Mein Konto
    Gefahr und Begierde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Gefahr und Begierde
    Von Andreas Staben

    Ang Lee ist berühmt für seine Vielseitigkeit. Da kann es den mit seinen Werken vertrauten Zuschauer nicht verwundern, dass der taiwanesisch-amerikanische Regisseur sich nach dem mit Preisen überhäuften Cowboy-Drama Brokeback Mountain für seinen neuen Film wieder einmal nach China wandte. Zuletzt hatte er dort vor sieben Jahren Tiger und Dragon gedreht, der durch seinen weltweiten Erfolg eine bis heute anhaltende Welle anspruchsvoller Martial-Arts-Produktionen auslöste. „Gefahr und Begierde“ spielt nun nicht mehr im legendenumrankten alten Reich, stattdessen entfaltet Lee sein intensives Spionage- und Liebesdrama vor dem zeithistorischen Hintergrund der japanischen Besetzung Chinas in den 30er- und 40er Jahren. Und auch in diesem Genre reüssiert der Filmemacher, indem er sich und seinen Themen treu bleibt. Wieder erkundet er das zentrale Motiv seiner Arbeit, den Widerstreit und die Versöhnung von Gegensätzen, in neuen Facetten.

    Hongkong, 1938. Nachdem ihr Vater sich nach England abgesetzt hat, sucht die zurückgelassene Wang Jiazhi (Tang Wei) Anschluss an eine patriotische studentische Theater-Kompanie. Deren Leiter, Kuang Yu Min (Wang Leehom), erkennt Wangs Talent und als die Gruppe beschließt, sich nicht mehr nur propagandistisch gegen die japanische Fremdherrschaft zu engagieren, kommt der jungen Frau eine Schlüsselrolle zu. Sie soll für Zugang zu dem hochrangigen Kollaborateur Yi (Tony Leung) sorgen. Schon bald nimmt Wang unter der Tarn-Identität Frau Mak regelmäßig an den Mahjong-Runden von Frau Yi (Joan Chen) teil und auch dem Mann kommt sie immer näher. Bevor der Mordplan allerdings vollendet werden kann, versetzen die Japaner Herrn Yi nach Shanghai. Nach einem dramatischen Zwischenfall wird die Gruppe gesprengt, Wang lebt fortan als Studentin bei ihrer Tante. 1941 in Shanghai begegnet sie Kuang Yu Min wieder, der ihr deutlich zugeneigt ist. Schließlich ergibt sich die Gelegenheit, den nun noch gefährlicheren Plan aufleben zu lassen. Zwischen der Spionin und dem mittlerweile zum Geheimdienstchef aufgestiegenen Herrn Yi entwickelt sich eine erotisch aufgeladene Hassliebe. Bald steuert die gefährliche Affäre auf eine Katastrophe zu.

    Als Ang Lee kürzlich bei den Filmfestspielen in Venedig bereits zum zweiten Mal den Goldenen Löwen erhielt, fiel die Reaktion nicht so einmütig positiv aus wie vor zwei Jahren bei seinem Triumph mit Brokeback Mountain. Viele Kritiker störten sich an der von ihnen als geschwätzig empfundenen Dialoglastigkeit in „Gefahr und Begierde“ und auch die expliziten Sexszenen wurden oft als Rückschritt gegenüber der sehr zurückhaltenden Inszenierung von Brokeback Mountain empfunden. Ähnlich wie bei der Debatte über die Behandlung der Homosexualität im Vorgängerfilm führt aber eine Diskussion der angemessenen Darstellung von Sex und dabei vor allem seiner sadomasochistischen Spielart angesichts der Szenen zwischen Tang Wei und Tony Leung in die Irre, wenn das, was unter der offenherzigen Oberfläche erzählt wird, nicht berücksichtigt wird.

    Ang Lees Figuren sind ständig auf der Suche - nach einer Heimat, einer Familie, einem Platz im Leben. Das gilt für die asiatischen Werke des Filmemachers ebenso wie für seine Hollywood-Produktionen. In seinen ersten Filmen, der sogenannten „Father Knows Best“-Trilogie („Schiebende Hände“, „Das Hochzeitsbankett“, „Eat Drink Man Woman“), geht es um das konfliktbeladene Verhältnis der Generationen zwischen östlicher und westlicher Lebensweise. Dass Herz und Hirn zumeist nicht den gleichen Weg weisen, zeigt uns Lee mit großem Einfühlungsvermögen auch in Jane Austens England (Sinn und Sinnlichkeit) und in das krisengeplagte Amerika der 70er Jahre (Der Eissturm). Die besondere Zerrissenheit einer sich in Auflösung befindenen Gesellschaft, die auch „Gefahr und Begierde“ prägt, hat der Regisseur zudem im Bürgerkriegs-Western „Ride With The Devil“ überzeugend eingefangen. Und der in der Comic-Verfilmung Hulk fast shakespearesche Dimensionen annehmende Vater-Komplex findet sich im neuen Film als traumatisch empfundene Abwesenheit wieder. Dessen Protagonistin Wang wird weniger von politischen Idealen angetrieben als von einer Sehnsucht nach Geborgenheit. Sie hat dabei Verstellung und Anpassung so sehr verinnerlicht, dass die Spionage sich für sie kaum von der Schauspielerei zu unterscheiden scheint.

    Die Newcomerin Tang Wei als Wang erweist sich in ihrem Debüt als ideal für Ang Lees Kunst der vielschichtigen Charakterzeichnung geeignet, die mit kaum mehr als Andeutungen auskommt. Die Schauspielerin schafft es mit kleinen Gesten und Blicken sowie winzigen Variationen im Tonfall, eine komplexe Mischung aus Rastlosigkeit, Lust am Risiko und unterdrückter Verletzlichkeit spürbar werden zu lassen. Besonders reizvoll ist die Paarung des Neulings mit Hongkongs Superstar Tony Leung (2046, Hero, Infernal Affairs), der mit der Darstellung des unsympathischen Herrn Yi deutlich von seinem sonstigen Image abweicht. Leung gelingt es, den mühsam maskierten Selbsthass des Kollaborateurs zu offenbaren und verleiht ihm zugleich eine melancholische Aura. Zusammen sind Wang und Yi eines der faszinierendsten und rätselhaftesten Leinwandpaare der letzten Jahre. Dagegen ist das Beziehungsdreieck mit dem Widerstandskämpfer Kuag Yu Min, der Pflicht vor Neigung stellt, nur vage skizziert, und auch Joan Chens (Der letzte Kaiser, „Twin Peaks“) Frau Yi bleibt eine Randfigur. Insgesamt wird die ereignis- und figurenreiche Handlung der Vorlage von Eileen Chang aber sehr geschickt verdichtet.

    Ähnlich detailgenau und dennoch unaufdringlich wie bei der Figurenzeichnung gehen Ang Lee und seine Mitstreiter auch bei der visuellen Umsetzung des Stoffes vor. Die aufwändigen Sets sind eine Augenweide, werden aber nie selbstzweckhaft zur Schau gestellt. Auch Kamera und Kostüme evozieren die 40er Jahre in einer gelungenen Mischung aus historischem Realismus und leisem Film-Noir-Glamour. Ebenso bemerkenswert ist die Filmmusik von Alexandre Desplat (Die Queen, Syriana, Birth), die mit gefühlvollen klassisch-melodischen Klängen den Ausdruck widersprüchlicher Empfindungen verstärkt.

    „Gefahr und Begierde“ ist ein äußerst reizvolles Epos für mitdenkende und mitfühlende Zuschauer auf beeindruckendem gestalterischen Niveau. Ang Lee erweist sich erneut als Meister der leisen Töne und der feinen Nuancen. Auch die deutliche und in Momenten drastische Darstellung von Sex und Gewalt fügen sich sinnfällig in die als Ganzes dennoch diskrete Erzählung.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top