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    The House is Burning
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The House is Burning
    Von Jörn Schulz

    White Trash – keine wirklich schöne Bezeichnung für die weiße Unterschicht in den USA, denn in der Wortgruppe schwingen rassistische und abwertend klassifizierende Töne mit. White Trash – das beinhaltet wenig Geld, dafür aber viele Schulden zu haben, sich im Berufsleben einer schwer zu durchbrechenden Chancenungerechtigkeit gegenüber zu sehen und im Falle des Scheiterns im Job, die ganz Kälte des hauchdünnen US-Sozialsystems zu spüren. Durch seine zahlreichen, in den USA gesammelten Erfahrungen motiviert, hat sich der deutsche Regisseur und Drehbuchautor Holger Ernst des Themas angenommen und in Zusammenarbeit mit den Produzenten und Filmverleih-Gründern Peter Schwartzkopff (Egoshooter, „Narren“, „Halbe Miete“) und Wim Wenders (Don’t Come Knocking, Paris, Texas) mit „The House Is Burning“ ein klassisches Episodendrama gefertigt, das von eben jener Hoffnungslosigkeit in vielen amerikanischen Vorstädten erzählt. Damit wird wie in Volker Schlöndorffs „Tod eines Handlungsreisenden“ der Glaube an den „American Dream“ (vom Tellerwäscher zum Millionär) gründlich in Frage stellt.

    Wie so viele andere Jugendliche aus sozial benachteiligten Milieus in den USA sieht Mike Miller (Joe Petrilla) für seine berufliche Zukunft nur einen sicheren Arbeitgeber: die Armee. Der Einberufungsbescheid ist längst da, die Frisur muss der beim Militär üblichen 1-Millimeter-Rasur weichen. Ein Tag bleibt ihm noch, bis er seine gewohnte Umgebung, seine Freundin, Valerie (Nicole Vicius), und seine Familie verlassen wird. Deshalb bereitet Val eine Abschiedsparty für ihn vor, die sie auch nutzen will, um sich von Mike zu trennen, denn Val will ihr Schicksal als Quasi-Strohwitwe eines Soldaten nicht akzeptieren. Zudem hat sie mit dem Drogendealer Phil (Robin Taylor) – ein Bekannter von Mike – etwas angefangen, was sie ihrem Freund aber verschweigen will. Phil hingegen plagen andere Sorgen. Er muss 5000 Dollar auftreiben, um das Drogengeschäft seines Lebens über die Bühne bringen zu können. Da kommt ihm der pubertierende Steve (Harley Adams) gerade recht. Dieser ist verzweifelt auf der Suche nach einer Waffe, um ein für allemal mit seinem gewalttätigen Vater (John Diehl) abzurechnen. In der Zwischenzeit sitzt und schwitzt die pillensüchtige Terry (Julianne Michelle), eine Freundin von Valerie, bei einem Vorstellungsgespräch, was sie gründlich vermasselt, nachdem sie dem Personalchef anbietet, ihm einen lustvollen Gefallen zu tun, wenn sie nur den Job bekäme. Im Stil eines klassischen Episodendramas verknüpfen sich die Fäden der Einzelschicksale zu einer Geschichte, die auf Mikes Abschiedsparty mehrere dramatische Höhepunkte findet.

    Bei der szenischen Umsetzung des White-Trash-Motivs haben sich Ernst und sein Filmteam sichtlich ins Zeug gelegt. Die Szenerie und die Behausungen der meisten Protagonisten wirken dreckig, heruntergewohnt und trist. Die Hoffnungslosigkeit in Suburbia lässt grüßen. Auch bei der Auswahl der Schauspieler scheinen sich Regisseur und Casting-Crew an das Grundmotiv gehalten und mit Absicht fast nur Akteure ausfindig gemacht zu haben, die kleine aber sichtbare Schönheitsfehlern vorweisen. Terry hat ein nicht übersehbaren Defekt im linken Augenlidmuskel, der diesen tiefer herabhängen lässt, wodurch sie nicht dem klassischen Schönheitsideal entspricht; Steve ist sichtlich von der Pubertät und einer bestimmt nicht freiwillig ausgewählten Frisur gebrandmarkt; und Stella (Samantha Ressler) – Mikes kleine Schwester – hat abstehende Ohren, die im Laufe des Films angelegt werden sollen, was wiederum wie ein ernst zu nehmender medizinischer Eingriff – einer Herzoperation gleichend – inszeniert wird und eine gewisse, unfreiwillige Komik freisetzt. Schönheitsmakel als ästhetische Umsetzung und Stigmatisierung von „White Trash“ sind im Film häufiger zu finden.

    Was einem im ersten Moment vielleicht außerdem wie ein Kuriosum vorkommt und verwundert: Warum dreht ein deutscher Regisseur einen Episodenfilm über amerikanische Jugendliche in einer tristen US-Vorstadt? Der Filmemacher selbst meint dazu: „Film ist eine universale Sprache. Zwischenmenschliche Probleme und Emotionen sind universal, egal welchem Kulturkreis ich entstamme. Wir leben in einer globalisierten Welt, und internationale Politik hat lokalen Einfluss. Es gibt natürlich Gründe, die mich dazu bewegt haben, „The House Is Burning“ in den USA zu realisieren. Dazu gehört mit Sicherheit, dass ich einige Jahre in den USA gelebt habe, mit Jugendlichen dort Umgang hatte, auch Kids kennen gelernt habe, die zur Army gingen bzw. auch im Irak gedient haben. Aber diese Figuren und Probleme gibt es überall auf der Welt. Das ist keine Frage der Nationalität.“

    Ganz so universal sind die geschilderten Verhältnisse doch nicht. So haben Soldaten hierzulande (noch) nicht zu erwarten, automatisch in ein Kriegs- oder Krisengebiet gesandt zu werden – so wie es Mike im Film ergehen könnte–, wenn sie sich nicht ausdrücklich dazu bereit erklären. Auch würden die in Deutschland (noch) existierenden sozialen Sicherungssysteme im Fall von Terry und Steves Vater einspringen, so dass sie nicht gleich den Abstieg in die Arbeits- und Obdachlosigkeit zu fürchten hätten. Auch wenn die Einschnitte ins Sozialsystem in den vergangenen Jahren schmerzhaft waren und sich die sozialen Probleme verschärft haben: Deutschland ist (noch) nicht mit den USA gleichzusetzen. Hier macht sich der Regisseur und somit auch die „Universalität“ des Films uns etwas vor. Aber die Perspektive eines Deutschen auf amerikanische Verhältnisse bietet auch eine Chance. Durch eine größere Distanz zur anderen Gesellschaft und mit der Brille des Ethnologen bestückt, ließen sich die sozialen Umstände vielleicht auf eine andere Weise und aus einer anderen Sichtweise erzählen.

    Leider schöpft „The House Is Burning“ diese Chance nicht vollends aus. Am Ende des Films macht sich unweigerlich ein flaues Gefühl in der Magengegend breit, all diese Geschichten, all diese Schicksale schon mal auf der Leinwand gesehen zu haben und dass der Film mit keiner erzähltechnischen Neuerung brillieren kann. Sicher: Themen und Geschichten im Film gleichen sich. Aus diesem „Dilemma“ gibt es kaum einen Ausweg. Aber aus genau jenem Grund ist der Stil des Regisseurs so wichtig. Zur Einordnung des Films: „The House Is Burning“ ist weniger packend als Larry Clarks grandioses Sozialdrama „Kids“ und trotz einiger Gewalt- und Sexszenen seichter als Ken Park. An diese beiden im Presseheft erwähnten Referenzen reicht die Qualität des Films nicht heran. Jedoch ist „The House Is Burning“ tiefgreifender und komplexer als die andalusische Milieustudie „7 Jungfrauen“, die ebenfalls Jugendkriminalität, Drogen und Sex zum Thema hat. Auch agieren die Schauspieler in Holger Ernsts Film überzeugend, wirken nur gelegentlich etwas überzeichnet und klischeehaft.

    „The House Is Burning” stellt sich als ein auf altbekannte Strickmuster zurückgreifendes Spielfilmdebüt heraus, dass ein äußerst wichtiges Thema unserer Zeit zur Sprache und auf die Leinwand bringt: die noch immer mangelnde Chancengleichheit in unterschiedlichen sozialen Milieus und die durch das Wirtschaftssystem forcierte soziale Härte gegenüber den weniger gut Situierten. Filmisch und erzähltechnisch wurde damit aber nichts wirklich Neues produziert.

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