Hongkong ohne Triaden ist genauso wenig vorstellbar wie das Hongkong-Kino ohne Gangstergeschichten. An keinem anderen Ort der Welt werden so konsequent Gangsterfilme gedreht, und nirgendwo erreichen solche Filme einen derart kunstvollen Level, ohne langwierig zu werden. Spätestens seit John Woo sind Geschichten aus der Subkultur der Triaden eine feste Größe geworden; selbst Wong Kar wai nahm in seinem Debüt As Tears Go By zwei Gangster unter die Lupe. Mit „Election“ hat Johnnie To einen intelligenten, präzise inszenierten Beitrag zu diesem Komplex geliefert, der sich zu einer umfassenden Gesellschaftsstudie verdichtet, gleichzeitig aber auch als minimalistisches Psychogramm funktioniert. Zu Unrecht bekam „Election“ keinen deutschen Kinostart und wird nun vom „e-m-s“ auf DVD vertrieben.
Johnnie To gehört neben Wong Kar-wai mit Sicherheit zu den derzeit interessantesten Regisseuren des Hongkong-Kinos, das keinesfalls mit dem – auf andere Art und Weise lohneswertem – Kino vom chinesischen Festland verwechselt werden darf. Die Filmographie Hongkongs ist im Wesentlichen von japanischen Samurai-Filmen und dem ungezähmten Siebzigerjahre-Kino aus Amerika geprägt, von Filmen der Regisseure Sam Peckinpah oder Martin Scorsese zum Beispiel. In den Achtzigern waren es dann vor allem die Regisseure John Woo, Tsui Hark und Ringo Lam, die Filme aus Hongkong salonfähig gemacht haben (A Better Tomorrow, „A Chinese Ghost Story“, „City On Fire“). Die Jahre vor 1997, dem Jahr der Rückgabe Hongkongs an China, schlich sich dann die Krise ein: Beinahe alle begabten Regisseure wanderten nach Hollywood ab, um dort nur noch mittelmäßige bis ärgerliche Filme zu drehen (eine große Ausnahme bildet John Woos Im Körper des Feindes; das womöglich letzte Aufbäumen eines überaus begabten Regisseurs). Johnnie To ist geblieben und konnte sich erst in der Krise richtig etablieren und zu seiner Ausdrucksform finden, die er heute routiniert und meisterlich durchdeklinieren kann. Dabei mäandert er gekonnt zwischen knalligem, selbstironischem Effektkino à la „Fulltime Killer“ oder Running Out Of Time und minimalistischem Arthouse-Kino wie dem grandiosen Krimi The Mission. Und finanziell erfolgreich sind Tos Filme auch noch, sozusagen intelligenter Mainstream.
Die Triebfeder der Verwirrungen in „Election“ ist die Wahl zum neuen Paten der Triaden, die nach traditionellen Regeln vollzogen wird. Der neue Boss muss sich im Besitz eines alten Zepters befinden, um seine Machtposition zu legitimieren (dieses Szenario erinnert an das „Tim & Struppi“-Album „König Ottokars Zepter“). Wie immer dreht es sich um traditionelle chinesische Werte: Freundschaft, Ehre, Treue. Zum neuen Boss wird Lam Lok (Simon Yam; „Bullet In The Head“) gewählt, womit der energische, großmäulige Big D (Tony Leung Kar-fai; „Der Liebhaber“) unzufrieden ist. Er fühlt sich selbst zum Anführer berufen und zettelt einen Bruder-Krieg innerhalb der Triaden an. „Ab jetzt sind alle Brüder seine Feinde“, bekommt er daraufhin zu hören. Es werden Intrigen gesponnen, Bündnisse und Geheimabkommen geschlossen und teilweise sehr brutal gegen die ehemaligen Freunde, beziehungsweise Geschäftspartner, vorgegangen, ohne die Gewalt zum Schauwert oder Selbstzweck zu degradieren (in der Darstellung von Gewalt war das asiatische Kino noch nie zimperlich).
Johnnie To erzählt diese Geschichte durchweg spannend und präzise inszeniert; seine Figuren zeichnet er auf den Punkt genau, wobei er von den gut aufgelegten Darstellern unterstützt wird. In Kombination mit begabten Regisseuren laufen nämlich sowohl Simon Yam als auch Tony Leung Kar-fai zur Topform auf. Die ausgeprägte gesellschaftspolitische Dimension des Films macht „Election“ über seine intelligente, komplexe Story hinaus sehenswert. Die Involvierung der Polizei in den Unterwelt-Kampf ist bemerkenswert, ebenso die Feststellung, dass die Triaden aus der Gesellschaft Hongkongs nicht weg zu denken sind; und dass die Gesellschaft ohne Triaden sogar in arge Schwierigkeiten geraten würden (300.000 Mitglieder haben die Organisationen allein in Hongkong; der Bedarf nach Gangsterfilmen in dieser Stadt verwundert also nicht).
Die minimalistische, unaufdringliche Inszenierungsweise bekommt in diesem ausgeprägten gesellschaftskritischen Kontext beinahe einen dokumentarischen Gestus – selbst auf die „Vogelgrippe“ wird verwiesen. Die Zerrissenheit zwischen einer ungewissen Zukunft und überholten traditionellen Wertvorstellungen ist das eigentliche Thema des Films, aufgezeigt am organisierten Verbrechen einer Stadt, die durch ihre Geschichte als Bindeglied zwischen China und Großbritannien, Asien und Europa, fungiert. Das Quasi-Dokumentarische wird durch die neutrale Haltung Johnnie Tos unterstrichen: Es gibt keine Melodramatik, keine Partei wird ergriffen, kein Mitleid kommuniziert – die Ausgestaltung ist rein rational. Einzig in einer Szene im letzten Filmdrittel, als die Triaden sich zusammen raufen, kommt der Verdacht von Kitsch auf. Später stellt sich dieser Kniff allerdings als Falle heraus, gestellt, um den Zuschauer mit einem Gewaltausbruch am Ende noch mal vor den Kopf zu stoßen. Und das sitzt.