Die letzten großen Abenteuer auf unserem Planeten: Existieren sie noch? Mitten in der durchzivilisierten Welt? Es ist schwierig, sie zu finden, aber es gibt sie tatsächlich noch. Der Profi-Abenteurer Mike Horn hat sich der Herausforderung gestellt und als erster Mensch die Arktis unmotorisiert auf dem Polarkreis umrundet. In 808 Tagen legte der gebürtige Südafrikaner zu Fuß, per Boot, Kajak und auf dem Fahrrad insgesamt 26.451 Kilometer zurück, trotzte Extremtemperaturen von bis zu Minus 70 Grad - und überlebte ohne größere körperliche Schäden. Von dieser abenteuerlichen Reise erzählt Raphaël Blancs solider Dokumentarfilm „Arktos - Mike Horns Umrundung der Arktis“.
Auch wenn das Ausmaß der Vermarktung bei Mike Horn, Jahrgang 1966, noch nicht die Ausmaße wie bei den Branchengrößen Reinhold Messner oder Arved Fuchs angenommen hat, ist das mediale Ballyhoo dennoch präsent. Das ist das Dilemma des Wahl-Schweizers: Im Herzen möchte er diesen Weg für sich allein gehen, ist aber auf finanzkräftige Sponsoren angewiesen, die die teure Logistik aufrechterhalten können. Horn bestreitet seine Tour-Etappen zwar allein, an den Versorgungspunkten trifft er in den gut zwei Jahren aber immer wieder auf die Mitglieder seines Logistikteams und an ausgewählten Orten sogar auf seine Frau Cathy und die beiden Kinder Annika und Jessica. Gedreht ist „Arktos“ auf DV-Cam (35 Millimeter). Die Kamera führte der Abenteuer größtenteils selbst, an den Nahtstellen der Expedition, die am Nordkap in Norwegen startete und endete, über Grönland, Kanada, die USA und Russland zurück führte, übernahmen auch Regisseur Blanc sowie Jean-Philippe Pathey und Stéphane Brasey das Filmen.
Da es keinem „normalen“ Menschen zuzumuten ist, Horn bei seiner Extremtour zu begleiten, spricht er oft direkt in die Kamera. Das hat jedoch nichts mit Selbstdarstellerei zu tun, sondern ergibt sich aus der Konstellation der Expedition und deren Dokumentation. Er erklärt während der Reise einiges zu seiner Motivation und den Schwierigkeiten, sich trotz der unmenschlichen Bedingungen gegen das Aufgeben zu stemmen. Das sind nicht wirklich tiefschürfende Gedanken, die unter diesen Verhältnissen aber auch nicht zu erwarten sind. Dennoch hätte sich der Zuschauer die ein oder andere Information zur Logistik der Tour mehr gewünscht. Dieser Teil taucht zwar in den Bildern auf, wird aber in den von Horn gesprochenen Kommentar kaum einbezogen. Vielleicht wollte er seine zweifellos herausragende Leistung nicht schmälern. Möglicherweise sind ihm diese Fakten einfach nicht wichtig, weil sie für ihn nur Randnotizen sind, sein Ziel zu erreichen. Dem Film hätten mehr Hintergrundfakten allerdings gut getan, weil sich so zwischendurch eine gewisse Monotonie einschleicht: Wechsel der Fortbewegungsart, Treffen von Einheimischen oder Freunden, den Schlitten durch den Schnee oder das Eis ziehen, Boot/Kajak fahren etc.
An mindestens zwei Stellen der Expedition stand Horn kurz vor der Aufgabe. Einmal brannte ein Feuer sein Zelt nieder und das andere Mal schlug sein Boot im Sturm leck. In diesen Krisenphasen war der Südafrikaner logischerweise so sehr mit sich selbst und dem eigenen Überleben beschäftigt, dass für die Kamera kaum Zeit war. Das ist menschlich verständlich, aber für den Film nicht förderlich. Aber dennoch bekommt der Zuschauer einen guten Einblick, welche Torturen der Mann durchgemacht hat. Die Kamera ist immer dicht dran am Geschehen und die Erfrierungen, vor allem im Gesicht, sind eindeutige Dokumente der Qualen. Doch auch, wenn es eine Qual ist, empfindet es Horn nicht als solche. „Das Abenteuer findet im Innersten statt“, sagt er an einer Stelle. Er sieht sich selbst als priviligiert, die Chance auf ein derartiges Unternehmen zu haben. Völlig losgelöst von Zeit und Raum bestreitet er seinen eigenen Kampf - gegen sich selbst und die Naturgewalten. Das fördert zwar keine paradiesisch-majestätisch hochglänzenden Bilder wie beispielsweise in Nicolas Vaniers Der letzte Trapper zu Tage, aber Aufnahmen von wunderschöner rauer Wirklichkeit. Bizarre Realitäten des Lebens findet der Betrachter vor, wenn Horn in der russischen Provinz durchs Ödland zieht, als sei er in Andrej Tarkowskijs Stalker unterwegs und die Zeit irgendwann stehen geblieben. Diese seltsam-befremdlichen, aber unglaublich spannenden Bilder tun dem Film sichtlich gut, um die strenge Chronologie der Ereignisse zu bereichern - ebenso wie die Begegnungen mit den Einwohnern vor Ort, wenn Horn kleine Siedlungen im eisigen Nirgendwo durchquert.
Wem ist „Arktos“ zu empfehlen? Wer sich schon bei der Beschreibung der Szenerie langweilt, sollte diesen Film mit hundertprozentiger Sicherheit meiden. Freunde des Abenteuer-Doku-Genres werden hier auf ansprechendem Niveau bedient. Höchstens musikalisch gibt es noch etwas zu meckern. Die Untermalung wirkt oft wie ein Werbevideo des Touristikverbandes Arktis Nord, das noch mit einer starken Dosis Phil Collins („It´s not too late“) angereichert wird. Dafür zeigen eingeblendete Grafiken immer sehr deutlich, wo sich Horn gerade befindet, so dass die Orientierung leicht fällt. „Arktos - Mike Horns Umrundung der Arktis“ ist das verfilmte Tagebuch einer außergewöhnlichen Expedition - von rauer Schönheit, aber auch spröder Natur, was in dem Gemüt des Abenteuers liegt. In den letzten Tagen des Septembers 2004 beendet Horn, was er Anfang August 2002 an selber Stelle am Nordkap begonnen hat... Eine einzigartige Erfahrung für ihn und eine zumindest interessante für den Freund dieser Materie.