Seit 1997 veröffentlicht Lee Child seine Romane rund um den Ex-Militär-Ermittler Jack Reacher, der durch die USA streift und dabei immer wieder Mordkomplotten und Verschwörungen auf die Spur kommt. Bereits die Ankündigung der schlicht „Jack Reacher" betitelten Adaption des Romans „Sniper", mit der Childs Held nach insgesamt 17 Büchern Ende 2012 endlich sein Kinodebüt gibt, sorgte für Aufruhr unter den Fans der Vorlage, zu denen auch Ex-US-Präsident Bill Clinton gehört. Der Grund für die Aufregung: die Besetzung der Hauptrolle mit Superstar Tom Cruise. Der Romanheld ist schließlich satte 1,96 Meter groß, über 100 Kilogramm schwer und hat Augen blau wie Gletscherberge. Mit solchen Gardemaßen kann der grün-grauäugige 1,70-Meter-Mann Cruise nun einmal nicht mithalten. Autor Child verteidigte die Entscheidung dagegen und wies darauf hin, dass die Größe Reachers in seinen Büchern mehr eine Metapher für die unaufhaltsame Kraft der Figur sei, die Cruise auf seine eigene Art darstellen könne. Tatsächlich bringen Regisseur Christopher McQuarrie und sein Hauptdarsteller die Figur auf ihre Weise auf die Leinwand und bleiben dem Geist der Vorlage dabei trotzdem treu. Aber viel wichtiger: „Jack Reacher" ist - ganz wie die Romane – unkomplizierte und spannende Thrillerkost.
In einer mittelgroßen amerikanischen Stadt erschüttert ein Amoklauf die Öffentlichkeit: Ein Scharfschütze hat fünf Passanten erschossen. Dem ermittelnden Polizisten Emerson (David Oyelowo) und dem Staatsanwalt Alex Rodin (Richard Jenkins) gelingt es schnell, den vermeintlichen Täter zu stellen - alle, wirklich alle Beweise deuten auf den Ex-Army-Scharfschützen James Barr (Joseph Sikora). Bevor der ins Koma geprügelt wird, schreibt er bei seiner Vernehmung nur einen Satz auf einen Zettel: Man solle Jack Reacher herbringen. Doch dieser Reacher, ein ehemaliger Militärpolizist, ist unauffindbar, ein Geist - vor über einem Jahrzehnt aus dem Militär ausgeschieden, ohne festen Wohnsitz, ohne die Möglichkeit kontaktiert zu werden. Doch plötzlich steht jener Jack Reacher (Tom Cruise) in der Tür. Helfen will er Barr allerdings nicht, ganz im Gegenteil: Während seiner Army-Zeit war der nämlich bereits einmal Amok gelaufen, aber damals war Reacher durch die Umstände gezwungen, ihn laufen lassen. Es ist unklar, warum Barr ausgerechnet nach Reacher verlangt und warum ein ausgebildeter Soldat wie er eine so lückenlose Beweiskette zurückgelassen hat, dass er überführt werden musste. Reacher beginnt an den Fakten zu zweifeln und kommt, unterstützt von Barrs Anwältin Helen Rodin (Rosamund Pike), der Tochter des Staatsanwaltes, einer Verschwörung auf die Spur....
Oscar-Preisträger Christopher McQuarrie („Die üblichen Verdächtigen"), der bei „Jack Reacher" für Drehbuch und Regie verantwortlich ist, gibt dem Zuschauer von Anfang an einen gehörigen Wissensvorsprung: So wissen wir sofort, dass nicht Barr, sondern ein anderer Mann (gespielt von Jai Courtney) der Schütze ist. Zudem enthüllt McQuarrie früh die Verschwörung, hinter der ein mysteriöser Russe namens „Der Zec" (Werner Herzog) steckt. Dessen Motiv wird zwar ebenfalls genannt - es geht um Grundstücksspekulationen -, bleibt aber seltsam nebulös. Das „Warum" ist für McQuarrie sekundär, dafür dominiert das „Wie". Und darauf lautet die Antwort: Tom Cruise. „Jack Reacher" ist zu weiten Teilen die One-Man-Show des „Mission: Impossible"-Stars. Cruises Reacher ist eine coole Sau, der einfach nichts anzuhaben ist, er ist allen anderen Figuren überlegen und trägt das offen zur Schau. So weist er seine fünf Gegner bei einer sich anbahnenden Kneipenschlägerei mit einem lockeren Spruch darauf hin, wie die Sache gleich ablaufen wird. Danach setzt er dies mit schonungsloser Härte in die Tat rum, um kurz darauf auf bestechende Weise zu analysieren, dass diese scheinbar zufällige Auseinandersetzung mit ein paar Halbstarken eine Falle war. Reachers herausragende Kombinierfähigkeiten erscheinen dabei nicht etwa als geradezu übernatürliche Begabung, sondern der brillante Ermittler erklärt in knappen, aber präzisen Halbsätzen, wie er zu seinem Schluss gekommen ist.
Mit Reachers extrem herausgestellter Coolness schrammen Tom Cruise und Christopher McQuarrie bisweilen nur haarscharf an der Karikatur vorbei, etwa wenn Jack mit einem aufgemotzten Chevrolet Chevelle durch die Gegend kreuzt oder wenn wirklich jede Frau, die ihn sieht, ihm einen bewundernden zweiten Blick zuwirft. Nicht zuletzt dank Cruise‘ Starpräsenz funktioniert diese Überzeichnung jedoch und McQuarrie erhebt sie geradezu zum Erzählprinzip: Auch den beiden Altstars in der Besetzung gibt der Regisseur die Gelegenheit, dem Affen ordentlich Zucker zu geben. Robert Duvall („Der Pate", „Apocalypse Now") gibt einen knorrigen alten Scharfschützen, der es so sehr genießt, noch einmal in ein tödliches Feuergefecht zu geraten, dass er den an der Front kämpfenden Reacher immerzu mit Sprüchen triezt. Den Vogel schießt allerdings Werner Herzog ab. Das deutsche Regie-Enfant-Terrible („Aguirre, der Zorn Gottes". „Bad Lieutenant") schauspielert erst gar nicht und sagt als russischer Ex-Gefangener, der sich nur als „Der Zec" bezeichnen lässt und sich von jeder Hand drei Finger abgebissen hat, einfach Befehle auf. Er trägt diese in dem aus den eigenen Dokumentarfilmen wie „Die Höhle der vergessenen Träume", in denen er als Erzähler fungiert, bekannten unverwechselbaren Duktus vor. Damit fügt sich der exzentrische Gelegenheitsschauspieler bestens in einen Film, in dem das kuriose Detail und der knallige Effekt wichtiger sind als Logik und Realismus.
Christopher McQuarrie verdichtet und strafft die Vorlage zu einem flotten Action-Thriller, in dem es so spannend und rasant zugeht, dass gar keine Zeit bleibt, groß über inhaltliche Zusammenhänge nachzudenken. So fällt es dann kaum auf, wenn die Bösewichte, die ihren ursprünglichen Coup noch genial eingefädelt haben, sich bei der späteren Auseinandersetzung mit Jack Reacher ganz schön dumm anstellen. Hier zählt vor allem die coole Attitüde, erzählerische Tiefe lässt sich da kaum erwarten. Die komplizierte Beziehung zwischen Verteidigerin Helen Rodin und ihrem Vater, der als knallharter Staatsanwalt auf der anderen Seite steht, wird nur in wenigen Worten angedeutet und um klarzumachen, dass „Der Zec" ein ganz schon übler Bursche ist, genügt eine Szene, in der dieser seinen Gefolgsmann Linsky (Michael Raymond-James) vor die Wahl stellt, sich die Finger abzubeißen (!) oder zu sterben. Letztlich ist der Film seinem Titel entsprechend kaum etwas anderes als eine „Jack Reacher"-Show: Tom Cruise und Christopher McQuarrie geben dem Romanhelden erfolgreich ein Leinwandgesicht und das könnte durchaus der Auftakt für eine ganze Reihe von Kinoauftritten des charismatischen Ermittlers sein, entsprechende Gedankenspiele gibt es längst.
Fazit: „Jack Reacher" ist ein spannender und kurzweiliger Action-Thriller mit einem coolen Tom Cruise und hoher Schlagzahl, wenn auch ohne ganz große Höhepunkte.