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    Unser täglich Brot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Unser täglich Brot
    Von Jonas Reinartz

    „Die Bilder der Werbung, in denen Butter gerührt wird und ein kleiner Bauernhof mit verschiedenen Tieren gezeigt wird, hat nichts mehr damit zu tun, wo unser Essen tatsächlich herkommt. Es herrscht eine Entfremdung in Bezug zu der Entstehung unserer Nahrung und zu diesen Arbeitswelten, die es lohnt, aufzubrechen.“ (Nikolaus Geyrhalter)

    Der Konsum von Lebensmitteln ist denkbar einfach. Ein kurzer Spaziergang zum nächsten Supermarkt genügt, um Zugang zu unzähligen Produkten aus den verschiedensten Herkunftsländern zu erlangen. Da verwundert es nicht, dass angesichts dieses Überangebots, das längst zur Gewohnheit geworden ist und dankend angenommen wird, kaum jemand ernsthaft darüber nachdenkt, wie der Weg dessen verlief, was zunächst im Einkaufswagen und dann auf dem Teller landen wird. Regisseur Nikolaus Geyrhalter und sein Co-Autor und Cutter Wolfgang Widerhofer versuchen im auf dem Amsterdam International Documentary Film Festival mit einem Spezialpreis ausgezeichneten und für einen Europäischen Filmpreis nominierten Dokumentarfilm „Unser täglich Brot“, die alltäglichen Geschehnisse innerhalb der europäischen Lebensmittelindustrie einzufangen. Dabei gelingt es ihnen anhand einer höchst effektiven Collage von in starren, langen Einstellungen eingefangenen Szenen monotoner Arbeitsvorgänge ein erschreckendes Bild unserer Konsumgesellschaft zu zeichnen. Gerade die distanzierte und sehr zurückgenommene Machart verstärkt zum einen zusätzlich die teilweise schwer zu ertragende Intensität der gezeigten Vorgänge, ganz gleich, ob es sich um die Behandlung zusammengepferchter Hühner oder den Todeskampf eines mit einem Bolzenschussapparat malträtierten Rindes handelt, andererseits gerät der Film aus diesem Grunde nicht zum schwarzweißmalerischen, propagandistischen Projekt gegen den Fleischverzehr. Am Ende obliegt es im Wesentlichen dem Zuschauer, die entsprechenden

    Schlüsse zu ziehen.

    Denn obgleich sich derartige Eindrücke unweigerlich ins Gedächtnis einprägen und größtenteils nur schwerlich zu ertragen sind, stehen sie nicht allein im Blickfeld. Ohne Zeit-oder Ortsangaben springen die Filmemacher wie ein gestaltloser Beobachter quer durch Europa und zeigen eben nicht nur die Todesszenen der Fleischindustrie, sondern auch fleißige Arbeiter, die sich mit der Arbeit auf unendlichen Feldern ihren Lebensunterhalt verdienen oder Salzbergleute in ihrer faszinierend-bizarren, wie von einer anderen Welt erscheinenden Arbeitsumgebung. Ursprünglich war es angedacht gewesen, Interviews einzuschneiden, doch bereits zu Beginn der Nachbearbeitung entschied man sich dagegen, was sich im Nachhinein als eine weise Entscheidung entpuppt, denn dies hätte einen Bruch mit der übrigen Gestaltung bewirkt. Diese ist äußerst karg, es gibt keinerlei Elemente, um dem Publikum den Zugang zu erleichtern, wie etwa Musikuntermalung oder Kommentare eines Sprechers aus dem Off. Eine gewisse Redundanz und Monotonie ist nicht zu leugnen, doch sie stellt ein unweigerliches Resultat der an den Tag gelegten Konsequenz dar. Etwaige Auflockerungen jeglicher Art sind schlicht nicht vorhanden, was im krassen Gegensatz zur Ästhetik der wunderbaren Welt der Werbung steht, welche auch noch heutzutage versucht, mit bunten Farben und sanften Schnitten die Illusion einer heilen Bauernwelt zu erschaffen. Der Montage, zu Beginn eher beliebig wirkend, kommt tragende Bedeutung zu, schafft sie es doch geschickt, Parallelen und Kontraste zwischen den einzelnen Schauplätzen aufzuzeigen. Dass dabei trotz aller wohltuenden Distanz selbstverständlich allein in der Ausgestaltung und Anordnung der Szenen eine gewisse Wirkungsabsicht nicht zu leugnen ist, überrascht nicht. Kein Film entsteht schließlich von selbst, er bedarf der führenden Hand seiner Macher, jedoch ist es lobenswert, dass keine bloße hektische Aneinandereihung von blutrünstigen Abschlachtungen vorliegt, es geht auch anders. Am Ende desinfiziert ein Vermummter die zuvor blutverschmierte Schlachtanlage. Abblende. Bereits in wenigen Stunden wird das Töten weitergehen. Alles beginnt von vorn.

    Wiederkehrend werden Arbeiter in ihren Mittagspausen präsentiert, ernüchtert von ihrer Arbeit selbst und deren Umständen, so dass sie für einige wenige Augenblicke aus der Anonymität gerissen werden, die sie den Rest des Films umgibt. Sie erscheinen als Handlanger eines unsichtbar bleibenden Systems und führen artig ihre Aufgaben aus. Erschreckend sind hierbei weniger die üblichen Schlachtvorgänge – ohne keinesfalls ihre Grausamkeit leugnen zu wollen – sondern die weitaus simpleren Akte gefühlloser Behandlung von lebenden Wesen. In der gegenwärtigen Medienwelt sieht man sich derartig brutalen Eindrücken in einer schlichten absurden Frequenz konfrontiert, dass es unweigerlich zu einer gewissen Abstumpfung kommen muss, ansonsten geriete wohl jede Nachrichtensendung zur Tortur und Garantie für schlaflose Nächte. Einfache Schutzmechanismen kommen zur Entfaltung, wobei die generelle Entfernung zum Geschehen eine nicht unwichtige Rolle spielt. Doch nur die wenigsten, sieht man einmal von den Veganern ab (in Deutschland lediglich ca. 0,3 %–0,5 % der Gesamtbevölkerung), die jegliche tierischen Produkte strikt ablehnen, können sich davon freisprechen, all die „Produkte“, deren Herstellung hier gezeigt wird, nicht gerne zu verzehren. So sorgen zwei Frauen, wie selbstverständlich niedliche Küken in Maschinen steckend, woraufhin die kleinen Federknäuel minutenlang durch ratternde Maschinen gejagt werden und durch die Luft geschleudert werden, zunächst für fassungsloses Erstaunen, der sich auch Wut beimischt, um letzlich in ein nagendes Schuldgefühl umgewandelt zu werden. Daneben verblüfft wieder einmal die Kreativität des Menschen, wenn es ums Töten geht. Groteske, hochkomplizierte Maschinen, ausgestattet mit maximaler Effektivität, muten wie Zukunftsvisionen an, allerdings sind sie längst Realität geworden.

    „Unser täglich Brot“ ist wahrlich kein einfaches Stück Kino und mutet dem Betrachter einige schwer verdauliche, nicht enden wollende Aufnahmen zu. Der Mut, in einer Zeit des multiplen Medienbombardements lediglich unspektakuläre Bilder und Töne sprechen zu lassen, verdient Respekt, ebenso wie die noble Intention hinter dem Projekt. Auch wenn so mancher bei diesem Sujet verständlicherweise die Augen verschließen und sich in die Verdrängung flüchten möchte, ist Geyrhalter und Widerhofer eine wichtige Betrachtung über die Arroganz des Menschen gegenüber der Natur gelungen.

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