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    Keine Lieder über Liebe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Keine Lieder über Liebe
    Von Nicole Kühn

    Gibt es die Liebe zu dritt? Und wenn, werden dabei alle Beteiligten glücklich oder ist immer einer der Verlierer? Wie geht man um mit der Eifersucht, dieser Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft? Wenn einer sich auf die Suche macht, dann findet er auch meist etwas. Nicht immer gefällt ihm, was er sieht. So wie Tobias (Florian Lukas), der gemeinsam mit seiner Freundin Ellen (immer noch ein Mädchen: Heike Makatsch) seinen Bruder Markus (Jürgen Vogel) in Lars Kraumes Drama „Keine Lieder über Liebe“ auf dessen Bandtournee kreuz und quer durch kleine Clubs in ganz Deutschland begleitet und seine Erlebnisse mit der Kamera festhält.

    Tobias und Ellen sind ein Paar, wie viele andere auch: um die dreißig, kinder- und sorglos, mehr Jugendliche an Erwachsene, die neben sich selbst vor allem Spaß am Leben suchen. Der Weg dahin bietet sich in Form einer Clubtournee von Tobias’ Bruder Markus und dessen Band. Auf die Idee, die Erfahrungen dieser Bandtour mittels Kamera zu dokumentieren, kommt Tobias nicht von ungefähr. Immerhin sind sich Ellen und Markus bei früherer Gelegenheit näher gekommen, als ihm lieb ist und die Ungewissheit nagt an ihm. Auch seine eigene Bewunderung für den selbstbewussten Bruder, der die Dinge in die Hand nimmt und auf alles eine Antwort parat zu haben scheint, setzt er mit diesem Unterfangen mehr oder weniger bewusst aufs Spiel.

    Zunächst jedoch halten alle die Version aufrecht, dass es sich um eine reine Dokumentation des Bandalltags zwischen Bus und Bühne handelt. Die unterschwelligen Konflikte brechen dabei an verschiedenen Stellen durch und müssen immer wieder behelfsmäßig gekittet werden. Bis eines der vielen um sich selbst kreisenden Gespräche auf den langen Busfahrten auf das Thema Treue und Ehrlichkeit mit sich selbst und anderen kommt. Immer deutlicher treten die Subtexte zwischen den Zeilen hervor, bis es unvermeidlich ausgesprochen wird: Ellen hat ihren Freund Tobias mit dessen Bruder Markus betrogen. Offensichtlich fühlen sich die beiden auch weiter zueinander hingezogen. Klar ist die Situation beileibe nicht. Jeder mag jeden – und das ist einfach zu viel. Es folgen lange Gespräche zwischen allen dreien in allen denkbaren Konstellationen. Die anfängliche Rücksichtnahme weicht mit zunehmender emotionaler Belastung einer schonungslosen Offenheit, die auch nach und nach das Deckmäntelchen des Selbstbetrugs zerfasern lässt. Am Ende dieser Tour stehen sie da, allesamt überrascht von ihren eigenen Gefühlen, die sie selbst kaum verstehen.

    Eigens für den Film wurde eine Band zusammengestellt, die tatsächlich eine Tour startete - bestehend aus Mitgliedern der Hamburger Kultbands Kettcar und Tomte. Damit gewinnt die Geschichte einen unmittelbaren Zugang und der Film erhält eine gute Portion Dokumentarstil. Der Gang der Handlung war per Drehbuch nur grob vorgegeben, so dass die Schauspieler die Möglichkeit hatten und sogar dazu gezwungen waren, ihre Aktionen und Dialoge weitgehend zu improvisieren. Fraglich bleibt beim Einsatz von professionellen Schauspielern, wie viel Authentizität diese bereit sind zu geben. Interessant auch die Frage, ob und in wie weit allein das Mitlaufen einer Kamera Darstellung im Sinne einer Repräsentation (und eben nicht Präsentation) hervorruft.

    Regisseur Lars Kraume hat mit seinem klug angelegten Film den aktuellen Trend der Annäherung von Dokumentar- und Spielfilm um eine Facette erweitert. Der gesamte Look wirkt sehr direkt und gibt eine Unmittelbarkeit vor, die so nicht immer den Tatsachen der Produktionsbedingungen entspricht. Das kann man getrost als bewusste Finte des jungen Regisseurs auffassen. Letztlich geht es beim Filmhandwerk darum, eine Wahrheit zu zeigen. Kraume legt mit seiner Versuchsanordnung das Gewicht auf diesen Fokus und führt vor, dass nicht das Genre den Wahrheitsgehalt einer Geschichte definiert, sondern die Art des Hinsehens bzw. des Zeigens. Dieses Thema transportiert er durch den geschickten Kniff eines Films im Film in die Handlung und reflektiert dadurch auf einer zweiten Ebene.

    Tobias trägt nach eigenem Bekunden die Kamera mit sich herum, um eine Dokumentation über die Band und ihre Tour zu drehen. Eigentlich jedoch ist er von Beginn an auf der Suche nach der Wahrheit. Die Kamera wird ihm dabei zum Werkzeug. Sie dient quasi als Eintrittskarte in die Welt, die eine andere Welt ist als die seinige und von der Ellen sich angezogen fühlt. Dass er die Kamera auch in den schmerzhaften Momenten der Aussprache nicht abschalten will, drückt die nahezu zwanghafte Suche nach Authentizität aus. Die Bilder und Worte sollen festgehalten werden, um zu einer unverbrüchlichen Wahrheit zu werden und nicht wie die menschliche Erinnerung zu verblassen, neu interpretierbar oder schlicht vergessen zu werden. Auch auf dieser Ebene macht Kraume deutlich, dass die Wahrheit sich eben nicht, und vor allem nicht für eine Ewigkeit, allein aus dem generieren lässt, was in einem Medium festgehalten wird. Vielmehr scheinen wir wie die Figuren im Film instinktiv wahrzunehmen, wann wir mit Wahrhaftigkeit konfrontiert sind.

    Diese Selbstreflexion auf das eigene Medium beiläufig im Rahmen einer unterhaltsamen Geschichte aufzugreifen, ist Kraume gut gelungen. Die äußere Handlung befasst sich mit dem vielschichtigen Thema der Twenty- oder inzwischen schon mehr Thirty-Somethings, die immer noch nicht irgendwo angekommen sind. So laufen sie leicht orientierungslos durch die Welt auf der Suche nach Konstanten und können doch selbst keine liefern. Woher auch? Die Gespräche, die sie sich intensiv liefern, machen die Beliebigkeit der Werte deutlich. Jedes Argument hat die gleiche Existenzberechtigung und Legitimationskraft: es findet sich zwar immer ein Entgegengesetztes, nie aber eines, das das andere wirklich widerlegen könnte. Das Thema bietet immer wieder neue Facetten, auch wenn es schon gründlich diskutiert worden ist. Über einen abendfüllenden Film trägt es allein selten, und so beginnt man auch hier recht bald zu ahnen, dass die Gedanken wiederholt um sich selbst kreisen werden und ratlos irgendwann zu einer Entscheidung gerinnen, die genauso gut hätte anders ausfallen können. So plätschert der Film an der Oberfläche gefällig vor sich hin, hält aber für genaue Beobachter auch tiefer gehende Denkanstösse bereit.

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