Die beeindruckendsten Filme aus Deutschland kommen zurzeit nicht selten von Migranten der zweiten Generation. Fatih Akin heimst nicht nur einen Preis nach dem anderen ein, er produziert dabei auch noch Kassen- und Exportschlager. Vor allem bei den Kritikern verdiente sich die deutsch-kurdische Nachwuchsregisseurin Ayse Polat mit ihrem eindringlichen Drama „En Garde“ Meriten. In diese Liga kann man auch die junge Buket Alakus einreihen, die nach ihrem erfolgreichen Erstling „Anam“ nun mit ihrem zweiten Langfilm „Eine andere Liga“ eine wunderbare Geschichte vom realen Leben erzählt.
Wie durch einen Erdrutsch hat das Schicksal der 20-jährigen Hayat (grandios: Karoline Herfurth) den Boden unter den Füßen weggerissen. Die diagnostizierte Brustkrebs kann nur durch eine OP entfernt werden - und mit ihm die ganze Brust. Die leidenschaftliche und talentierte Fußballerin schafft nach einer OP kaum mehr die Treppen zur Wohnung hinauf, ihr Vater (Thierry van Werveke) überschüttet sie mit falsch verstandener Fürsorge. Zu ernsthaften Konflikten und der drohenden Zerrüttung des vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Vater „Baba“ und Tochter kommt es, als Baba ihr wegen der gesundheitlichen Risiken das Fußballspielen untersagen will. Ohne ihr Wissen meldet er sie vom hoffnungsvollen Verein ab. Aus dem Kampf des Vaters für seine Tochter wird durch seine Verbitterung zunehmend ein Kampf gegen sie.
Dem Trotzkopf ist jeder Weg recht, um sein Lebenselixier Fußball in ausreichender Menge zu bekommen. Gerade in ihrer Situation fühlt Hayat, dass das Fußballfeld eines ist, auf dem sie sich immer noch sicher bewegen und andere locker in den Schatten stellen kann. Und diese Rückenstärkung braucht sie, gerade weil sie sich ihres körperlichen Makels schmerzlich bewusst ist. Der Weg führt sie zur freakigen Mannschaft des FC Schanze in Hamburg. Während die Mädels auf dem Platz vor allem Spaß haben wollen und weder von Technik noch von Taktik Ahnung haben, lümmelt sich ihr Trainer Toni (Ken Duken) unambitioniert im Klappstuhl am Rande des Feldes und gefällt sich darin, gelegentlich den starken Mann und Frauenheld zu geben. Da hat Hayat ganz andere Vorstellungen, die sie mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Leidenschaft, Hartnäckigkeit Lebensfreude ihrem neuen Team nahe bringt. Als selbst Toni aus seiner Lethargie gerissen wird und sich erstaunlich einfallsreich um die Zuneigung Hayats bemüht, wird es kompliziert. Einerseits fühlt sie sich mehr und mehr zu dem jungen Mann hingezogen, der seine Coolness langsam ablegt und sich als einfühlsam und ebenso hartnäckig wie sie erweist. Andererseits nagt die Angst in ihr, von ihm zurückgewiesen zu werden. Stark zu sein allein genügt in diesem Falle nicht, Hayat muss lernen, offen zu ihrem Schwachpunkt zu stehen.
Alakus hat in das Zentrum ihres Films eine Story gelegt, die nahe geht, ohne sich dabei auf Sentimentalitäten auszuruhen. Mit Karoline Herfurth für die Rolle der willensstarken und doch verletzlichen Hayat ist ihr ein Glücksgriff gelungen. Die Intensität, mit der Herfurth dem emotionalen Wechselbad zwischen Trotz und Sehnsucht nach Verständnis Gestalt gibt, lässt niemanden kalt. Ihr kongenialer Gegenpart ist Thierry van Werveke als Baba Can. Seine zuweilen recht schnoddrige Art, das Töchterchen behüten zu wollen und jeder Einwirkung von außen zunächst zu misstrauen, nimmt man ihm in jedem Moment ab. Im Spiel der beiden entwickelt sich eine Dramatik, die unter die Haut geht.
Nicht ganz frei von Klischées ist die Figur des Trainers Toni. Dass ihm die Wandlung vom Dosenbier nuckelnden Macho zum einfühlsamen Gentleman glaubhaft gelingt, verdankt der Charakter dem genauen Spiel von Ken Duken. Die klugen Dialoge glaubt man ihm, weil man sieht, wie schwer sie seinem Toni zuweilen über die Lippen kommen. Als Umfeld für die Erzählung über ein brustkrebskrankes Mädchen Fußball zu nehmen, erweist sich als Entscheidung mit vielen Möglichkeiten psychischer und sozialer Aspekte, aber auch mit vielen Tücken. Dass Mädchen als Fußballer nicht explizit thematisiert, sondern als etwas Alltägliches dargestellt werden, stimmt positiv. Dass die Leidenschaft, die sich mit diesem (wie mit vielem anderen) Sport verbinden kann, zum Motor für Hayat wird, aus dem sie Energie zieht und der ihr neue Perspektiven verleiht, ist glaubwürdig. Ganz nebenbei wird durch die Mannschaftswahl auch für Sport als Bewegung mit Begeisterung anstatt als Karriereleiter mit Leistungsdruck geworben. Leider tappt das Drehbuch auch in fast alle Fallen, die der Plot bietet. Die zickigen Streitereien zwischen den Mädels wirken überzogen, während der Wechsel von Hayats bester Freundin Ali (Zarah Jane McKenzie) von der Vorzeige- zur Losermannschaft nur mit dem Glauben an die starken Bande echter Freundschaft glaubhaft ist. Die Motivierung der bunt zusammen gewürfelten Außenseiterkids und ihre Integrierung zu einer Mannschaft, die diesen Namen auch verdient, hat viel Witz und Charme. Dass Alakus nicht widerstehen kann, die Dramatik am Ende in einem Spiel der beiden Teams gegeneinander bis aufs Letzte zuzuspitzen, verleiht diesem Teil der Story einen faden Nachgeschmack und wendet den Film völlig unnötiger Weise doch noch ins Gefühlsduselige.
Sie tut damit auch der zentralen Figur Hayat keinen Gefallen, der man über die beinahe zwei Stunden gebannt in ihrer Entwicklung zusieht, eine Entwicklung, in der Alakus Zeit und Raum lässt für stille, intensive Momente. Weder dem Mitgefühl noch der Bewunderung für diese junge Frau ist etwas hinzuzufügen. Gerade deshalb wirkt die emotional überladene Schlusssequenz unpassend, so als ob der Film selbst nicht so recht an die Kraft seiner bis dahin stimmigen Erzählweise glaubt. Man wünscht sich auf jeden Fall, dass Alakus weiter Ideen entwickelt und Filme macht und man wird ihr gratulieren, wenn sie dabei bald den Mut entwickelt, ihren Stil konsequent zu halten. Bella Halben dabei an der Kamera zu belassen scheint vielversprechend für eine klare Bildsprache, die zu den lebensnahen Figuren, um die es bei Alakus bislang ging, passt. Das deutsche Kino jedenfalls sollte die talentierten Damen nicht aus den Augen lassen. Dafür, dass die WÜSTE Filmproduktion sich seit langem mit Erfolg das Ziel gesetzt hat, jungen Talenten durch langfristige Zusammenarbeit ohne überhöhten Erfolgsdruck die Chance zu bieten, einen eigenen Stil zu entwickeln, gebührt ihr großer Dank. Dass dieses Konzept sich auch in Wettbewerben und an der Kasse bewährt, zeigen die jüngsten Erfolge wie Fatih Akins Gegen die Wand oder Anno Sauls Kebab Connection.