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    Chloe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Chloe
    Von Andreas Staben

    Wahre Lügen" – der etwas gewagt verknappte deutsche Titel von Atom Egoyans Hollywood-Drama bringt das wesentliche Spannungsfeld im Werk des kanadisch-armenischen Regisseurs auf den Punkt. Das komplexe Verhältnis von Schein und Sein erforscht Egoyan seit Beginn seiner Karriere in kunstvoll verschachtelten Erzählungen. Nun hat der Autorenfilmer („Das süße Jenseits", „Simons Geheimnis") erstmals ein nicht von ihm selbst (mit-)verfasstes Drehbuch verfilmt und mit dem Erotik-Thriller „Chloe", dem hervorragend besetzten Remake des französischen Dramas „Nathalie - Wen liebst du heute Nacht?", legt er tatsächlich eine ungewohnt geradlinige Arbeit vor. Egoyan arbeitet in den klar definierten Grenzen des amerikanischen Genrekinos, ohne dabei jedoch seine bevorzugten Themen und Motive aufzugeben. Die mit sexueller Spannung aufgeladene Ménage-à-trois-Variante trägt so durchaus Elemente von „Eine verhängnisvolle Affäre" und eine Spur von „Basic Instinct" in sich, ist zugleich aber eine stilsichere Studie über unterdrückte Gefühle, Eifersucht und subjektive Wahrnehmung.

    Die Gynäkologin Catherine Stewart (Julianne Moore) will ihren Ehemann, den Musikprofessor David (Liam Neeson), zum 50. Geburtstag mit einer Party überraschen. Aber der Ehrengast verpasst das Flugzeug von New York zurück nach Toronto und damit das Fest. Die enttäuschte Gattin schöpft den Verdacht, dass David eine Affäre mit einer seiner Studentinnen haben könnte. Als Catherine in einem Restaurant die Edel-Prostituierte Chloe (Amanda Seyfried) kennenlernt, beauftragt sie die junge Frau, Davids Treue zu testen. Die Berichte von den erotischen Begegnungen zwischen Chloe und ihrem Mann versetzen die Ärztin in zunehmende Verwirrung und Erregung...

    Catherine will eine ihrer Patientinnen, die sich um ihr Lustempfinden sorgt, beruhigen, indem sie ihr versichert, dass ein Orgasmus nur eine bloße Folge von Muskelkontraktionen sei, während David in einer seiner Vorlesungen genüsslich die berühmte „Katalog-Arie" mit der Aufzählung der unzähligen Liebschaften von „Don Giovanni" seziert. Mit diesen zwei kleinen Szenen stecken Egoyan und seine Drehbuchautorin Erin Cressida Wilson („Secretary") das Spektrum der Sichtweisen ab: Das zutage tretende Verhältnis zum Sex bewegt sich zwischen sachlich-analytischer Entzauberung und fast mythischer Überhöhung. Und wenn es hier zu sexuellen Handlungen kommt, dann geht es trotz teilweise sehr offenherziger Szenen nicht darum, die Schaulust des Publikums mit Oberflächenreizen zu befriedigen. Ähnlich wie bei Egoyans früheren Werken „Der Schätzer" und „Exotica" sind die Figuren auf der Suche nach echter Intimität, die über die rein körperliche Stimulation weit hinausgeht.

    „Chloe" ist deutlich mehr als Anne Fontaines Original, das hauptsächlich von einer Atmosphäre schicker Anrüchigkeit und von der Aura seiner Stars Emmanuelle Béart, Gérard Depardieu und Fanny Ardant geprägt wird, eine Liebesgeschichte und daher verlässt Egoyan nach dem ersten Filmdrittel zunehmend die Pfade der Vorlage. Dabei ist Julianne Moore („Magnolia", „A Single Man") eine zwar naheliegende, aber dennoch ideale Besetzung für die mit ihrem Leben unzufriedene Catherine, die sich ihrer Qualitäten als Ehefrau und Mutter nicht mehr sicher ist. Moore ist eine Spezialistin für die Darstellung bürgerlicher Malaisen – es sei nur an ihre Meisterleistung der Sublimierung in „Dem Himmel so fern" erinnert – und so gelingt es ihr auch, die nicht immer sofort nachvollziehbaren Handlungen Catherines als Ausdruck von durch Unsicherheit getrübter Wahrnehmung und verwirrter Gefühle verständlich werden zu lassen. So reagiert sie zunächst sehr eifersüchtig auf die Schilderungen Chloes von den Treffen mit David (deren wahre Natur Egoyan, der sie elliptisch bebildert, geschickt in der Schwebe hält), ist aber schnell für die erotischen Reize dieser Vorstellungen empfänglich.

    Zu Beginn tastet sich die Kamera an Chloe heran, die in verführerischen Dessous vor dem Spiegel sitzt. Die voyeuristische Perspektive aktiviert Erwartungen und Phantasien, ein Spiel auf das sich Egoyan bestens versteht und das auch das Metier seiner Titelheldin ist. Wie das Luxus-Callgirl selbst aus dem Off erläutert, kann sie alles sein, was ihre Kunden möchten. Sie erfüllt Wünsche und verwirklicht Traumvorstellungen. Danach verschwindet sie. Die stets geschmackvoll gekleidete und diskret auftretende junge Frau, die im Ambiente schicker Bars und edler Hotels operiert, ist nicht zufällig immer wieder in Spiegelungen zu sehen. Die Figur könnte als reine Projektion missverstanden werden, als Verkörperung mehr oder weniger schwülstiger (Männer-)Phantasien, wäre da nicht die bemerkenswerte Darstellung von Jungstar Amanda Seyfried („Mamma Mia!", „Das Leuchten der Stille"). Schon in ihren Erzählungen von den Begegnungen mit David schwingt im perfekten Rollenspiel der Verführerin eine nur mühsam unterdrückte eigene Sehnsucht mit. Wie so viele Egoyan-Figuren ist Chloe auf der Suche nach der eigenen Identität und wenn sie ihre Rolle am Ende allmählich aufgibt, dann offenbart Seyfried hinter Psychopathen-Klischees die Verletzlichkeit einer verlorenen Seele.

    Sowohl die Liebesszene zwischen Catherine und Chloe, als auch die Wiederannäherung des Ehepaars sind emotionale Höhepunkte des Films. Dabei setzen die Frauen die Glanzlichter, aber das Dreieck würde ohne Liam Neesons („Schindlers Liste", „96 Hours", „Kampf der Titanen") präzise Darstellung kaum funktionieren. Der zwischen New York und Toronto pendelnde Professor ist für seine Studenten immer verfügbar, aber mit dem Heimweg zur Ehefrau ist es ihm nicht allzu eilig. David und Catherine bringen den Zustand ihrer Ehe selbst auf den Punkt, wenn sie sich fragen, seit wann sie sich nicht mehr gegenseitig vom Flughafen abholen. In die Welt der perfekten Oberfläche, die sich in den geschmackvollen und etwas leblosen Dekors sowie der stets perfekte Kadrierung widerspiegelt, hält der Zweifel Einzug. Dabei verlässt sich Egoyan über weite Strecken auf die innere dramatische Spannung der Konstellation. Erst im Schlussabschnitt gewinnen zuweilen Thrillerroutinen und Äußerlichkeiten die Oberhand.

    „Chloe" ist eine ungewöhnliche Kombination von Autoren- und Genrefilm. Dabei steht die Reflexivität des ersteren der Effizienz des zweiteren zuweilen im Wege, während die Individualität des Regisseurs im Gegenzug gelegentlich hinter den Regeln des Thrillers verschwindet. Über weite Strecken gelingt die Balance jedoch durchaus und so ist diese Mischung nicht nur in Atom Egoyans Filmographie eine willkommene Abwechslung, auch die Freunde des gepflegten Spannungs- und Schauspielerkinos kommen auf ihre Kosten.

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