Etwa eine Million Menschen werden weltweit jedes Jahr gegen ihren Willen verschleppt und verkauft, besonders begehrt sind Mädchen und junge Frauen, die als Sexsklavinnen missbraucht werden. Gut organisierte Schmugglerringe haben ihre Netze über den ganzen Erdball gespannt und machen mit der Ware Mensch Milliardenumsätze. Die Sklaverei in den Zeiten der Globalisierung wird von Medien und Politik nur wenig beachtet. Für den Regisseur Marco Kreuzpaintner (Sommersturm, „Ganz und gar“) ist sie der größte Skandal unserer Zeit. Er möchte mit seinem Drama „Trade – Willkommen in Amerika“ Aufmerksamkeit und Emotionen wecken, indem er uns die schockierenden Fakten in Form einer fiktiven Leidensgeschichte aus der Sicht der Opfer und Betroffenen nahebringt. In der ehrenwerten Absicht, das Publikum aufzurütteln, greifen Kreuzpaintner und sein Produzent Roland Emmerich (Independence Day, Stargate) auf dramatische Zuspitzungen und eine überladene, stellenweise gezwungen wirkende Konstruktion zurück. Für die Klarheit der Botschaft wird auf analytische Tiefe verzichtet
Mexico City. Jorge (Cesar Ramos), ein halbwüchsiger kleiner Gauner schenkt seiner kleinen Schwester Adriana (Paulina Gaitan) zum Geburtstag ein Fahrrad. Als die Dreizehnjährige sich am nächsten Morgen zu einer heimlichen Fahrt durchs Viertel davonstiehlt, wird sie auf offener Strasse in ein Auto gezerrt und verschleppt. Die junge Polin Veronica (Alicja Bachleda) ist in der täuschenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft in die Falle der Menschenhändler gegangen und hat ihren kleinen Sohn in Europa zurückgelassen. Sie wird in der Gefangenschaft zu Adrianas einziger Freundin. Bald werden die Mädchen nach Juarez nahe der Grenze gebracht, ehe sie in die USA geschmuggelt werden, wo sie den Gelüsten der zahlenden Kundschaft ausgeliefert werden. Währenddessen versucht Jorge verzweifelt seine Schwester zu finden. Bei diesem aussichtslos scheinenden Unterfangen erhält er die Unterstützung des texanischen Polizisten Ray (Kevin Kline), der seiner eigenen rätselhaften Vergangenheit nachspürt. Bald entdeckt das ungleiche Paar eine heiße Spur und fasst einen gefährlichen Plan: Sie wollen Adriana bei einer Internetauktion ersteigern und die Täter überführen.
Roland Emmerich hatte sich im Klimakatastrophen-Thriller The Day After Tomorrow schon einmal daran versucht, eine unbequeme Wahrheit mit den Mitteln des Unterhaltungsspektakels unters Volk zu bringen. Als der Schwabe in Hollywood von den Recherchen des Journalisten Peter Landesman über kindliche Sexsklaven in Mexiko hörte, sicherte er sich die Filmrechte an dem Artikel, der im Magazin der „New York Times“ erschien und für großes Aufsehen sorgte. Emmerichs ursprünglicher Plan, das Drehbuch, das er beim Spanier José Rivera (Die Reise des jungen Che) in Auftrag gegeben hatte, selbst zu verfilmen, scheiterte an Terminproblemen. Er blieb jedoch als Produzent dabei und übertrug die Regie, nachdem er Marco Kreuzpaintners Jugenddrama Sommersturm gesehen hatte, an seinen jungen Landsmann, der somit sein Hollywood-Debüt geben konnte.
Auch Oscar-Preisträger Kevin Kline (Ein Fisch namens Wanda, Grand Canyon, Der Eissturm) ließ sich vom Engagement der beiden Deutschen überzeugen und stellte sich in den Dienst der aufklärerischen Sache. Dabei ist seine Rolle als ganz und gar nicht heldenhaft daherkommender Versicherungspolizist eines der wenigen etwas differenzierteren Elemente in „Trade“. Kline konzentriert sich auf die Kleinigkeiten, auf die leise Unsicherheit angesichts ungeahnter Herausforderungen. Die übrigen Schauspieler sind effektiv ausgewählt, wobei bei den Nebenrollen vom korrupten Polizisten über den sadistischen Gangster, den unscheinbaren Perversen und die kaltblütige kriminelle Geschäftemacherin meist schon ein Blick genügt, um ihre unheilvollen Eigenschaften zu erahnen. Auf ähnliche Weise werden unsere Reflexe durch inhaltliche Andeutungen gereizt. Die Gleichgültigkeit der Institutionen etwa, in deren Logik eine abstrakte Strategie wichtiger ist als ein tragisches Einzelschicksal, wird in einem kurzen Dialog referiert. Nachvollziehbar ist sie dadurch nicht unbedingt. Details wie das in Polen gebliebene Kind, das als Druckmittel gegen die Mutter eingesetzt wird, bleiben sehr am Rande. Offenbar war es den Filmemachern wichtig, möglichst viele thematische Aspekte unterzubringen. Wer sich für genauere Zusammenhänge interessiert, wird in „Trade“ kaum fündig.
Es bleibt Kreuzpaintner zu attestieren, dass er trotz häufig schablonenhafter Erzählweise und plakativer Darstellung im Einzelnen, nie das Leiden der Opfer spekulativ ausbeutet. Seine Szenen von Missbrauch, Vergewaltigung und Demütigung sind zurückhaltend inszeniert und daher umso wirkungsvoller. Er kann sich zudem auf seine beiden Darstellerin, Alicja Bachleda („Herz im Kopf“), mit der er schon in Sommersturm zusammengearbeitet hatte, und Paulina Gaitan verlassen. Mit ihrer Mischung aus Verzweiflung und Tapferkeit sind sie ideale Identifikationsfiguren. Der Zuschauer leidet mit, auch wenn er die erzählerischen Mechanismen, die hier am Werke sind, durchschaut.
„Trade“ löst eher Empörung über die gezeigten Umstände aus als dass er das Verständnis komplexer struktureller Probleme befördern würde. Über die angepeilte Fanalwirkung hinaus verzichtet Kreuzpaintner auf ästhetische Experimente und stilistische Überhöhung, die die thematisch ähnlich gelagerten Filme Maria voll der Gnade und Bordertown noch in so gegensätzlicher Weise prägten. Es zeigt sich erneut, dass ein wichtiges Thema nicht automatisch einen künstlerisch wichtigen Film mit sich bringt. Aber das Anregen von Diskussionen und das Herstellen öffentlicher Aufmerksamkeit gehört auch zu den Aufgaben der Massenmedien. Dafür bietet „Trade“ die Chance.