Jede Kinogeneration verlangt nach ihrer eigenen „Heidi“ und so war es an der Zeit, die Geschichten von Johanna Spyri ein 16. Mal in die Kinos zu bringen. Überraschenderweise gab es bis jetzt noch keine animierte Umsetzung für die große Leinwand, nur eine TV-Serie und eine Videoproduktion, so dass die Macher trotz der Bekanntheit des Stoffes so was wie Neuland betraten. Es war nicht zu erwarten, dass die neue „Heidi“ an die kongeniale, 52-folgige, japanische Serie (1974), die man in Deutschland aus dem Wochenend-Frühstücksfernsehen kennt, heranreicht, aber ein ordentlicher Kinderfilm für das Vor-„Harry Potter“-Alter ist dem internationalen Animationsteam allemal gelungen.
An der Story wurde außer einer Verlegung in die 1920er Jahre nichts geändert. Die Waise Heidi (Stimme: Lara Wurmer) lebt, seitdem ihre Eltern bei einem Lawinenunglück ums Leben kamen, bei ihrer egoistischen Tante Dete (Stimme: Sonya Kraus). Weil Dete nun aber eine Stellung als Zofe in Frankfurt antreten will, schiebt sie Heidi zu ihrem abweisenden Großvater (Stimme: Wolfgang Hess), der bisher einem Einsiedlerdasein fristete, in die Schweizer Alpen ab. Zunächst weiß der Alte so gar nichts mit dem jungen Mädchen anzufangen, aber dank ihrer gemeinsamen Faszination für die Bergwelt werden sie schon bald unzertrennlich. Und auch die tiefe Freundschaft zu dem Hirtenjungen Ziegenpeter (Stimme: Jimi Blue Ochsenknecht) lässt Heidi ihr neues Zuhause immer mehr wie das Paradies erscheinen.
Doch das Glück ist nicht von Dauer. Der wohlhabende Herr Sesemann (Stimme: Dieter Memel) aus Frankfurt sucht für seine gelähmte Tochter Klara (Stimme: Sidonie von Krosigk) eine Spielgefährtin. Diese Chance auf einen Haufen Geld will sich Dete nicht entgehen lassen. Sie reist in die Schweiz, um Heidi zurückzuholen. Aber der Großvater will seine Enkelin auf keinen Fall gehen lassen. Erst als Dete ihm sagt, dass dies die einzige Möglichkeit für Heidi ist, Lesen und Schreiben zu lernen, willigt er widerstrebend ein. In der Stadt schafft Heidi es mit ihrer offenen Art, die verschlossene Klara aufzuheitern und die strenge Haushälterin Fräulein Rottenmeier (Stimme: Viktoria Brams) an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Zusammen erleben die beiden Mädchen die unterschiedlichsten Abenteuer, aber Heidis Heimweh nach den Bergen wird immer stärker…
In unseren von Microsoft, Sony und Nintendo geprägten Zeiten, wird der Abstand von Kindern zur Natur immer größer. Umso spannender sind die Abenteuer einer ursprünglichen, naturverbundenen Heldin, die allen Stubenhockern ein Vorbild sein sollte. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Entscheidung zu verstehen, die Geschichte vierzig Jahre weiter in die Neuzeit zu verlegen. 1920 war der industrielle Fortschritt noch weiter und vor allem der Straßenverkehr hatte stark zugenommen – die Schere zwischen Natur und Moderne war unwiderruflich auseinander geklafft. Die Figur Heidi, die zwischen den Gegensätzen Stadt und Land hin und her gestoßen wird, war bei ihrer Entstehung 1880 also genau so aktuell wie vor achtzig Jahren – und hat bis heute sogar noch an Bedeutung gewonnen.
Die Animation ist am besten mit dem Motto klein aber fein zu beschreiben. Die einzelnen Elemente der Bilder sind sehr großflächig, die wenigen Einzelheiten dafür aber umso liebevoller gestaltet. Bestes Beispiel hierfür ist das viktorianische Frankfurt, dessen Entdeckung durch einen Verfremdungseffekt, die Häuser werden aus einer leicht überhöhten Perspektive stilisiert, noch aufregender wird. Einziger, aber nicht unerheblicher Kritikpunkt an der künstlerischen Abteilung bleibt so die Figur Heidi selbst. War man von je her an ein wohlgenährtes, rotbäckiges Mädchen gewöhnt, wird dem Zuschauer in der neuen Version ein Hungerhaken präsentiert. Hat der ganze Film ansonsten eine wunderbare Moral, war man hier an der falschen Stelle darauf bedacht, bei den Kids als „cool“ anzukommen.
Liest man sich die Besetzungsliste der Synchronsprecher durch, denkt man sich bei den meisten sofort: Passt schon. „Bibi Blocksberg“-Darstellerin Sidonie von Krosigk als Klara, Jimi Blue Ochsenknecht aus dem Team der „Wilden Kerle“ als Ziegenpeter oder auch das Schweizer Urgestein Wolfgang Hess, die deutsche Stimme von Bud Spencer, als Großvater gehen als übliche Verdächtige durch. Ganz anders sieht es da schon mit „talk talk talk“- und „Die Burg“-Moderatorin Sonya Kraus als Tante Dete aus. Aber alle Besorgnis ist umsonst, sie macht ihren Job als böse, geldgierige Tante wirklich sehr, sehr gut. Vielleicht hätte man das aber auch erahnen können, hat Kraus doch auf „Der Alm“ schon jede Menge Erfahrungen mit Berglandschaften und AlmÖhis gesammelt.
Am Ende steht ein sehenswerter Film für Retro-Fans und die ganz Kleinen. Schon Acht- oder Neunjährige dürften mit Imageproblemen konfrontiert werden, wenn sie sich „Heidi“ im Kino ansehen. Auch wenn die Geschichte ein zeitloser Klassiker ist, gilt sie nämlich immer noch fälschlicherweise als „für Mädchen und Babys“. Leider verstärkt der Film diesen Eindruck an einer Stelle sogar noch unnötig: Die eingespielten Lieder, ausgenommen der Klassiker „Heidi“ von Christian Bruhn, mögen die ihre Enkel begleitenden Großmütter ansprechen, haben aber mit der Lebensrealität heutiger Kinder so gar nichts mehr zu tun.