Der Trend, talentierte europäische Filmemacher ins El Dorado des Business nach Hollywood zu holen, hält munter an. Der in den USA geborene US-Ungar Nimród Antal, der sich durch den feinen Genrebeitrag Kontroll die Eintrittskarte verschaffte, kehrt mit dem Horror-Thriller „Motel“ in sein Geburtsland USA zurück. Auf der Habenseite stehen eine einzige innovative Idee, eine hübsch-düstere Optik und ein dichter Spannungsbogen. Nur Überraschungen sind ausgesprochene Mangelware in diesem Genrefilm, der es sich wohl zur Aufgabe gemacht hat, sämtliche Klischees zu erfüllen.
Das Ehepaar David (Luke Wilson) und Amy Fox (Kate Beckinsale) steht kurz vor der Scheidung. Das Trauma des Verlustes ihres Sohnes haben sie nicht überwunden, doch am schlimmsten hat dies Amy mitgenommen, die auf Prosac durchs Leben wandelt. Nach einer Autopanne tief in der Nacht im amerikanischen Nirgendwo landen die beiden vor einem verlassenen Motel. Der Manager Mason (Frank Whaley) macht einen wenig vertrauensvollen Eindruck. Aus seinem Hinterzimmer dringen Schreigeräusche, die von einem Horrorvideo stammen. Doch David und Amy bleibt keine andere Wahl: Sie sind über Nacht in der billigen, kakerlakenverseuchten Absteige gestrandet. Im Fernsehen entdeckt David ein furchtbares Mordvideo, dass sich als lupenreiner Snuff herausstellt, also echt ist. Das Problem: Der Clip wurde im selben Hotelzimmer aufgenommen, in das sich das Ehepaar für die Nacht zurückgezogen hat. Und an den Wänden pochen schon die engagierten Amateurfilmer...
„Think big“. Das hat sich Nimród Antal bei seinem US-Debüt „Motel“ wohl gedacht. Warum kleckern, wenn ich klotzen kann? Das gilt zwar nicht wirklich für seinen Film, aber bei den Vorbildern langt der versierte Ungar zu und beruft sich ganz kess auf Alfred Hitchcocks Psycho. Passend dazu glänzt der Film mit dem liebevollsten Retrovorspann seit langem... Mit der Qualität der Vorlage kann sich Antals Werk freilich nicht messen. Dass der Regisseur ein großes Talent ist, wird aber auch mit diesem soliden Genrestück deutlich. Es ist dieser unbedingte Stilwille, der so etwas wie eine Handschrift erkennen lässt - selten genug in Hollywood. Die Kameraarbeit von Andrzej Sekula (Pulp Fiction, Reservoir Dogs, Regie: Cube 2) ist zudem exzellent. Sehr stimmungsvoll fängt der Pole das äußerst spärliche Licht ein. Gelegentlich überreizen die Kreativen die Szenerie, wenn es irgendwann anfängt zu nerven, dass hier und da kaum etwas auf der Leinwand zu sehen ist.
Das Beste und Innovativste an „Motel“ ist die Idee, Snuff-Videos als Motivationsschub in die Handlung zu integrieren. Allerdings wird dieser spannende Einfall einer wahrlich furchterregenden Bedrohung nicht voll ausgenutzt. Allzu schnell findet sich das Paar mit seinem Schicksal ab und schmiedet Gegenpläne. Es ist wohl ihrem Alter jenseits der 30 zuzuschreiben, dass sie die Gesetze des Horrorgenres nicht kennen. Zwar tauschen Antal und sein Drehbuchautor Mark L. Smith das übliche Teeniefutter gegen ein gesittetes, problembeladenes Ehepaar aus, aber die Fehler, die sie machen, sind so alt wie das Genre selbst. Die Folge: Überraschungen sind kritische Mangelware. Diese spannungshemmende Vorausschaubarkeit gleicht Antal jedoch mit seiner engagierten Inszenierung aus.
Luke Wilson (Old School, Natürlich blond, Die Familie Stone) und Kate Beckinsale (Underworld, Klick, Weil es dich gibt) liefern passable Leistungen ab, ohne zu enttäuschen oder zu glänzen. Wilson darf sich einmal außerhalb des Komödienfachs betätigen und agiert dort nicht auf Glatteis. Und da es eine generelle Freude ist, Kate Beckinsale auf der Leinwand zu sehen, gilt dies natürlich auch für „Motel“, zumal sie schon in weit schlechteren Filmen zu sehen war (Van Helsing, Pearl Harbor). Ein übersteigertes Mitfühlpotenzial, was eigentlich mit dem Austausch der sonstigen Teenieprotagonisten angedacht war, tritt aber nicht zu Tage. Der thematische Hintergrund mit dem Kindverlusttrauma ist weder besonders innovativ, noch dazu angetan, grundsympathische Feel-Good-Charaktere zu schaffen. Die Riege der Bösen bleibt weitgehend konturlos, lediglich Frank Whaley (The Doors, World Trade Center) gibt dem Grauen ein Gesicht und spielt seinen Motelmanager entsprechend genretypisch schmierig. Das ist nicht überragend, aber immerhin gefällig.
Es ist müßig zu erwähnen, dass „Motel“ logisch nicht haltbar ist. Die Prämisse, dass in einer Herberge reihenweise Leute um die Ecke gebracht werden, inklusive einem Polizisten, und dies fällt über die Jahre keinem auf, ist natürlich hanebüchen. Aber „Motel“ ist ein Genrefilm und dort ist das schließlich erlaubt. Also bitte keine Klagen. Es ist so, weil es so ist... Und einiges ist so, weil plötzlich zwei Hollywoodstars in dem Hollywoodfilm auftauchen, was ein Hollywoodende nach sich zieht. Es ist gut vorstellbar, dass die ursprüngliche Fassung des Drehbuchs eher für einen fiesen, kleinen, dreckigen Horror-Schocker ausgelegt war, und der Film erst nach den Unterschriften der beiden Stars künstlich, und dabei nicht immer ganz stimmig, aufgeblasen wurde.
Fazit: „Motel“ ist ein optisch schicker, stilsicherer Horror-Thriller, der jedoch im Endeffekt nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass hier nicht mehr und nicht weniger als solide Genreware geboten wird. Von einem Talent wie Nimród Antal wäre mitunter noch mehr zu erwarten gewesen. Wenn nicht Filmemacher wie er für eine Frischzellenkur des Genres sorgen, wer dann? Diese Chance hat er jedenfalls trotz sichtbarem Mühen vergeben. Im direkten Vergleich unterliegt „Motel“ dem thematisch ähnlich angelegten Identität. Wer einen Schocker der neuen, harten Gangart à la Saw, Hostel oder The Hills Have Eyes erwartet, wird ebenso enttäuscht sein. „Motel“ kommt mit wenig Blut aus. Nur auf den billig gefilmten Amateurvideos ist die neue Art des Horrors, sprich Torture Porn, zu sehen, während der ambitioniert inszenierte Hauptfilm durch und durch Old School ist. Ob man da ein tiefergehendes Statement des Regisseurs reininterpretieren will, bleibt natürlich jedem selbst überlassen.