Mit ihrer ersten eigenproduzierten Comic-Verfilmung Iron Man haben die Marvel Studios gleich ein ordentliches Pfund vorgelegt. Der selbstironische Eisenmann ist nämlich nicht nur der bisher mit Abstand beste Blockbuster der Sommersaison 2008, sondern entpuppte sich mit einem Einspielergebnis von mehr als 300 Millionen Dollar auch als wahrer Kassenknüller. Die Erwartungen an Marvels zweiten Streich, Louis Leterriers Neuauflage von „Der unglaubliche Hulk“, sind dementsprechend astronomisch hoch. Daher war fast schon damit zu rechnen, dass sich der grüne Wüterich zumindest als kleinere Enttäuschung herausstellen würde. Doch es kommt noch schlimmer: Statt dem erwarteten Fazit: „Kommt nicht ganz an den überragenden Iron Man heran!“ reicht es nun nur für ein: „Belanglose Comic-Verfilmung nach gewohntem Strickmuster!“ Ein Fehlschlag, der sich am ehesten damit erklären lässt, dass Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller an unterschiedlichen Strängen ziehen. So erweist sich das US-Box-Office in diesem Fall ausnahmsweise mal als zuverlässiger Qualitätsindikator: „Der unglaubliche Hulk“ hat mit 55 Millionen Dollar am Eröffnungswochenende nur etwas mehr als die Hälfte von Iron Man eingespielt – und ist eben auch nur halb so gut!
Vor fünf Jahren wurde der Wissenschaftler Bruce Banner (Edward Norton) bei einem geheimen biochemischen Experiment radioaktiv verstrahlt. Seitdem verwandelt er sich, wann immer sein Puls die Marke von 200 Schlägen pro Minute übersteigt, in das grüne Monster Hulk, das in seiner näheren Umgebung alles kurz und klein schlägt. Weil General „Thunderbolt“ Ross (William Hurt) Hulks Kräfte für militärische Zwecke ausschlachten wollte, floh Banner nach Brasilien, wo er seitdem an Entspannungstechniken arbeitet und in einer Limonaden-Fabrik schuftet. Durch einen unglücklichen Zufall stößt das US-Militär jedoch auf die Spur des Flüchtigen. Banner muss erneut abhauen und schleicht sich zurück in die USA, wo er mit der Unterstützung von Ross‘ Tochter Betty (Liv Tyler) nach einer Kur für seinen Zustand forschen will. Doch Ross lässt nicht locker. Er hetzt die versammelte US-Kriegsmaschinerie auf den grünen Muskelprotz. Als auch dies nicht dabei hilft, Hulk zu stoppen, setzt sich der kampfbesessene Marine Emil Blonsky (Tim Roth, Pulp Fiction, Jugend ohne Jugend, Funny Games U.S.) freiwillig ähnlichen Experimenten wie einst Banner aus, in deren Folge er zur zerstörerischen Bestie Abomination mutiert und New York attackiert…
Bereits 2003 drehte Ang Lee für Universal Pictures eine Blockbuster-Version von Hulk. Der Film mit seinem für viele Zuschauer zu grünen Protagonisten, der wie ein wildgewordener Flummi durch die Szenerie hopste, wurde von nahezu allen Seiten angefeindet. Deshalb verzichtete das Studio auch trotz eines passablen Kassenerfolgs (Hulk spielte in den USA 132 Millionen Dollar ein, weltweit 245 Millionen) darauf, selbst eine Fortsetzung in Angriff zu nehmen. Mittlerweile sind die Rechte an der Figur an die Marvel Studios zurückgefallen, weshalb nun das legendäre Comic-Label selbst einen neuen, vom Vorgänger komplett unabhängigen Leinwand-Anlauf unternimmt. Statt Eric Bana schlüpft diesmal Edward Norton in die Rolle von Bruce Banner. Und was noch viel wichtiger ist: Statt Arthouse-Liebling Ang Lee (Der Eissturm, Brokeback Mountain, Gefahr und Begierde) hat nun der französische Actionmacher Louis Leterrier (The Transporter, Unleashed, Transporter – The Mission) das Regie-Ruder übernommen.
Man kann über Lees Hulk sagen, was man will, aber zumindest hatte der taiwanesische Regisseur eine eigenständige Vision – auch wenn er bei deren Umsetzung an viele Grenzen stieß und mit reichlich Protesten klarkommen musste. Leterrier besaß eine solche Vision ganz offensichtlich nicht, als er das Mammutprojekt übernahm. Die spärlich gesäten, dafür aber ausdauernden Action-Sequenzen tragen zwar deutlich seine – bisweilen zu hektische – Handschrift, ansonsten sucht man eigenständige Einflüsse des Regisseurs allerdings weitestgehend vergeblich. Im gesamten Film gibt es gerade einmal drei Effekt-Feuerwerke. Im ersten bleibt Hulk noch im Schatten, als ihn eine Truppe von Elitesoldaten durch eine brasilianische Fabrik jagt. Im zweiten feuert die Artillerie auf einer Wiese direkt vor einer amerikanischen Universität alles auf den popelfarbenen Helden ab, was die Rohre hergeben. Doch richtig rund geht es dann erst, als sich Hulk und Abomination im krachenden Showdown mitten in New York gegenüberstehen. Die CGI-Effekte sind dabei einer 150-Millionen-Dollar-Produktion angemessen. Allerdings fallen die Action-Szenen weit weniger übersichtlich und originell als bei Iron Man aus. Statt auf abwechslungsreiche und wohl komponierte Action setzt Leterrier auf ausufernde Materialschlachten, wie sie schon im Fall von Michael Bays Transformers auf ein geteiltes Echo stießen.
Dass der Action-Anteil in einem überschaubaren Rahmen bleibt, ist wohl auch Hauptdarsteller Edward Norton (American History X, Fight Club, 25 Stunden, The Italien Job, Roter Drache) zu verdanken, der sich Gerüchten zufolge mit Regisseur Leterrier und dem Studio ständig in den Haaren gelegen haben soll. Angeblich wollte Norton am Schnitt unbedingt noch einige Veränderungen vornehmen. Worin genau diese bestanden hätten, bleibt wohl für immer ein Rätsel. Aber am wahrscheinlichsten ist wohl, dass er der Figur Bruce Banner etwas mehr Tiefe verpassen wollte. In der jetzigen Fassung ist der Charakter, obwohl er von Charakterkopf Norton verkörpert wird, nämlich flach wie eine Flunder. Zu Beginn ist Banner ein gequälter Held, der die Abgeschiedenheit sucht und leidet. Am Ende ist Banner ein gequälter Held, der die Abgeschiedenheit sucht und leidet. Auch wenn zwischendurch immer wieder zu sehen ist, wie Banner unter Albträumen leidet, entwickelt sich die Figur in den ganzen 114 Minuten Spielzeit nicht ein Stückchen weiter – reichlich Leerlauf ist da eine schon beinahe zwingende Folge. Ähnliches gilt für die Liebesgeschichte zwischen Bruce und Betty. Liv Tyler (Herr der Ringe –Trologie, Die Liebe in mir, The Strangers) nimmt man ihre Rolle als Biologieprofessorin nicht eine Sekunde ab, und auch die sterilen Liebeleien wirken nie glaubhaft.
Was Regisseur und Hauptdarsteller nicht hinbekommen haben, hätte immer noch Drehbuchautor Zak Penn (Incident At Loch Ness) retten können, der mit seinen Arbeiten an X-Men 2 und X-Men: Der letzte Widerstand bereits bewiesen hat, dass er mit Comic-Verfilmungen umzugehen versteht. Doch auch Penn gelingt es nicht, das Ruder noch rumzureißen. Die vorsichtigen Versuche eines kritischen Untertons verpuffen, weil der Militärfetischist Ross viel zu platt auf Bösewicht getrimmt ist – im Vergleich zu Jeff Bridges als Obadiah Stane ist die Darstellung von William Hurt (Gorky Park, 8 Blickwinkel, Bis ans Ende der Welt) leider wenig subtil. Ein anderes Gebiet, auf dem Penn überraschenderweise versagt, ist der Humor. Bei Iron Man noch die herausragende Stärke des Marvel-Universums, blitzt bei „Der unglaubliche Hulk“ in maximal einer Handvoll Szenen so etwas wie Selbstironie auf – zum Beispiel, wenn sich Bruce Banner eine Stretchhose kauft oder er keinen Sex haben kann, weil sein Pulsschlag dabei zu sehr ansteigt. Allerdings nimmt sich der Film abseits dieser wenigen Momente sowas von bierernst, dass die wenigen humorigen Szenen schließlich eher angestrengt als lustig wirken.
Fazit: Die erste Stunde kommt recht schnarchnasig daher, Edward Norton ist eine halbe, Liv Tyler gar eine komplette Fehlbesetzung, und eigentlich macht sowieso nur die abschließende Materialschlacht in den Häuserschluchten New Yorks richtig Laune. Sicherlich hätte man „Der unglaubliche Hulk“ als durchschnittliche Comic-Action durchwinken können, wäre da nicht die letzte Szene des Films, in der Robert Downey Jr. alias Tony Stark die Szenerie betritt. Ab hier ist ein Vergleich der beiden Marvel-Filme endgültig unausweichlich – und dabei zieht „Hulk“ so eindeutig den Kürzeren, dass man sich ernstlich fragt, warum man sich gerade diese 08/15-Ware und nicht einfach nochmal Iron Man antut.