Einen Film von Wong Kar-Wai (As Tears Go By, Happy Together) in eine Genreschublade zu stecken, ist eigentlich nicht möglich. Der Grund ist recht simpel: Der chinesische Regisseur hat sich über die vergangenen zwei Dekaden sein eigenes Genre geschaffen. Dies ist auch bei seinem neuesten Werk „My Blueberry Nights“ nicht anders. Diesmal macht er sich die Motive des Road Movies und des Liebesfilms zu Nutze - gepaart mit dem wunderbaren Wong Kar-Wai-Touch ergibt sich für seinen ersten englischsprachigen Langfilm so ein stilvoll fotografiertes und fabelhaft gespieltes Kleinod.
Nachdem ihr Freund sie nach fünf gemeinsamen Jahren verlassen hat, landet Elizabeth (Norah Jones) in einem kleinen New Yorker Café. Eigentlich will sie dort nur die Schlüssel zur Wohnung des Ex-Freundes abgeben, doch Jeremy (Jude Law), der Besitzer des Lokals, versucht sie mit Kaffee und einem Stück Blaubeerkuchen wieder aufzurichten. In einer großen Glasschüssel auf dem Tresen finden sich Dutzende Schlüssel und Jeremy hat zu jedem einzelnen eine Geschichte parat. Einige Nächte lang verbringen Elizabeth und Jeremy bei Gesprächen und Kuchen. Doch dann ist Elizabeth plötzlich verschwunden. Sie ist zu einer Reise quer durch die USA aufgebrochen, um zu vergessen.
Ihr Trip führt sie zuerst nach Tennessee. Genauer gesagt nach Memphis. Dort arbeitet sie tagsüber in einem Diner und nachts in einer Bar. Der alkoholkranke Cop Arnie (grandios: David Strathairn, Good Night, And Good Luck) ist einer ihrer Stammkunden. Sie wird Zeuge, wie ihn die Liebe zu seiner untreuen Frau Sue Lynne (Rachel Weisz) langsam zu Grunde richtet. Das nächste Ziel liegt im Westen. In Nevada lernt sie die Spielerin Leslie (Natalie Portman) kennen. Auch sie besitzt ein trauriges Geheimnis. Doch während der ganzen Zeit hält Elizabeth auch mit Jeremy Kontakt, dem sie regelmäßig Postkarten mit ihren Gefühlen und Gedanken - als eine Art Reisetagebuch - schickt. Und es ist natürlich klar, wo ihr Trip schließlich enden wird…
Der Ausgangspunkt für die Geschichte des Films ist die mittlerweile schon beinahe legendäre Kussszene. Eine zentrale und wichtige Szene recht zu Beginn von „My Blueberry Nights", in der Jude Law der schlafenden Norah Jones einen zarten Kuss gibt. Ein ganz kurzer magischer Moment, in dem der Zuschauer im ersten Augenblick gar nicht genau weiß, war es nun ein Kuss oder nicht, denn die Kameraeinstellung lässt verschiedene Interpretationen zu. Die Auflösung erfolgt erst fast ganz zum Schluss. Bis dahin ist diese Szene ein subtil-romantisches Versprechen, das Wong Kar-Wai mehr als nur einmal im Verlauf des Films einlöst.
An die Filme von Wim Wenders würde „My Blueberry Nights" erinnern, schrieben einige Kritiker nach der Premiere in Cannes. Tatsächlich interpretiert Wong Kar-Wai ähnlich wie sein deutscher Kollege das amerikanische Kino in seinem ihm eigenen - vor allem extrem visuellen - Stil. Zu Beginn fängt er zusammen mit seinem neuen Kameramann Darius Khondji New York in genau demselben unwirklichen Stil ein, mit dem er in Chunking Express und Fallen Angels schon Hongkong porträtierte. Er variiert die Bildgeschwindigkeit, nutzt Schärfe und Unschärfe, lässt die Bilder einfach zerfließen und spiegelt in dieser leichten Hektik den Seelenzustand von Elizabeth wider. Je länger der Film und damit auch die Reise der Heldin dauern, je mehr verlangsamt sich auch das Tempo der Bilder. Die Kneipe in Memphis und das Casino in Nevada erinnern dann stark an die Gemälde von Edward Hopper, die nur noch ganz vorsichtig durch die Bildermischmaschine Wong Kar-Wais geschickt wurden und dadurch noch klarer und stärker wirken. Hier nutzt der chinesische Regisseur sehr lange Einstellungen, die mit Bluesmusik untermalt eine zauberhaft melancholische Stimmung verbreiten.
Wie schon in seinen beiden vorangegangenen Filme In The Mood For Love oder 2046 zeigt sich einmal mehr Wong Kar-Wais Händchen für Schauspieler. Soul-Sängerin Norah Jones strahlt in ihrem Spielfilmdebüt eine Natürlichkeit und Naivität aus, die ideal zu der Rolle der Elizabeth passt. Jude Law (Hautnah, Alfie, Liebe braucht keine Ferien, 1 Mord für 2) sieht wie immer unverschämt gut aus. Ehrlich gesagt sieht er noch besser aus und spielt den Café-Besitzer Jeremy auf eine romantisch-schelmische Art, die Frauenherzen im Kino dahin schmelzen lassen wird. Aber auch Rachel Weisz (Die Mumie, Die Mumie kehrt zurück, Der ewige Gärtner) erstrahlt auf der Leinwand als perfekte Southern Belle. Selten hat auch sie so großartig ausgesehen. Doch Kar-Wai holt nicht nur optisch das Maximum aus seinen Schauspielern heraus. Gerade die absolut umwerfende Natalie Portman (Garden State, V wie Vendetta, Goyas Geister, Mr. Magoriums Wunderladen) zeigt hier ihre vielleicht beste Leistung seit „Beautiful Girls". Sie verleiht der Figur der Leslie eine subtile Zerbrechlichkeit hinter der toughen Fassade.
Fazit: Alles in allem ist der erste englischsprachige Film von Wong Kar-Wai eine romantische Liebesgeschichte voller Melancholie, aber ohne die bei dem Regisseur sonst übliche Rätselhaftigkeit. Der asiatische Großmeister des Melodrams überzeugt wie immer mit großer visueller Kraft. Die großartigen Schauspieler runden den sehr positiven Gesamteindruck von „My Blueberry Nights" stimmig ab.