Ein ganz normaler Tag in einer ganz normalen Schule. Das nüchtern betitelte Jugend-Drama „2:37“ begleitet sechs Schülerinnen und Schüler, die mit der ganzen Palette der Probleme des Erwachsenwerdens kämpfen: Leistungsdruck, Vernachlässigung, Unsicherheit, Sexualität. Doch einer unter ihnen hält es nicht mehr aus und setzt seinem Leben ein Ende. Regisseur Murali K. Thalluri scheut vor der Radikalität pubertierender Empfindungen nicht zurück. Das Leben moderner Teenager erscheint bei ihm als Vorhof zur Hölle, der keine Pein auslässt. Der Verzicht auf das eine oder andere Extrem in dieser Ballung jugendlicher Nöte würde dem Film ein Mehr an Authentizität geben und die Eindringlichkeit erhalten, die hier durch einige Längen etwas verwässert wird.
Der etwas kryptische Titel „2:37“ passt insofern zu Thalluris Erstlingswerk, als er ebenso unvermittelt und nüchtern das Ereignis ankündigt, das den Alltag einer Schule für einen Moment zerreißt, wie es der Film selbst behandelt. Um 14:37 Uhr, kurz vor Schulschluss, sorgt ein stiller Selbstmord für ein kurzes Innehalten und gibt dem vergangenen Schultag Raum, Revue zu passieren. Szenen von sieben Schülerleben spielen sich in bezeichnenden Episoden ab, verhaken sich an einzelnen Punkten ineinander und machen dabei umso deutlicher, dass letztlich jeder mit seinen Sorgen und Nöten allein ist. Was beim Außenseiter „Uneven Steven“ (Charles Baird), der mit einer besonderen Form der Inkontinenz geschlagen ist, noch offensichtlich ist, wird beim körperbetonten Schönling Luke (Sam Harris) erst nach und nach sichtbar. Die Probleme der Teens reichen vom krankhaften Schönheits- und Schlankheitswahn der konservativ-romantisch veranlagten Sarah (Marni Spillane) über die nach wie vor verpönte Homosexualität von Sean (Joel Mackenzie) bis hin zum komplexen, inzestuösen Geschwisterverhältnis von Melody (Teresa Palmer) und Marcus (Frank Sweet), die in ihrem goldenen Käfig der Neureichen zwischen Leistungsdruck und Vernachlässigung gefangen sind. Zeugin am Rande ist immer wieder die ausgeglichene Kelly (Clementine Mellor), die sich offensichtlich zu Marcus hingezogen fühlt. Zwischen das aktuelle Geschehen des Tages macht uns Thalluri durch Selbstbetrachtungen der jungen Menschen mit deren Innenleben vertraut. Das weich gehaltene Schwarz-Weiß dieser Szenen des Blickes auf sich selbst kontrastiert stark mit dem lauten, grellen und stets nach außen gerichteten Leben auf den Fluren, den Klassenzimmer, dem Sportplatz der Schule. Klar wird bei diesem Spaziergang, dass alle Porträtierten durchaus Grund hätten, sich umzubringen.
In seinem Anliegen, die Schattenseiten des so oft glorifizierten Teenager-Alters herauszustellen, geht Thalluri bis an die Grenzen dessen, was noch glaubwürdig erscheint. Das liegt weniger an den einzelnen Schicksalen, die durchaus eine große Authentizität ausstrahlen, als an der Gewichtung dieser Lebenssituationen. Da fast ausschließlich Loser mit beinharten Problemen die Story bestimmen, gerät die heutige Jugend bzw. deren Eltern und soziales Umfeld zu einem Gruselkabinett. All die „normalen“ Schülerinnen und Schüler bleiben so sehr im Hintergrund, dass man sie kaum wahrnimmt. Dabei hätten auch sie es verdient und sich gewünscht, gehört und gesehen zu werden. Nach einigen Längen durch allzu deutliches Verweisen auf die Kämpfe hinter den Vorhängen der Arena Schule kriegt Thalluri dann doch noch die Kurve, seinen eigenen Anspruch einzulösen und das Augenmerk auch dorthin zu lenken, wo es offensichtlich gar nicht nötig ist und doch am dringendsten gebraucht wird: auf die stillen Gewässer, die bekanntlich tief sind. Bei seinen fast durchweg eher unerfahrenen Darstellern hat Thalluri eine gute Wahl getroffen. Die Gratwanderung zwischen selbstbewusster Inszenierung als junge Erwachsene und verletzlicher Kinderseele meistern allesamt überzeugend.
Durch die Parallelerzählung des Schultages und der sehr intimen Schülerinterviews gibt „2:37“ dem Zuschauer die Möglichkeit, das äußerlich Sichtbare mit dem dahinter verborgen Liegenden zu verklammern. So fällt es leicht, die Handlungsweisen und das zur Schau Getragene zu entlarven: als hilflose Versuche, sich zu behaupten gegenüber den Ansprüchen, die von allen Seiten auf einen hereinströmen. Vor allem in den Interviewsequenzen tendieren die Jugendlichen zu einer resignierten Opferhaltung, manchmal gepaart mit einem Anflug von Aggression, in vielen Fällen jedoch derart offen, dass man sich fragt, ob sie gerade alle beim Psychiater sitzen. So, wie sie im Alltag versuchen, ihren jeweiligen Makel zu verbergen, nimmt man ihnen kaum ab, dass sie vor irgendeiner Kamera so frei plaudern würden. Der Kunstgriff, dem Betrachter Einblick in die Hintergründe zu geben, wird durch diese Überdeutlichkeit zu einem Schwachpunkt des Films. Die theatralischen Anflüge werden durch den Soundtrack verstärkt, der unmissverständlich klar macht, dass man Zeuge wird, wie Unschuld verloren geht. Trotz dieser plakativen Elemente ist „2:37“ ein sehenswerter Film, der das Erwachsenwerden von seiner düsteren Seite und ohne Happy-End im Einklang mit der Welt zeigt.