X-Men Origins: Wolverine eröffnet die Blockbuster-Saison 2009 und mutet zunächst als ambitioniertes Projekt an, in dem die Vorgeschichte des beliebtesten Mutanten der X-Men-Reihe ergründet werden soll. Hauptdarsteller Hugh Jackman fungierte außerdem als Produzent und stand so, was die Entwicklung und den Umgang mit seinem Wolverine angeht, dem actionunerfahrenen Regisseur Gavin Hood nicht nur mit Tat, sondern auch Rat hinsichtlich der Umsetzung zur Seite. Dennoch: aus dem ersten von mehreren geplanten Origins-Projekten ist ein zwar oberflächlich ansehnlicher, aber ungeheuer uninspirierter und in dieser Form beinahe schon überflüssiger Krawall geworden, der es mit keinem der bisherigen X-Men-Filme aufnehmen kann.
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Unter tragischen Umständen entdeckt James Howlett als Kind seine Mutantenkräfte. Knochenkrallen stoßen aus den Händen des Jungen, sein Alterungsprozess verläuft stark verlangsamt und sein Körper verfügt über außergewöhnliche Selbstheilungskräfte. An der Seite seines Halbbruders Victor kämpft er in den folgenden Jahrzehnten in mehreren Kriegen und schließlich in einer Mutantenspezialeinheit, geführt von General Stryker. Doch als Logan besonders die skrupellosen Taten Victors zu weit gehen, kehrt er der Einheit den Rücken und setzt sich in den Bergen Kanadas zur Ruhe. Mit verheerenden Folgen...
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Eröffnet mit einer durchaus symbolträchtigen und starken Sequenz aus der Kindheit des Helden und weitergeleitet in einen sehr stil- und kunstvollen Vorspann, in dem die Halbbrüder Logan und Victor im Bürgerkrieg, den Weltkriegen und in Vietnam gezeigt werden, beginnt der Film extrem einnehmend. Jackman und Liev Schreiber gelingt es in diesem Zusammenschnitt anhand von Blicken, Gesten und verstärkt durch Standbilder die Spannung zwischeneinander spürbar zu machen. Schreibers Victor entwickelt eine sich stetig steigernde Lust am Töten und gibt sich seinen Mutantenkräften voll hin. Logan hingegen geht mit seiner Überlegenheit im Kampf zurückhaltender um, versucht Moral und Anstand zu wahren. Leider wird in der Folge die Entzweiung der Halbbrüder nicht etwa zum Ausloten ihrer Persönlichkeiten genutzt (was ja gerade in Wolverines Fall eigentliches Credo war), sondern mutiert mit dem Auftauchen von General Stryker zum bloßen Zündholz der Drehbuchautoren für einen äußerst platten Rache-Plots.
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Logan und Victor werden Teil von Strykers Spezialeinheit, für die es anschließend zu einem Einsatz nach Nigeria geht. Nacheinander dürfen alle Mitglieder ihre Fähigkeiten vorführen und als Victor schließlich eine unschuldige Kehle zu viel mit seinen mächtigen Pranken umfasst, hat Logan genug und wendet sich auch schon wieder von der Truppe ab. Dass der bereits Jahrzehnte schwellende Konflikt dabei nicht wirklich einen neuen, seitens Logan nicht mehr zu tolerierenden Höhepunkt erreicht und er selbst während des gesamten Einsatzes vollkommen untätig bleibt, wirkt für sich schon seltsam. Doch nicht nur das, das Geschehen wirkt im Ganzen völlig nichtssagend und obwohl der böse General Stryker natürlich einen finsteren Plan verfolgt, ist hinter der Story ab diesem Zeitpunkt absolut keine Dimension mehr zu erkennen und geht zu keinem Zeitpunkt über das hinaus, was das Auge sieht. Die Charaktere, deren Tiefenregler zunächst dem Anschlag entgegen geschoben werden, verstummen innerlich scheinbar völlig, Victor bekommt ein löchriges Motiv verpasst, das ihn die alten Teamkameraden töten lässt und das sich gegen Ende sogar völlig im Nichts auflöst. Von der Ambivalenz, die Logan zum Teil in den vorherigen (bzw. in der Chronologie nachfolgenden) X-Men-Teilen und besonders in den Comics ausmacht, ist ebenso nicht viel geblieben. Das oft zitierte „wilde Tier“, das er doch sein soll, kommt in X-Men Origins: Wolverine eigentlich nie deutlich genug zum Vorschein. Zwar wird Jackman in einige muskelstarrende Posen gesetzt, letztendlich bleibt sein Wolverine hier aber eher ein recht handzahmes Kätzchen.
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Nun wäre ein eben doch nicht allzuweit in die Psyche seiner Figuren und deren Motive eindringender Comic-Actionfilm nicht das allerschlimmste (und auch nach The Dark Knight und Watchmen noch erlaubt). Schließlich werden auch alle diesbezüglichen Bemühungen recht fix im Sinne möglichst vieler Krach- und Effekteeinlagen geopfert, doch die Pfade, an denen diese sich entlanghangeln, sind dermaßen ausgelatscht, dass man daran keine Freude haben kann. Nachdem Logan sich aufs Land zurückgezogen hat und mit seiner Freundin Kayla in einer Berghütte lebt, werden sie von Victor aufgespürt, Kayla verliert ihr Leben und Logan den Kampf. So kann Stryker ihn zu einem äußerst gefährlichen Eingriff überreden, bei dem Logans Skelett mit dem unzerstörbaren Metal Adamantium überzogen wird, wodurch er nahezu unbesiegbar wird und seiner Rache nichts mehr im Wege steht. Doch Stryker hat andere Interessen und der neu geborene Wolverine flüchtet. Hier enttäuscht der Film zum einen mit seiner verharmlosten Darstellung, schließlich gab es die Adamantiuminjektion und Wolvie’s Flucht bereits in Flashbacks in X-Men 2 zu sehen, wo die Szenen um einiges kraftvoller und dramatischer wirkten (nicht zuletzt, weil man sich nicht davor scheute einen blutbesudelten Wolverine zu zeigen). Wirklich haarsträubend wird es etwas später, als der nackte Krallenmann auf einer Farm landet – und dort von einem alten Ehepaar aufgepäppelt und mit moralischem Rat versorgt wird. Diese Sequenz, wenn auch ungewohnt konsequent in ihrer Auflösung, ist unglaublich altbacken und in ihrer Plumpheit unfassbar einfallslos. Natürlich hatten die beiden Alten einen Sohn, dessen Kleidung Logan „wie angegossen“ passt...
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Eine Charakterentwicklung findet nach zehn Minuten nicht mehr statt, die Story benötigt abgedrosche Szenen, um am Laufen zu bleiben und die Tragweite des Geschehens übersteigt kaum die Flügelspanne eines Wellensittichs. Womit kann X-Men Origins: Wolverine also punkten? Leider nur mit sehr wenigen Dingen, die zudem den Status des guten Willens‘ meist nicht überschreiten. Viele Charaktere aus dem reichhaltigen Universum der X-Men bekommen einen Auftritt spendiert – nett, nur hinterlassen sie absolut keinen Eindruck und verschwinden schnell wieder. Von den Namen her verspricht die Besetzung einiges – löst jedoch nichts ein, wenn die Figuren nur durch so wenige Szenen huschen. Schauspielerisch hält Hugh Jackman sich tapfer, verkörpert Wolverine mit Hingabe und Einsatz, kann aber, dadurch dass der Figur (außer einer softeren) keinerlei neue Facetten beigemengt werden, nichts besonders spektakuläres mit ihm machen. Liev Schreiber hätte das Zeug zu einem erschreckenden und diabolischen Gegenspieler, bekommt aber zum einen wenige (dazu kaum gute) Dialoge, die die Beziehung zu Logan ausleuchten könnten, zum anderen nutzt er sich im Verlauf des Films enorm ab, muss zum Showdown sogar von einem hochgezüchteten „Supermutanten“ in der Rolle des Hauptbösen ersetzt werden, womit der Konflikt der Halbbrüder nochmals arg untergraben wird. Danny Huston erreicht das fies-brilliante Niveau eines Brian Cox, der in X-Men 2 den Stryker spielte, nicht im Ansatz. Der von den Fans herbeigesehnte Auftritt Gambits, gespielt von Taylor Kitsch, wird zwar nett eingeleitet, verheddert sich dann aber genauso schnell in einer so überflüssigen, wie lahmen Keilerei und Bubi Kitsch macht aus dem zwielichtigen, gewieften Kartentrickser einen ziemlich minderwertigen Sidekick, der zum Schluss einen wiederum unfassbar ausgelutschten Han Solo-Gedächtnismoment bekommt.
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Bis auf Wolverine vs. Helikopter‘ bieten auch die Actionszenen nichts wirklich berauschendes. Den Maßstab des Films merkt man einigen sterilen CGI-Bildern nicht an, außerdem ist weder die Choreografie der Kämpfe, noch deren Abwechslungsreichtum besonders gelungen. Da viel mit ähnlichen Waffen (Krallen, Klingen, Stäben) und Angriffsmethoden zu Werke gegangen wird, sehen die Fights zumeist relativ gleich aus, was bei einem solchen Sammelsorium an verschiedensten Mutantenkräften nicht sein müsste. Darüberhinaus sind die Auseinandersetzungen mehr als einmal im Prizip sinn- und zweckfrei, wenn etwa Wolverine mit dem schwergewichtigen Blob in den Boxring steigen muss, um an Informationen zu kommen, wirkt das vor dem Hintergrund, dass es ihm eigentlich um Rache für seine getötete große Liebe geht, fast schon lächerlich banal.
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X-Men Origins: Wolverine ist ein Film, der gerne mehr geworden wäre und viel mehr hätte sein müssen, um überzeugen zu können. Überwiegend erzählt mit einfachsten und zudem bis zum Erbrechen überreizten Mitteln und vollgestopft mit Actionszenen, die über unnötig bis uninteressant alles sind, nur nicht spektakulär und mitreißend. Zudem in seinen Handlungssträngen so erschreckend unabgeschlossen (kaum eines der zentralen Themen wird zufriedenstellend oder überhaupt aufgelöst) und seine eigenen (guten) Ansätze im Verlauf der Story immer schwungvoller in den Wind schießend, dass man für die eventuelle Fortsetzung, die spätestens nach den Credits in einer kurzen Zusatzszene angedeutet wird, nur eines hoffen kann: das sie niemals gedreht wird, um einem so unausgegorenen Werk damit nicht auch noch die Berechtigung zu geben, die es in der vorliegenden Form nicht verdient hat.
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