Sagt der Verbrecher zur Polizistin: „Hinter dir, ein Monster!“ Sagt die Polizistin: „Den Trick kenne ich.“ Daraufhin wird die Gesetzeshüterin von der Kreatur hinter ihr entzwei gerissen. Was wie ein schlechter Witz klingt, ist bei Regisseur Toby Wilkins der erstaunlich ironiefreie Versuch, Grauen zu erwecken. Sein Schocker „Splinter“, der im Rahmen der FantasyFilmFest Nights 2009 läuft und auf dem amerikanischen Screamfest sämliche Preise abräumte, repliziert eine Horror-Dramaturgie, die längst eine dicke Staubschicht angesetzt hat. Es wird allerdings auch immer schwerer, einen eigenständigen Monsterstreifen zu drehen. So kommt es auch hier, wie es kommen muss: Ein Großteil des Films besteht aus Zitaten. Bei einem derart zu Tode variierten Genre hilft da nur die Rückkehr zu den Wurzeln, zur Einsicht, dass Horror vor allem im Kopf entsteht. Und tatsächlich gelingt Wilkins immerhin dieser eine Aspekt – seine Kreatur ist gerade noch abstrakt genug, um bedrohlich zu wirken. Während die Figurenzeichnung und damit die Möglichkeit zur Anteilnahme mit den Gejagten genreüblich auf Sparflamme gärt, macht sich „Splinter“ durch seinen begrüßenswerten Mangel an transparenten Monsterbildern ein wenig von der unheimlichen Faszination des Fremdartigen zunutze und erreicht damit immerhin solides Mittelmaß.
Es hätte so schön werden können: Seth (Paulo Costanzo, Abgezockt, Road Trip) und seine Freundin Jolly (Jill Wagner) sind ausgezogen, um ihr Beziehungsjubiläum mit einer flotten Nummer unter freiem Himmel zu begehen. Da die beiden aber bereits am Zelt-Aufbau scheitern, einigen sich die Turteltäubchen auf einen Motel-Abstecher. Dumm nur, dass sie auf dem Rückweg aus der Wildnis in die Arme eines gestrandeten Gangsterpärchens laufen. Mit vorgehaltener Waffe zwingen Dennis (Shea Whigham, Das Gesetz der Ehre) und Lacey (Rachel Kerbs) ihre Geiseln, sie zur nächsten Absprungmöglichkeit zu kutschieren. Doch die Fahrt ist schnell vorüber, als die Vier an einer Tankstelle von einer entstellten Leiche attackiert und dazu gezwungen werden, sich im angeschlossenen Shop zu verschanzen. Schnell stellen die Eingesperrten fest, dass da ein Parasit am Werk ist, eine ganz und gar fremdartige Kreatur auf der Pirsch nach neuen Wirtskörpern...
„Splinter“ ist das Horror-Äquivalent zur Order beim Pizzaservice: Es gibt Unterschiede im Detail, im Prinzip aber ist klar, was da kommt. Und bestellt es gerade deswegen. Wilkins liefert genau das, was Genre-Fans sehen wollen – die Zutaten sind alle vorhanden. Da ist das abgeschiedene Setting im amerikanischen Outback, das vom Blockbuster-Horror bis zur Videothekenware als Standard gilt. Da ist ein furchtbar schiefgelaufenes Experiment mit monströsen Folgen, bekannt aus allen möglichen Zombie-Filmen. Da sind die Spannungen innerhalb der bunt zusammengewürfelten Gruppe Gejagter, die sich im entscheidenden Augenblick gerade noch rechtzeitig zusammenraufen. Und da ist die Kreatur, natürlich nicht weniger als die Ausgeburt kühnster Albträume. Über weite Strecken langweilt der Streifen mit Versatzstücken, das Monster selber ist aber geglückt.
Sichtbar wird die Kreatur in Form grotesk entstellter Leichen-Konstrukte à la Das Ding aus einer anderen Welt, die ihr als Wirtskörper dienen. Doch anders als John Carpenters Klassiker weidet sich Wilkins nicht am Ekelwert, sondern lässt die tollwütig zuckenden Aggressoren lediglich in schnellen Schnitten aufblitzen. Ein prüfender Blick bleibt aus, das Vage einer Albtraumerfahrung bleibt erhalten – durchaus eine Seltenheit im übersättigten Genre. Aus den toten Körpern ragen die titelgebenden „Splinter“ (deutsch: Splitter), die dem Parasiten die Ausbreitung in neue Wirtskörper ermöglichen. Schrittweise reimen die Gejagten sich zusammen, dass sie es mit einer Art Fungus zu tun haben, der einfach seiner Natur folgt und Sporen aussendet. Schön, dass es dabei bleibt und das Grauen nicht zu Tode erklärt wird. Einzig ein Warnschild an der einsamen Landstraße deutet darauf hin, dass sich irgendwo im Umfeld der Tankstelle eine militärische Forschungseinrichtung befindet.
Killerpflanzen (zuletzt zu sehen in Ruinen) steuern Zombies – das klingt unverschämt trashig. Dass „Splinter“ zwischenzeitlich genau in diese Richtung entgleist, liegt aber nicht am Monster-Konzept, sondern an ungeschickten Zitaten. Besonders misslungen ist dabei der Kampf mit einer pilzbefallenen und miserabel gelaunten Hand, die es ohne Restkörper ins Innere der Tankstelle geschafft hat. In Sam Raimis Splatterkult Tanz der Teufel 2 und natürlich in „Die Killerhand“ funktionierte das blendend, da die Filme ohnehin auf augenzwinkerndes Gruselgeflunker aus waren. „Splinter“ aber ist nicht ansatzweise selbstironisch genug, um das Komische einer berserkernden Hand sinnhaft integrieren zu können. Hier ist der Humor unfreiwillig und durchbricht die Atmosphäre kalten Grauens, die mit der kaum greifbaren Kreatur und einem nennenswert hohen Gore-Gehalt angepeilt wird.
Auch mit seinen Protagonisten steht Wilkins sich selber im Weg. Das Gangsterpärchen als ewig gleiche Bonnie And Clyde-Revue ist zum Gähnen, ihre nerdigen Geiseln ebenso. Wie gut, dass Seth ohnehin den ganzen Tag Bäume umarmt, so hat die Truppe wenigstens einen Kundigen in ihrer Mitte, der eine Idee zur Bekämpfung der Fungusbestie einbringt. Der Konflikt zwischen Entführten und Entführern dient wie gewohnt zur Intensivierung der bedrohlichen Situation, ist in seinem Verlauf aber zu vorhersehbar und mit seinen uninspiriert gezeichneten Figuren schlicht zu uninteressant, um Spannung zu erzeugen. Immerhin steht der Streifen zu seiner Reduktion auf den Tankstellen-Terror, ohne die üblichen gesellschaftskritischen oder apokalyptischen Genre-Subtexte erzwingen zu wollen. Dank einer stimmig inszenierten Bestie ist „Splinter“ zumindest für Genre-Fans einen Blick wert. Vielleicht lernt Wilkins ja sogar aus seinen Fehlern und verkneift sich bei seinem nächsten Projekt The Grudge 3 den ein oder anderen schlechten Witz.