Eigentlich galt es schon nach ihrer ersten Kinorolle in „Nach fünf im Urwald“ als sicher, dass Franka Potente eine große Karriere als Schauspielerin bevorstehen würde. Dabei war aber in erster Linie nicht das Talent „sich zu verstellen“, sondern im Gegenteil ihre nahezu unerhörte Natürlichkeit ausschlaggebend. Eine Stärke, die sie auch bei ihren nächsten Erfolgen mit Lola rennt, Anatomie und „Der Krieger und die Kaiserin“ voll auszuspielen verstand. Dann folgte mit Blow, Die Bourne Identität und der Fortsertung Die Bourne Verschwörung der Sprung über den großen Teich - auch in Hollywood überzeugte sie vor allem durch ihre erfrischende Unbedarftheit. Und nun hat sich diese Schauspielerin, die ihre Karriere ihrer ehrlichen, unverfälschten Art verdankt, für ihr gerade einmal 43 Minuten langes Regiedebüt „Der die Tollkirsche ausgräbt“ ausgerechnet einen der denkbar prätentiösesten, verquastesten und unnatürlichsten Ansätze überhaupt ausgewählt – mit ihrer schwarz-weißen Stummfilm-Komödie wagt sie sich gleich an eine der Königsdisziplinen des Kinos und verhebt sich damit ganz gewaltig.
Sommer 1918: Der Erste Weltkrieg liegt in den letzten Zügen. Auch die vormals gut betuchte Familie von Cecilie (Emilia Sparagna) hat dem Kaiser ihre letzten Reichsmark geopfert. Da kommt dem Vater (Justus von Dohnányi, Das Experiment, Vom Suchen und Finden der Liebe) der reiche Freier Alfred (Max Urlacher) gerade recht. Doch einen Tag vor der angesetzten Hochzeit von Cecilie und Alfred buddelt der Haushund im Garten eine vergrabene Mumie aus, die sich als zeitreisender Punker (Christoph Bach, Weltverbesserungsmaßnahmen, Sieben Himmel) entpuppt. Sofort verliebt sich Cecilie in den Fremden mit Pornoheft und versucht alles, um die nahende Heirat zu stoppen. Sie schleicht sogar mitten in der nebeligen Nacht in den dunklen Wald, um dort eine Tollkirsche für einen magischen Liebestrunk zu pflücken. Doch als Cecilie die Pflanze ausgräbt, spaltet sich die Erde und ein grauenhafter Dämon streckt seine vermoderten Arme nach der armen Cecilie aus – erwischt aber nur den niedlichen Wauwau…
Das grobe Gerüst von „Der die Tollkirsche ausgräbt“ entspricht einer recht herkömmlichen Stummfilmdramaturgie von geringem Interesse, deren einziger Reiz schon auf den Drehbuchseiten nur aus den eingestreuten Anachronismen wie dem sprechenden – aber dennoch schwarz-weißen!!! – Punker mit Pornoheft bestanden haben kann. Als Film serviert, gehen aber nicht einmal mehr diese auf, weil sie so beliebig und oft auch merklich unmotiviert integriert sind, dass der Zuschauer sie nur als halbgare Gags begreift und nicht mit dem Rest des Films in Verbindung setzt. Was die Slapstick-Elemente angeht, hat sich Potente nach eigener Aussage an alten Chaplin-Filmen orientiert. Aber wie Chaplin schon sagte, ist Komik in erster Linie knallharte Arbeit und dass es bis heute kaum Darsteller geschafft haben, seinen unerreichten Missgeschicken auch nur nahe zu kommen, unterstreicht diese These eindrucksvoll. Abgesehen davon, dass auch die Leute hinter der Kamera hier keinerlei Comedy-Timing beweisen, hätte auch Max Urlacher, auf dessen Schultern ein Großteil des Slapsticks lastet, als Chaplin-Nachfolger wenig fröhliche Aussichten: Wenn er erst unnötig durch das gesamte Zimmer schreitet, um sich dann angestrengt in einer entfernten Gardine zu verheddern, wirkt das zu sehr gewollt und zu wenig gekonnt.
Für Potente ist „Der die Tollkirsche ausgräbt“ auch eine Hommage, wobei sie sich, zumindest was die filmischen Stilmittel angeht, auch ausgiebig durch die komplette Stummfilm-Ära gewildert hat. Von Stopptricks bis hin zur so gern verwendeten Kreisblende, lassen sich hier viele klassische Kniffe dieser Zeit wieder finden. Leider gelingt es Potente dabei aber nie, die alten Techniken mit ihrer Geschichte in irgendeine – nicht einmal eine anachronistische – Verbindung zu setzen. Vielmehr wurde hier scheinbar alles nach dem Motto „Das habe ich irgendwo schon mal gesehen und hätte es jetzt auch gerne in meinem Film“ ohne Sinn und Verstand in die Handlung hineingeprügelt.
Und wenn Potente selbst in Vor- und Abspann absichtliche Kopienfehler wie Kratzer integriert, um einen möglichst alt wirkenden Look zu erzeugen, kommt dies eher einer Verhöhnung der alten Meister denn einer Liebeserklärung an diese gleich – hatten diese doch selbst in der Anfangszeit des Mediums mit allen nur erdenkbaren Techniken darum gekämpft, technisch möglichst kompetente Bilder auf ihr Zelluloid zu bannen. So bleibt auf der inszenatorischen Habenseite eigentlich nur die musikalische Untermalung des Filmorchesters Babelsberg. Obwohl die Komponisten Matthias Petsche, Enis Rotthoff und Stafan Maria Schneider das Genre angemessen ernst nehmen, gehen sie insgesamt doch verspielt genug an die Sache heran, um zumindest die Tonspur des Films gehörig zu entstauben.
In Zeiten, in denen der Traum von der Finanzierung eines Films immer unmöglicher zu realisieren scheint, lässt es sich eigentlich nur mit dem Namen der Regisseurin erklären, dass Produzent Stefan Arndt Geld für eine 43-minütige (und damit im Kino nahezu unvermarktbare), schwarz-weiße Stummfilm-Fingerübung bereitstellte. Auch wenn sich solch verrückten, auf normalen Wegen eigentlich undenkbaren Projekte manchmal zigfach auszahlen mögen, steht es mit regieführenden Schauspielern im Endeffekt doch wie mit singenden oder schauspielernden Models: In einigen wenigen Fällen kann das Ergebnis wirklich überzeugen. Nur ist „Der die Tollkirsche ausgräbt“ leider definitiv keine dieser positiven Ausnahmen.