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    Sehnsucht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sehnsucht
    Von Matthias Ball

    Es gibt Situationen im Leben, die man sich oftmals nur mit Schicksal erklären kann. So einen Moment zeigt die Eröffnungsszene von Valeska Grisebachs „Sehnsucht“: Ein Mann versucht sich umzubringen, indem er mit seinem Auto gegen einen Baum rast. Seine Begleiterin stirbt, er selbst wird schwer verletzt gerettet. Möglicherweise war es nur Zufall, dass ausgerechnet er den Unfall überlebt hat. Dennoch zeigt es, wie wenig planbar das Leben doch ist. Davon erzählt auch der weitere Verlauf von „Sehnsucht“ - einem alltäglichen Liebesdrama, das beweist, wie einfach Kino sein kann.

    Markus (Andreas Müller) ist Schlosser und lebt zusammen mit seiner Frau Ella (Ilka Welz) in Zühlen, einem Dorf in der brandenburgischen Provinz. Die jahrelange Liebe zu seiner Frau scheint innig, auch wenn beide nicht viel miteinander reden. Noch weniger Worte findet Markus jedoch für die Folgen einer Dienstreise in der benachbarten Kreisstadt, zu der er mit seinen Kollegen der freiwilligen Feuerwehr aufgebrochen ist. Eines Abends wird kräftig gefeiert, getrunken und getanzt, bis…, bis Markus am nächsten Morgen in der Wohnung der Kellnerin Rose (Anett Dornbusch) aufwacht und sich an nichts mehr erinnern kann. Langsam kommen ihm erste Vorahnungen, die durch das erheiterte Lächeln von Rose wenig später auch noch bestätigt werden. Herausgerissen aus dem Alltagstrott, beginnt für Markus ein Doppelleben zwischen Ella und Rose, das er sich irgendwie einfacher vorgestellt hatte.

    Wie in ihrem Debütfilm „Mein Stern“ (2001) arbeitete Valeska Grisebach auch für „Sehnsucht“ ausschließlich mit Laien, die sie unter anderem auf Dorffesten und in Einkaufszentren angesprochen hatte. Dabei ging es ihr in erster Linie um eine größtmögliche Authentizität: Wortkarge Dialoge vermengen sich mit ländlichem Dialekt und dem Gefühl, sehr weit vom Leben der Zivilisation entfernt zu sein. Ohne Handy und Internet, nicht mal Fernsehen wird geschaut. So entsteht ein fast schon dokumentarisches Erlebnis: Lange, epische Kameraeinstellungen runden den lakonischen Stil ab; was man auf der Leinwand sieht, ist Alltagsgeschehen. Dass kaum etwas passiert, passt zum Lebensgefühl der Menschen und ist Teil der Geschichte. Man erlebt den Ausschnitt eines Lebens, das so realitätsnah und gleichermaßen weit entfernt scheint.

    Wo auf der einen Seite Emotionen und Fantasie im Inneren von Ella und Markus leben, wo geträumt und geliebt wird, findet sich im Alltag eine weite Leere. Ella führt ein schlichtes, sehr einfaches Leben, geht regelmäßig zum Gesangstreff und ist mit dem Zustand ihres Lebens so wie es ist zufrieden. Markus Charakter hingegen hat mehrere Ebenen, die sich seit dem Zwischenfall mit Rose ständig kreuzen. Zum einen ist er der treue, introvertierte Ehemann, der seinen Platz im Leben gefunden hat. Zum anderen plagt ihn eine heimliche Sehnsucht, nach mehr, einer aufregenderen Liebe und einem Funken Abenteuer - Dinge, die er so von Ella nie bekommen wird. Rose gelingt es, diese Punkte zu reizen, ohne ihn jedoch wirklich glücklich zu machen. Was folgt ist eine Flucht ohne Ziel, möglichst weit weg von den Gefühlen und den Problemen, die sich durch das Doppelleben immer dichter aufdrängen.

    Valeska Grisebach ist Teil der so genannten Berliner Schule - einer Gruppe von jungen deutschen Regisseuren, die sich vor allem über den Stil und die Themen ihrer Geschichte definiert. Neben der Reduktion als auffälligstes Stilmittel, steht das Abtauchen in die schlichte Realität im Mittelpunkt. Bestimmend sind dabei Begriffe wie Atmosphäre und Stimmung, die in der Regel ohne die klassische Hollywood-Dramaturgie aufgebaut werden. Bei der diesjährigen Berlinale waren gleich drei Filme dieser Bewegung vertreten: Ulrich Köhler, Henner Winckler und schließlich Valeska Grisebach, die es mit „Sehnsucht“ als einzige in den internationalen Wettbewerb schaffte und somit in das Rennen um den Goldenen Bären einstieg.

    Trotz der relativ kurzen Laufzeit verlangt Sehnsucht vom Zuschauer eine Menge an Mitgefühl. Wer große Schauwerte, ansprechende Dialoge, oder zumindest eine interessante Story erwartet, wird vermutlich bereits nach kurzer Zeit tief enttäuscht sein. Vielmehr richtet sich der Blickwinkel auf das Einfangen von Lebensnähe und Widererkennung seitens der Zuschauer. Dennoch ist ein Drama zwingend auf Spannungen zwischen den Figuren angewiesen. Solange einen das Schicksal von Markus nicht berührt, interessiert einen der Ausgang der Geschichte herzlich wenig. Die langen Einstellungen geben den Figuren zwar ausreichend Freiräume, richtige Spannung kommt in den knapp 90 Minuten jedoch zu wenig auf. Die Szene, in der Markus zu Robby Williams „Feel“ tanzt, deutet allerdings an, was an Intensität alles möglich gewesen wäre. So bleibt am Ende ein etwas fader Beigeschmack bestehen, den auch das erfrischende Ende nicht ganz beseitigen kann.

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