„Oh nein, nicht noch ein Halloween-Teil“, dürften nicht wenige gedacht haben, als sich die Nachricht von einem weiteren Film der Reihe verbreitete. Nach den in der Regel unterdurchschnittlichen Fortsetzungen (insgesamt sieben, zuletzt: Halloween: Resurrection war der Bedarf erst einmal gesättigt. Interessanter wurde es hingegen als man erfuhr, dass Robert Bartleh Cummings alias Rob Zombie die Regie übernehmen wolle. An Rob Zombie – Musiker, Metalhead, Regisseur und Drehbuchautor – scheiden sich die Geister. Zuletzt hatte dieser mit den beiden lose zusammenhängenden, kompromisslosen Horror-Filmen Haus der 1000 Leichen und The Devil´s Rejects sein Publikum gespalten. Und das wird sich auch durch seine Version des Carpenter-Klassikers nicht ändern. Vorhang auf: Zombie geht in die dritte Runde.
„These eyes will deceive you, they will destroy you. They will take from you, your innocents, your pride, and eventually your soul. These eyes do not see what you and I see. Behind these eyes one finds only blackness, they absence of light, these are of a psychopath.“ (Dr. Loomis)
In der Nacht von Halloween ermordet der junge Michael Myers (Daeg Faerch) in der Kleinstadt Haddenfield seine ältere Schwester Judith (Hanna Hall) und seinen Stiefvater Ronnie (William Forsythe). Michael wird darauf hin in eine Anstalt eingeliefert und psychologisch betreut. Der Arzt Dr. Loomis (Malcolm McDowell) kümmert sich aufopferungsvoll um den Jungen, dringt jedoch nicht zu ihm durch… Jahre später: Michael Myers (Tyler Mane) ist zu einem Hünen von Mann herangewachsen, der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in der Anstalt festgehalten wird. Nachdem sich seine Mutter Deborah (Sheri Moon) Jahre zuvor das Leben nahm, sind seine einzigen Bezugspersonen Dr. Loomis und der Wärter Danny (Ismael Cruz). Der völlig apathische Michael hat schon seit Jahren nicht mehr gesprochen. Doch am Vorabend von Halloween erwacht er aus seiner Starre, überwältigt mehrere Wärter und bricht aus der Anstalt aus.
Rob Zombies Film wirkt wie eine psychologisch geerdete Version von John Carpenters „Halloween“ und ist gleichzeitig ein Schlag in den Magen der Zartbesaiteten. Dort, wo das Original geschickt Leerstellen ließ, Erklärungen verweigerte und auf Atmosphäre setzte, formuliert Zombie aus. Das betrifft nicht nur die teilweise sehr rabiaten Gewaltszenen, sondern vor allem die Hintergründe, die zu Michaels Taten führen. Aus diesem Grund ist der Film nicht nur ein Remake des Klassikers, sondern gleichzeitig ein Prequel. Denkt man an die zahlreichen, oft uninspirierten Sequels, muss man Zombie zugestehen, dass sein Vorgehen eine wirklich interessante Möglichkeit ist, sich dem Stoff zu nähern. Wo sich der Film von 1978 über die Gründe für Michaels Tat als Kind und als Erwachsener ausschweigt, erlaubt sich Zombie einige Umdeutungen der ursprünglichen Geschichte: Der junge Michael Myers wächst nicht mehr in gesetzten Verhältnissen, sondern als Kind des sogenannten White Trashs auf. Seine Mutter ist Stripperin, sein Ziehvater ein vulgärer Alkoholiker, seine Schwester das Schulflittchen. In diesem Setting entdeckt der junge Michael schon früh seine Lust am Töten.
Die Psychologie der Ausgangssituation ist natürlich plakativ. Aber so plakativ, dass es ihr an Glaubwürdigkeit mangeln würde, nun auch wieder nicht. Verglichen mit Plots von Filmen wie See No Evil könnte das hier gebotene fast als Doktorarbeit durchgehen. Ob der Zuschauer Zombie diese Ausgangskonstellation abkauft, wird sich als entscheidend für die Bewertung des Films herausstellen. Auch wenn die ausformulierte Soziologie der Gewalt nicht frei von Klischees ist, Zombies spielerischer Umgang mit ihnen scheint fast darauf hinzudeuten, dass sich der Regisseur dessen durchaus bewusst ist. Das Einmaleins des „Wie wird ein Mensch zum Serienkiller“ wird dem Zuschauer auf dem Silbertablett serviert. Ob man diesen Sachverhalt als leise Ironie des ansonsten unglaublich ernsthaft auftretenden Horrorfilms deuten will, bleibt dem Zuschauer überlassen. Das gelungenste Element der frühen Jahre des Protagonisten ist übrigens die Einführung seines Maskenfetischs. Durch ihn baut er nach und nach eine zweite Persönlichkeit auf, die bereit ist, über Leichen zu gehen. Die durch eine Maske hervorgerufene oder zumindest begünstigte Verwandlung ist ein häufiges Motiv in Literatur und Film. Zombies Darstellung ist dabei nicht die unglaubwürdigste, aber mit Sicherheit eine die zielstrebig an Nieren geht. Zombie findet für Michaels Verwandlung eine teilweise schockierende Bildsprache der Gewalt, die ihren schmerzhaften Höhepunkte im ersten Mord an einem Menschen findet (zuvor waren es Tiere) Hier mischt sich Zombies eigener Inszenierungsstil mit Zitaten aus dem Original – abwechselnd imitiert die Kamera die Sichtweise des Täters (ein häufig von Carpenter in „Halloween“ eingesetztes Mittel) und die des Opfers, dessen Blick an Ende langsam im Himmel verschwimmt. Beeindruckend. Eine sehr bedrückende Szene!
„Sympathy For The Devil“ könnte das künstlerische Leitmotiv des Ex-Frontmannes der Band „White Zombie“ sein. Nicht nur die Texte seiner Songs und die zugehörigen Videoclips, auch die beiden Vorgängerfilme zeichnen sich durch eine starke Faszination für das Böse aus. Bestes Beispiel dafür ist sein letzter Film „The Devil´s Rejects“, dessen heimliche Helden eine massenmordende Psychopathenfamilie war. Von der ohnehin schon harten Gangart des Horrorfilms des neuen Jahrtausends heben sich Zombies Werke noch einmal durch ihre Tonart ab, die kaum anders als sadistisch zu nennen ist. In der ersten Hälfte von „Halloween“, welche sich mit Michaels Jugend befasst, kann man nun vielleicht zum ersten Mal den Eindruck bekommen, dass die von Zombie zur Schau gestellte Gewalt nicht bloßer Selbstzweck ist: Michaels erster Wutausbruch gegenüber einem Mitschüler, die fast wie in Trance ausgeführten Morde an seinem Stiefvater und seiner Schwester, seine plötzliche Attacke gegen eine Krankenschwester – diese Szenen machen in ihrer Konsequenz filmdramaturgisch Sinn. Leider verflüchtigt sich dieser Eindruck mehr und mehr im weiteren Verlauf des Films.
Nach dem Ausbruch aus der Anstalt zieht es Michael zurück nach Haddonfield – und der Film wird zum Slasher. Nachdem Zombie fast eine Stunde dafür aufgewendet hat Michaels Heranreifen zu zeigen, muss es danach etwas schneller gehen. Vom langsamen Spannungsaufbau aus dem Original ist in Zombies Fassung nicht mehr viel übrig, recht eilig werden die obligatorischen Etappen abgespult. Opfer über Opfer geht Michal zielstrebig seinem Ziel, seiner jüngeren Schwester, entgegen. Das Schlachtfest ist besser inszeniert als im durchschnittlichen 08/15-Slasher, doch es fällt auf, wie viel Spaß der Regisseur daran hat, die hilflosen Opfer vor dem Killer davon kriechen zu lassen, nur damit sie gleich darauf doch wieder eingefangen werden. Michael Myers und Rob Zombie – beim Film kennen beide kein Mitleid, sondern scheinen das gleiche Vergnügen daran zu haben, wenn sich ihre weiblichen und nicht selten nackten Opfer im eigenen Blut wälzen. Zumindest Michael kannte man so ja bisher nicht! In der zweiten Hälfte wird sich bei vielen Zuschauern deswegen trotz gelegentlicher inszenatorischer Highlights nicht nur eine gewisse Monotonie bedingt durch die genretypische Erzählweise bemerkbar machen, sondern ebenso Widerwille angesichts mehrer qualvoller Szenen.
„Mikey, please don't, buddy please, I was good to you, please, I'm your friend.”
Schauspielerisch darf man in diesem Genre keine Glanzlichter erwarten. Ausfälle gibt es dennoch nicht. Hervorzuheben ist sogar die Performance von Daeg Faerch („Rattle Baske“) der den jungen Michael Myers spielt. Faerch schafft es, genau die richtige Ambivalenz in seine Darstellung zu legen. Es ist kaum zu entscheiden, ob sich nach und nach düstere Töne in seinen Charakter einschleichen oder ob das Böse die ganze Zeit präsent ist. Auch Zombies Gattin Sheri Moon („The Devil´s Rejects“) hat sich diesmal eine lobende Erwähnung verdient. Sie spielt die fürsorgliche White-Trash-Schlampe Deborah glaubhaft. Auch den heiklen Punkt der Besetzung eines neuen Loomis-Darstellers löst Zombie mit Malcolm McDowell zufriedenstellend. Sicher gehört B-Actor McDowell (Uhrwerk Orange)) nicht zu den ganz Großen, aber er geht die Sache richtig an. Er spielt seinen Loomis auf der einen Seite sehr viel weicher und führsorglicher als Donald Pleasence (Die Klapperschlange) den Doktor im Original – macht auf der anderen aber deutlich, dass er eine Mitschuld daran trägt, was aus Michael geworden ist. Tyler „Sabretooth“ Mane (X-Men) nutzt seine wenigen Möglichkeiten unter der Maske durch seine physische Präsenz und die Art, sich zu bewegen. Weniger gelungen fallen die Teen-Opfer aus der zweiten Filmhälfte aus; lediglich die neue Scout Taylor-Compton (Zombies) als Laurie Strode bekommt in der sehr körperlichen Tour de Force des Marathon-End-Kampfes (es hätten auch zehn Minuten weniger sein dürfen) die Chance, zumindest als Scream-Queen zu zeigen, was sie kann..
Der neue „Halloween“ ist kein Gute-Laune-, sondern ein Gallenstein von einem Horrorfilm. Seine Stimmung unterscheidet er sich stark von dem Vorbild. Das wird vielen Fans des Originals nicht gefallen. Doch kann man Zombie vorwerfen, er habe das Original nicht verstanden, weil er nicht in die gleiche Bresche schlägt wie die anderen Filme, die unter dem Halloween-Label erschienen? Sicherlich nicht. Zombie macht das einzig Richtige. Er interpretiert den Stoff auf seine Weise: rau und dreckig. Trotz zahlreicher Referenzen an Carpenters Klassiker (z.B. als Michael sein Opfer mit dem Küchenmesser an der Wand festnagelt) zieht er kompromisslos sein eigenes Ding durch und führt die Themen weiter, die ihn seit Beginn seiner Karriere als Filmemacher beschäftigen. Dafür, dass die Daumenschrauben sitzen, sorgt übrigens auch die Filmmusik von Tyler Bates: zurückhaltend, aber trotzdem die gruselige Atmosphäre des Films unterstützend. Gut integriert ist auch das neu arrangierte Titelthema von John Carpenter sowie – gewöhnungsbedürftig – Metal- und Hardrocksongs von Kiss („God Of Thunder“), Alice Cooper („Only Women Bleed“) und anderen. Zombies inszenatorische Fähigkeiten haben sich seit seinem Debüt „Haus der 1000 Leichen“ merklich weiterentwickelt. Sein Halloween darf wohl mit einigem Recht als die eigenständigste Arbeit neben dem Original angesehen werden.
Fazit: Mit seinem originellen Ansatz hat Rob Zombies Remake von John Carpenters „Halloween“ durchaus seine Daseinsberechtigung. Sein dritter und bisher bester Film ist größtenteils spannend und sehr brutal. Nach einer eigenständigen ersten Hälfte verlässt sich der Regisseur in der zweiten Hälfte leider zu sehr auf die konventionelle Dramaturgie des Genres. Zum Schluss hebt nur noch Zombies gute bis sehr gute Inszenierung „Halloween“ von der Masse der Slasher-Filme ab.