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    Große Mädchen weinen nicht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Große Mädchen weinen nicht
    Von Ulrich Behrens

    Jugendfilme haben hierzulande derzeit Hochkonjunktur. Allen gemeinsam ist, dass sie die Nähe zu Teenie-Filmen aus den USA tunlichst vermeiden. Das gilt auch für Maria von Helands neuen Streifen „Große Mädchen weinen nicht“, der die Geschichte einer Freundschaft erzählt, die in arge Probleme gerät. Allerdings verheddert sich der Film gegen Schluss allzu arg in seiner eigenen Geschichte.

    Kati (Anna Maria Mühe) und Steffi (Karoline Herfurth) sind seit dem Kindergarten die besten Freundinnen. Die beiden sind 17 und leben im Westen Berlins. In Katis Familie regiert deren Mutter Ingrid (Gabriela Maria Schmiede), die – durch ihre extreme Religiosität bestimmt – ständig Gefahr für ihre Tochter wittert, ins „Unmoralische“ abzugleiten. Sätze wie „Du kleidest dich wie eine Dirne“ sind an der Tagesordnung. Der ständige Streit zwischen Ingrid und Katis Vater Jost (Matthias Brandt) geht ihr auf die Nerven. Steffis Eltern Ann (Nina Petri) und Hans (Stefan Kurt) dagegen scheinen liberal gesinnt und eine harmonische Ehe zu führen.

    Bis die beiden dicken Freundinnen eines Tages in einer Szene-Disko beobachten müssen, wie Steffis Vater seine Arbeitskollegin Jeanette (Teresa Harder) eng umschlungen küsst. Steffi ist entsetzt, wütend und sinnt auf Rache. Als sie zufällig von der Mitschülerin Yvonne erfährt, dass die nach Paris abhauen will und sich vorher das dafür nötige Geld bei einem Pornoproduzenten verdienen will, heckt Steffi einen perfiden Plan aus. Die Tochter Jeanettes, Tessa (Josephine Domes), soll dran glauben. Unter dem Vorwand, Tessa könne bei Steffis Freund Carlos (David Winter), der Musiker in einer Band ist, vorsingen, weil die Band gerade sowieso eine Sängerin suche, lockt sie Tessa ins Verderben. Als Carlos, der von allem keine Ahnung hat, von Tessas Stimme begeistert ist, schlägt Steffi ihr vor, bei einer Plattenfirma vorzusprechen. Sie vermittelt ihr telefonisch einen Termin. Der Plattenproduzent ist kein anderer als der Pornofotograf Winter (Dieter Laser). Tessa leiht sich von ihrer Mutter deren Lieblingsstiefel, macht sich schick und geht nichts ahnend zu Winter, der nach kurzer Zeit versucht, Tessa zu vergewaltigen. Kati, die bis dahin Steffis Rachefeldzug unterstützt hat, aber Tessa sympathisch findet, bekommt ein schlechtes Gewissen. Sie lässt eine Verabredung mit ihrem neuen Freund Klaus (Tilbert Strahl-Schäfer) sausen und eilt zu Winter. Durch einem Schlag auf den Kopf mit einem Schuh kann sie den außer Gefecht setzen und mit Tessa fliehen und ihr beichten, warum das alles geschehen ist.

    Tessa, mit einem blauen Auge davon gekommen, erzählt ihrer Mutter von der Sache. Jeanette macht sich mit ihr auf zu Steffis Familie, platzt in einen Dia-Abend mit Kinderfotos von Steffi und Kati und erzählt brühwarm, dass sie ein Verhältnis mit Hans hat. Ann entschließt sich, sich von Hans zu trennen. Steffi – maßlos enttäuscht von allen Erwachsenen und von Kati – zieht sich immer mehr in eine egoistische Ecke zurück: Nun soll auch Kati dran glauben, die sie als Verräterin sieht ...

    Wie man sieht, handelt es sich um eine äußerst verwickelte Geschichte. Und hier liegt auch ein Schwachpunkt der Inszenierung. Maria von Heland packte allzu viele Details, Nebenhandlungen und Themen in ihre Geschichte: Elternkonflikte, Jugendkonflikte, Sex, erste Liebe, zweite Liebe, ein Pornoproduzent, der sich als Wahnsinniger entpuppt, eine Kriminalgeschichte mit toter Schülerin, das Verhältnis eines Vaters zu seiner Arbeitskollegin samt Folgen und und und. Daneben werden Details in den Film eingebaut, die nun wirklich dort nichts zu suchen haben: Kahlgeschorene Jugendliche vor einem Plattenbau, die sich unflätig benehmen und von einer älteren Dame vertrieben werden, Sex im Kornfeld, einige rasante Kameraschnitte – all das wirkt aufgesetzt und wäre für den Handlungsablauf völlig unnötig gewesen. Am Ende muss alles irgendwie wieder zusammenlaufen, was nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Der Trick besteht darin, die Freundschaft von Kati und Steffi wieder hinzubiegen – ein bisschen wie mit der Brechstange, sprich: über einen Selbstmordversuch. Zudem nervt die Musik, die die Geschichte im wahrsten Sinn des Worts manchmal übertönt. So bleibt es nicht aus, dass manche der eingeführten Konflikte – z.B. Katis mit ihrer Mutter – kurzerhand zum Schluss für erledigt erklärt werden: Kati und Ingrid gehen versöhnt über die Straße. Warum so plötzlich? Weil keine Zeit mehr blieb, dies im Film plausibel zu schildern.

    Trotzdem hat der Film seine starken Momente – vor allem dank der beiden Hauptdarstellerinnen Anna Maria Mühe und Karoline Herfurth, die so natürlich aufspielen, als ginge es um sie selbst. Sie können der Handlung einiges an Glaubwürdigkeit abgewinnen, die Freundschaft der beiden jungen Frauen, die Veränderungen, die in ihrem Leben vor sich gehen, und ihr Verhalten in den Konflikten überzeugend darstellen. Nur ihnen ist es auch zu verdanken, dass die Versöhnung zwischen den beiden nicht vollends unglaubwürdig wirkt: „Manchmal sind die Dinge einfach Scheiße und man muss trotzdem weitermachen“, sagt Kati zu Steffi, und ich hatte das Gefühl, Karoline Herfurth meint es ernst, aber als Aussage von Kati wirkt es eben ein bisschen aufgesetzt. Maria von Heland hat Alltagssituationen, Konflikte und Streitigkeiten zwischen den Jugendlichen, ihre Gedanken und Gefühle insbesondere in der ersten Hälfte des Films präzise wiedergegeben. Die überladene Geschichte allerdings macht viel von dem wieder zunichte, was Mühe und Herfurth so überzeugend aufgebaut hatten. Wirklich schade. Vielleicht spekulierte man allzu sehr mit dem Erfolg an der Kinokasse, anstatt der Freundschaft der beiden Hauptdarstellerinnen intensiver nachzugehen. Trotzdem will ich nicht falsch verstanden werden. Über weite Strecken ist der Streifen spannend und gefühlvoll inszeniert ist, ohne in Kitsch abzugleiten oder Teenie-Klischees wiederzukäuen.

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