Marzipan im März? Schokoweihnachtsmänner im August? Das geht genauso wenig, wie einen Weihnachtsfilm vor Dezember anzuschauen - auch wenn der Tag, an dem die ersten Weihnachtsleckereien in den Regalen der Supermärkte stehen, jedes Jahr näher an den letzten Sommertag heranzurücken scheint. Die ersten 14 Minuten der Disney-Musical-Komödie „Verwünscht“ sind so supersüß, dass man sie nur mit einer Zuckertoleranz, wie man sie sich zur Weihnachtszeit antrainiert, verdauen und schätzen kann: Prinz und Prinzessin sehen sich, verlieben sich, besingen ihre Gefühle und setzen den Hochzeitstermin für den folgenden Tag an. Dass das Happy End trotzdem noch ein Weile auf sich warten lässt, tut dem Prädikat von „Verwünscht“ als Weihnachtsfilm für die ganze Familie jedoch keinen Abbruch.
Es war einmal... in Manhattan? Es hat gute Gründe, warum die typischen Disney-Märchen der Vergangenheit nicht im superzynischen New York spielten - das muss Prinzessin Giselle nun auf die harte Tour lernen. Gerade noch war die Zeichentrick-Schönheit auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit Prinz Edward von Andalasia (James Marsden, X-Men-Trilogie, Hairspray), als dessen Stiefmutter Narissa (Susan Sarandon, Thelma And Louise) dazwischen funkt und sie in einen Brunnen stößt. Endstation des freien Falls: Ein Gullydeckel in New York, wo sie der Scheidungsanwalt Robert (Patrick Dempsey, „Greys Anatomy“, Freedom Writers) seiner Tochter Morgan (Rachel Covey) zuliebe bei sich aufnimmt. Robert muss bald lernen, dass die nun menschliche Giselle (Amy Adams, Junebug) so einige Tricks in den riesigen Puffärmeln ihres Hochzeitskleids mit nach Amerika gebracht hat: Seine Wohnung wird in Ermangelung von Eichhörnchen und Kaninchen in alter Aschenputtel-Manier von Tauben, Ratten und Kakerlaken blitzblank geputzt. Als dann auch noch Prinz Edward in Manhattan auftaucht, um seine Braut zurück ins 2D-Märchenland zu holen, ist das Chaos perfekt...
„Verwünscht“ versucht mit einigem Erfolg, das verstaubte Image von Disney-Filmen aufzufrischen: Während einige der Ideen und Gags wirklich gut sind, kann „Verwünscht“ in Sachen Unterhaltung für Groß- und Klein nicht auf ganzer Linien punkten. In den ersten 14 Minuten in der traditionellen 2-D-Welt von Disney werden die gängigen Märchen-Klischees durch den Kakao gezogen – und zwar nicht nur auf der sprichwörtlichen Ebene, sondern auch buchstäblich: Die Trickfilm-Welt von Giselle und Edward ist so heil und happy, dass man vom Zusehen Karies bekommen könnte. Aber wer will sich um Weihnachten herum schon Sorgen um die Zahngesundheit machen? Genau: niemand!
Nach diesem süßen Schocker aus Musik und Tanz in einer pastellfarbenen Welt findet „Verwünscht“ auch in der Realwelt immer wieder zum Märchenbuch vom Anfang zurück, das die beiden Welten clever miteinander verknüpft: Bunte Pop-ups aus Pappe zeigen bei den Schnitten eine Szenen aus der Story - so werden wir sanft von einer Welt in die andere geführt. Auch die Animationen in der Realwelt sind perfekt umgesetzt: Das plötzlich stumme Streifenhörnchen Pip sieht in keiner Szene fehl am Platz aus. Dessen pantomimische Einlagen gehören ohnehin zu den Highlights des Films, denn der etwas unterbelichtete Prinz kapiert natürlich nicht, dass Pip ihn vor Stiefmutter Narissa und ihrem Helfershelfer Nathaniel (Timothy Spall, Harry Potter und der Feuerkelch) warnen möchte.
Die Schauspieler in „Verwünscht“ sind extrem gut gecastet: James Marsden als dümmlich-sympathischer Prinz könnte nicht besser in die Rolle passen. Sollte seine Schauspielkarriere scheitern, würde ein Mann, dem die Puffärmel des Prinzen derart gut stehen, jederzeit einen Job in Disneyland bekommen. Patrick Dempsey liefert eine ebenso gute Leistung ab, obwohl es im Hinblick auf seine Karriere wohl nicht die klügste Entscheidung war, den Großstadt-Prinzen zu spielen, was Dr. Shepherd ohne Skalpell und „Scrubs“ entspricht. Amy Adams ist sehr charmant als erste rothaarige Disney-Prinzessin seit Arielle und sieht aus wie eine junge Nicole Kidman mit einer wärmeren Ausstrahlung. Susan Sarandon hat also böse Stiefmutter nur wenige Szenen in der Realwelt, füllt die Rolle aber trotzdem sehr gut aus. Timothy Spall als männlicher Part des diabolischen Duos sorgt als Pausenclown in allen Lebenslagen für ein paar unterhaltsame Momente.
Insgesamt jedoch ist der Humor in „Verwünscht“ im Vergleich zur Konkurrenz betont harmlos, denn die satirischer angehauchten Gags überlässt Disney weiterhin lieber Pixar. Hier bleibt die Musical-Komödie leider unter ihren Möglichkeiten, weil man sich auf althergebrachte Disney-Tugenden besinnt und damit zwar gut unterhalten kann, aber ab und zu eine gewisse Langeweile aufkommen lässt. Die Musik- und Tanzeinlagen sind typisch Disney, an sich also gut gemacht – aber wenn man schon versucht, dem Ganzen neues Leben einzuhauen, hätten man hier etwas mehr modernisieren müssen. Außerdem lässt der Musical-Anteil im letzten Drittel enttäuschender Weise sehr nach. Bei der Ballszene à la „Die Schöne und das Biest“, die nur eine von unzähligen Anspielungen auf Disneys Klassiker ist, wird dann noch mal richtig dick aufgetragen – und zwar gefühlte 13 Schichten Romantik-Glasur.
Fazit: „Verwünscht“ entführt uns in ein Märchenland mit kleinen Änderungen, die durch minimalen Aufwand einen maximalen Auffrischungseffekt erzielen. Man bleibt den traditionellen Tugenden von Disneyfilmen treu und kreiert so ein kurzweiliges Weihnachtsmärchen für die ganze Familie, das mit etwas progressiverem Humor und moderneren Tanzszenen noch unterhaltsamer geworden wäre. Trotzdem gibt es für einen kalten dunklen Winterabend für große Romantiker kein bessere Gegenmittel als für ein paar Stunden in die Welt der „happily everafters“ zu flüchten und mit Giselle durch einen verwunschenen Wald oder ein menschlicheres Manhattan zu tollen, in dem kein Traum nur Traum bleibt und nie ein Herz gebrochen wird.