Was wäre das für ein Prozess? Afrika klagt an, auf der Gegenseite die Weltbank und der IWF, beschuldigt wegen ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik, den Privatisierungen von Schulen, Krankenhäusern und Eisenbahnen. Was in der Realität undenkbar ist, nimmt der bekannte afrikanische Regisseur Abderrahmane Sissako („Warten auf das Glück“) in seinem experimentellen Gerichtsdrama „Bamako“ als Aufhänger für Anklage und intimes Porträt zugleich, was sich zwar als geniale Idee erweist, in der Ausführung teilweise aber zu verkopft und langatmig daher kommt.
Sein Prozess zwischen der afrikanischen Gesellschaft auf der einen und Weltbank sowie IWF auf der anderen Seite findet nicht vor der UN-Versammlung oder in einem anderen Gebäude mitten im Westen, begleitet von unzähligen Fernsehkameras statt, sondern dort, wo die Menschen leben, welche im Zentrum der Verhandlung stehen: in einem kleinen Hinterhof, irgendwo in Malis Hauptstadt Bamako. Hier sitzt das hohe Gericht, ein Ventilator verschafft etwas Luft, die Ankläger (unter ihnen die Schriftstellerin Aminata Traoré, Malis ehemalige Kultusministerin) auf der einen, die Verteidiger (unter ihnen der bekannte französische Anwalt Roland Rappaport) auf der anderen Seite, vor ihnen Berge von Akten. Außen herum tobt das normale Leben. Ein Kranker liegt in seinem Bett. Die Frauen der benachbarten Färberei gehen ihrer Arbeit nach, Kinder spielen zwischen den Gerichtsparteien und mal muss die Verhandlung kurz ausgesetzt werden, weil eine Hochzeitsprozession den Hof durchquert. Doch zwischen all diesem normalen Leben werden Zeugen verhört, Opfer der Privatisierung, die ihr Leid klagen und Gerechtigkeit einfordern.
Die sehr abstrakte Idee, die „Bamako“ zugrunde liegt, entfaltet ihren Zauber durch die konkrete Ausführung. Dieser kleine Mikrokosmos des gezeigten Hinterhofs (übrigens jener in welchem Regisseur Sissako aufwuchs) übt mit seiner Vielfältigkeit eine unglaubliche Faszination aus. Doch leider hält dieser Zauber nicht den ganzen Film über. „Bamako“ ist bewusst instringent gehalten, doch genau dies macht es dem Zuschauer ungemein schwer, den wirklich wichtigen Punkten auch die volle Konzentration zu widmen. Klar bei den bewegenden Schlussplädoyers der Anklage wird man genauso wie bei der ein oder anderen Zeugenaussage tief ergriffen, aber dazwischen finden sich immer wieder Szenen, die einen abschalten lassen. Da gibt es unnötige Gerichtsscharmützel zwischen den beiden Anwaltsseiten, die natürlich die Authentizität eines Gerichtsdramas herstellen sollen, aber eher ermüdend wirken. Auch funktionieren nicht alle Rahmengeschehnisse.
Hier gibt es unbestritten einige wunderbare Momente. Ein junger Afrikaner lernt zum Beispiel mit einem Wörterbuch Hebräisch. Auf Nachfrage eines Freundes, warum er dies mache, erklärt er ihm, dass er so bessere Chancen auf einen Job als Wächter bei der israelischen Botschaft habe. Falls es denn jemals eine hier geben solle… Diese kleine Szene zeigt mehr über Kraft und Willen, den Weg aus der Armut zu schaffen, als es die ganzen Gerichtsplädoyers können. Daneben gibt es aber unnötige Elemente wie die „Rahmenhandlung“ um die Sängerin Melé (Aïssa Maïga), deren Ehe zu zerbrechen droht. Diese Geschichte taucht immer wieder auf, bleibt dabei aber die ganze Zeit merkwürdig isoliert. Auch ein im TV laufender Film-im-Film, der in Anlehnung an die Italo-Western in einen Shootout mündet, in welchem Hollywood-Star Danny Glover (Die Farbe LilaBamako, SawBamako, „Lethal Weapon“-Reihe) als Retter fungiert, ist eher befremdlich. Die fast comichaftige Überzeichnung dieser Sequenz ergibt einen Humor, der sich nicht in die Gesamtstimmung einfügen will. Zudem hat das groteske Szenario einen eher faden Beigeschmack. Denn wenn man die Symbolik der Szene deutet, muss man eigentlich zu dem Schluss kommen, der Hollywoodstar Glover (der mit seinem privaten Geld den Film erst möglich gemacht hat) rette Afrika.
Solche Momente reißen den Zuschauer immer wieder aus der eigentlichen Handlung heraus. Dazu gibt es Passagen, die sich als recht zäh erweisen und daher ermüdend wirken. Gerade im Mittelteil hätte „Bamako“ an der einen oder anderen Stelle eine deutliche Straffung gut vertragen. Dazu wechselt Sissako bisweilen zu stark zwischen der Stimme des Volkes und eher nüchternen, theoretischen Konzepten. In diesen Momenten kommt der Film etwas zu stark im Oberlehrerstil daher und legt die sonst dominierende, erfrischende Nähe zu den einfachen Menschen ab. Dabei ist ja gerade dies der Grundgedanke hinter dem hochinteressanten Konzept.
Wer sich für die Materie interessiert und eine gewisse Grundkenntnis derselben hat, wird an Sissakos ungewöhnlicher Idee allerdings trotz der Schwächen und zu der hohen Laufzeit von knapp zwei Stunden sicher seine Freude haben, auch wenn „Bamako“ weniger der Meinungsbildung als der Meinungsbestätigung dient.