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    Paprika
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Paprika
    Von Andreas R. Becker

    Trotz oder vielleicht gerade weil die 2007er Ausgabe der Nippon Connection mit eher wenig spektakulärem Filmgut bestückt war, konnten die Animes richtig punkten. Allerdings machte dabei Satoshi Kons knallbunter „Paprika“ nicht nur in der Relation zur Konkurrenz eine gute Figur. Die virtuose Verknüpfung von Traum und Realität ist scheinbar das wiederkehrende Lieblingsthema des Regisseurs, das sich auch durch seine vorangegangen Filme hindurch zieht. Sein neuester reißender Bilderstrom, bei dem die Handlung nur noch eine marginale Rolle spielt, macht da keine Ausnahme. Und sie ist obendrein packend und so randvollgestopft mit Details, dass selbst nach x-fachem Sehen noch Neues in den einzelnen Einstellungen zu finden ist. Für die opulente Optik sorgte diesmal allerdings nicht das bekannte Studio Ghibli, das mit Produktionen wie Chihiros Reise ins Zauberland sogar erstmals (und bislang einmalig) einen Goldenen Bären für Zeichentrickfilme in Berlin einheimsen konnte. Produziert wurde von Sony Pictures Japan in Kooperation mit einer aber ebenfalls altgedienten Trickschmiede aus Japan. Madhouse, die bereits seit den 70er Jahren für japanische Fernseh-, Video und Kinofilmproduktionen animieren, verliehen „Paprika“ mit einer gekonnten Mischung aus klassischen Zeichnungen und computergenerierten 3D-Effekten einen atemberaubenden Look, der ebenso grenzenlos verschmolzen ist wie Schlafen und Wachen seiner Charaktere.

    Dr. Chiba Atsuko (gesprochen von Megumi Hayashibara) ist Wissenschaftlerin in einem experimentellen psychotherapeutischen Labor. Dort wurde auch der DC Mini entwickelt, ein technisches Gerät, das es dem Therapeuten ermöglicht, die Träume seiner Patienten aufzuzeichnen und am Bildschirm wie ein Video anzusehen, anzuhalten und zu analysieren. Als einige Prototypen der Erfindung gestohlen werden, bricht Panik aus unter den Forschern, weil sie befürchten, dass das Gerät missbraucht werden kann, um in den Gehirnen möglicher Opfer herumzupfuschen. Es gibt aber einen Hinweis auf die Diebe, der in die Traumwelt führt. Atsuko begibt sich deshalb selbst in den Schlaf, um als ihr Alter Ego Paprika die Verfolgung aufzunehmen. Dort begegnet sie einer rätselhaften Puppe, die offensichtlich mit dem Dieb in Verbindung steht. Nach und nach verquicken sich Traum und Realität und mit ihr die zunächst abgegrenzten Identitäten von Menschen und ihren Alter Egos immer undurchschaubarer, bis sie in einem geradezu furiosen Finale kulminieren, das in seiner Abstraktheit und dessen Darstellung nicht nur optisch ein wenig an „Akira“ erinnert, sondern auch qualitativ ohne weiteres an diesen heranreicht.

    Vielmehr soll über die Handlung nicht gesagt werden. Zum einen, weil es schwierig ist, die dünnen, verworrenen Stränge klar zu beschreiben und diese Klarheit auch den Plot einen Großteil seines Zaubers kosten würde. Zum anderen, weil „Paprika“ ein Film der wahnwitzigen Bilder ist, der auch losgelöst von seiner Narration zum Staunen genug Anlass gibt. Vielmehr wird indirekt eine ganze Reihe von Fragen aufgeworfen. Die fängt noch bei relativ konkreten Schwierigkeiten an, die sich auf die Unterscheidung von Virtuellem und Realem beziehen. Ethische Fragen nach den Einsatzgrenzen von Technik schließen sich an: Wie weit darf und kann man im Kopf eines Menschen arbeiten, ohne ihm zu schaden, ohne sein Innerstes zu kompromittieren? Steckt darin vielleicht auch das bislang utopische Potential, die eigenen Träume mit anderen von nun an buchstäblich teilen zu können? Welche Konsequenzen hat dieses weitere Vermengen von Fiktivem und Nicht-Fiktivem auf unser Leben, unsere Gesellschaft? Dies führt letztlich zu Fragen und Gegensätzen noch grundsätzlicherer Weise, wie sie in den japanischen Animes immer wieder auftauchen. Wie zum Beispiel auch in Prinzessin Mononoke stehen sich Mensch und Technik, Natur und Kultur, Mann und Frau in riesenhaften Überwesen personifiziert gegenüber und tragen symbolische Kämpfe aus.

    All dies stellt sich dar in phantastischen, wortlosen Dimensionen, die wohl nur der japanische Anime mit seiner typischen und gänzlich unwestlichen Form von Erfindungsreichtum hervorbringt und die jeden einzelnen Disneyfilm beschränkt und propagandistisch erscheinen lassen. Dabei bedient sich Regisseur Kon einer ganzen Reihe von Anleihen aus Mythologie, Film und sogar Computerspielen. Nicht nur The Cell lässt grüßen, auch wenn die Urgeschichte für das Drehbuch von Yasutaka Tsutsui bereits dem Jahre 1993 entstammt und damit älter ist als der Thriller mit Jennifer Lopez. Nein, tatsächlich findet man in einer Szene, in der der Cop Kogawa Toshimi (gesprochen von Akio Ôtsuka) benebelt einen langen Gang entlangläuft, sogar eine Ästhetik, die so deutlich an den revolutionären Action-Shooter „Max Payne“ erinnert, dass es kaum noch Zufall sein kann. Und dass auch die Virtualität tödlich sein kann, wissen wir nicht erst seit Matrix...

    Die üppigen Bilder dieses Trips werden begleitet von einer musikalischen Untermalung, die stellenweise Ohrwurmcharakter erreicht. Das gilt insbesondere für den elektropoppigen Track, der die rasende Titelsequenz untermalt und sich derart mit den wiederum raffiniert verschachtelten Erlebnissen aus Paprikas Traumwelt verzahnt, dass man das verzückte Lächeln nicht nur über die Dauer der Eröffnung praktisch ins Gesicht getackert bekommt.

    Wer letztlich auch an einen japanischen Anime die Anforderung einer konsistenten Handlung stellt, darf getrost die Finger lassen von „Paprika“. Das ist aber auch schon die einzige kritische Einschränkung, die man bei einem Resümee dieses intelligenten, auch mal humorvollen, fetzigen und vor allem unglaublich bildgewaltigen Animationsfilms machen muss.

    Zur FILMSTARTS.de-Reportage über die Nippon Connection 2007

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