Jeder Krieg produziert seine eigenen Bilder. Dies geschieht in zweierlei Hinsicht: Einerseits findet sich in Film und Fernsehen eine Art offizielle Version, die als aktuelle Wahrheit propagiert wird. Es gibt klare Feindbilder, Helden und Opfer auf jeder Seite. In einem zweiten Schritt werden die Grenzen zwischen Freund und Feind mehr und mehr aufgeweicht. Man ist darum bemüht, neue Wahrheiten aufzudecken und festgefahrene Denk- und Sichtweisen aufzulockern. Seitdem sich einige Länder des Westens mit islamistischen Gruppierungen im Krieg befinden, findet zusehends auch eine differenziertere Auseinandersetzung mit der arabisch-islamischen Kultur als solcher statt. Im Fahrwasser von Filmen wie dem letzten James-Bond-Abenteuer Casino Royal oder Michael Moores Fahrenheit 9/11, die den 11. September zum Anlass nahmen, die neuen Feindbilder zu integrieren oder über die eingefahrenen Denkmuster kritisch zu reflektieren, entstand auch Christoph de Ponfillys „Der Stern des Soldaten“. Unter dem Titel dieses Anti-Kriegfilms prangert das Diktum des berühmten Philosophen Santayana: „Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Gemäß diesem Motto erzählt der Film das Einzelschicksal des Russen Nicolai, der als Soldat nach Afghanistan in den Kampf geschickt und schließlich ein Freund der Mujaheddin wurde.
Nicolai (Sacha Bourdo) lebt bei seinen Eltern in einem kleinen russischen Dorf. Als Rockmusiker hält er sich mit seiner Band gerade so über Wasser. Seine Eltern sehen in ihm einen Versager und Taugenichts. Deshalb bringen sie ihren Sohn dazu, sich endlich zum Militärdienst zu melden: Die Armee soll endlich einen richtigen Mann aus ihm machen. Plötzlich findet sich Nicolai in Afghanistan wieder, um den dortigen Widerstand zu bekämpfen und das Land von Aufständischen zu befreien. Allerdings hat Nicolai ganz eigene Vorstellungen vom Kampf und lässt meist Menschlichkeit statt gnadenloser Kriegsmoral walten. Dennoch gerät er eines Tages in die Hände des Gegners. Entgegen den Erzählungen seiner Kameraden, Kriegsgefangene würden auf schlimmste Weise gefoltert und zerstückelt werden, nimmt ihn eine Gruppe der Mudschaheddin bei sich auf. Je länger der friedliebende Russe unter den Afghanen lebt, desto vertrauter werden sich beide Seiten - bis Nicolai schließlich kaum mehr von den Widerstandskämpfern zu unterscheiden ist…
Nicolai ist von Natur aus ein Künstler, der sein Dasein genießen und mit den düsteren Seiten des Lebens möglichst wenig am Hut haben möchte. Selbst im Krieg glaubt und klammert er sich an die Menschlichkeit. Damit hat Nicolai große Ähnlichkeiten mit dem clownesken Helden aus Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Beides sind im Grunde optimistische, lebensbejahende Figuren, die plötzlich mit Tod und Vernichtung konfrontiert werden. Wo der „komische Held“ in Benignis Tragikomödie die Paradoxien und Absurditäten der Vernichtungsmaschinerie schonungslos offen legt, verschenkt „Der Stern des Soldaten“ aber einen beträchtlichen Teil seines Potentials. Anstatt seine Handlung mit Melancholie und Witz anzugehen, beschränkt sich de Ponfillys zumeist darauf, die wahre Geschichte des Soldaten Nicolai einfach nur nachzuerzählen, was auf Dauer ein wenig hölzern wirkt. Gerade da mit Sacha Bourdo (The Science Of Sleep), der mit dem Cannes-Erfolg „Western“ (1997) auch weit über die Grenzen Frankreichs hinaus Bekanntheit erlange, ein richtig starker Schauspieler die Hauptrolle übernommen hat, wäre in dieser Hinsicht sicherlich deutlich mehr drin gewesen.
Bisweilen versperrt sich de Ponfillys auch selbst den Weg, weil er den Balance-Akt zwischen historischem Kontext und Kinofilm nicht immer meistert. Dies liegt vor allem an der Uneinheitlichkeit der Erzähltstruktur: Zunächst gibt es einen dokumentarischen Prolog, der in die weltpolitischen Zusammenhänge einführt. Diese Einbettung des Films in die Realpolitik zwischen 9/11 und dem russischen Afghanistan-Feldzug bricht jedoch jäh ab, um sich in der Folge exemplarisch Nicolais Schicksal zuzuwenden. Ab hier hätte „Der Stern des Soldaten“ zum spannenden Spielfilm werden können, wenn nicht permanent eine wertlose höhere Instanz intervenieren würde: Andauern mischt sich ein allwissender Erzähler ein, um mal überflüssigerweise Nicolais Innenleben zu erörtern oder Informationen zum allgemeinen Geschehen zu liefern, die de Ponfillys rein filmisch leider nicht transportiert bekommt. Später wird zwar aufgeklärt, dass es sich bei dem Erzähler um den französischen Kriegsreporter Vergas handelt, der Nicolais Bekanntschaft in Afghanistan macht und die Geschichte des russischen Soldaten in seinen Reisetagebüchern niederschreibt, dennoch wirkt sich diese unnötig verschachtelte Erzählform negativ auf die so nun leider arg zerfaserte Dramaturgie aus.
Die Figur des Reporters ist in Wahrheit das Alter-Ego des Regisseurs Christophe de Ponfilly. Dieser war bereits seit 1981, also schon lange bevor der Afghanistan-Konflikt aktuell wurde, als Reporter in der Region unterwegs. In 20 Jahren schuf er etwa 40 Dokumentationen über Land, Kultur und Menschen. Zudem ist er Verfasser zahlreicher Bücher, die sich mit Afghanistan beschäftigen. Die Story von „Der Stern des Soldaten“ beruht auf Reisetagebüchern, die de Ponfilly selbst in dieser Zeit schrieb. Tatsächlich traf der Regisseur in diesen Jahren auch jenen russischen Soldaten, der nun als Held in seinem ersten Spielfilm fungiert. Bei dieser Biographie ist es verständlich, dass viele Szenen im Film die Signatur eines seriösen Dokumentarfilmers tragen, der immer auch daran interessiert ist, seine Zuschauer über sein Sujet aufzuklären. Ein ehernes Anliegen, das sich auf den Fluss der Handlung aber ein ums andere Mal hemmend auswirkt.
Ein Vergleich mit anderen Anti-Kriegsfilmen wie Stanley Kubricks Full Metal Jacket, Francis Ford Coppolas Apocalypse Now und Oliver Stones’ Platoon macht einen weiteren Mangel deutlich: Wo die drei genannten Meisterwerke dem Kriegsgeschehen nämlich immer auch eine ästhetische Komponente abgewinnen konnten, herrscht bei „Der Stern des Soldaten“ – ähnlich wie in der die Szenerie bestimmenden Gebirgslandschaft – überwiegend visuelle Kargheit vor.
Fazit: Der erste und letzte Spielfilm von Christoph de Ponfilly, der sich kurz nach der Fertigstellung von „Der Stern des Soldaten“ das Leben nahm, ist ein zweischneidiges Schwert. Sicherlich hat Nicolais Metamorphose vom rockenden Russen zum betenden Mujaheddin ihre starken Momente. Immerhin demaskiert sie die Unterschiede (in Sprache, Traditionen und Aussehen), die zwischen den kämpfenden Parteien bestehen, als bloße Äußerlichkeiten. Leider sorgen die formalen Mängel aber dafür, dass man sich emotional nur schwer auf den viel zu verschachtelten Film einlassen kann.