in einer Welt, in der bis ins Detail alles vorhanden ist, was man zum Leben braucht: natürlich in Insektenkompatibler Ausführung. Bei allem Humor, den die einfallsreiche Ausstattung dabei an den Tag legt vermeidet sie doch eine allzu weitgehende Verniedlichung der Tierwelt. Entsprechend sind auch die witzigen und farbenfrohen Kostüme gestaltet.
Van Liempd ist bemüht, neben der Schönheit und Vielfalt der Natur auch deren Unerbittlichkeit zu zeigen und als Notwendigkeit zu erklären. Bei aller fast schon zwischenmenschlich anmutenden Aufregung im Schneckenhotel, auf der Wiese und unter der Erde achtet das Drehbuch doch auf die Herausarbeitung der Tatsache, dass Menschen und Tiere sich nicht wirklich verstehen können. Missverständnisse machen Erik schnell klar, dass er als Mensch hier trotz seiner Intelligenz fehl am Platz und sein Aufenthalt nur Gast möglich ist. Die Flucht in andere, faszinierende Welten, zu denen man eine Art Gebrauchsanweisung in der Hand hält, ist keine Lösung für das eigene Leben und sie können auch keine neue Heimat werden. Das Reifen dieser Erkenntnis bei Erik wird wunderschön durch seine Erfolg- und Misserfolgserlebnisse gezeigt und auf dem Wege des Mitfühlens dem Zuschauer nahe gebracht.
Ansonsten fällt die Behandlung grundsätzlicher Fragen von philosophischer Dimension ziemlich holzschnittartig aus. Der Film hätte noch einiges an Überzeugungskraft gewonnen, wenn er auch seinen kleineren Zuschauern etwas mehr zutrauen würde. Den Gegensatz von Verstand und Intuition muss man nicht erst von Eriks Opi erklären lassen, um ihn dann vom Tausendfüssler wiederholen zu lassen, bis endlich Erik ihn nach einer diesbezüglichen Fehleinschätzung gegenüber der Mücke dem Schmetterling erklären kann. Ein Plädoyer für mehr Verlass auf sein Bauchgefühl kann auch weniger aufdringlich ausfallen. Hier tappt sich der Film selbst in die Falle, indem er intellektuell anspricht, was sich emotional viel eindringlicher vermitteln könnte. Dass Erik immer wieder in seinem Büchlein nachschlägt, um etwas über seine neuen Freunde und Feinde zu lernen, ruft zuweilen die schlechte Erinnerung an Lehrfilme wach, die den Unterricht aufpeppen sollten und doch die althergebrachten formalen Lehrmethoden mit anderen Mitteln fortsetzten. Gelungen und mit vielen guten Anregungen versehen ist dagegen das Arbeitsheft, das der Verleih zur Verfügung stellt. Hier werden kreative Vor- und Nachbereitungsaktivitäten zum Film vorgeschlagen, die nicht nur den Zugang zu einem Unterrichtsstoff vermitteln, sondern darüber hinaus die Persönlichkeitsentwicklung antippen. Für einen mit „Rahmenprogramm“ garnierten Film im Unterricht ist der Film bombastisch. Im Kino dürfte er durch seine märchenhafte Anlage und den gut getroffenen Erzählrhythmus ebenfalls funktionieren und gerade jüngere Zuschauer restlos begeistern.