Es gibt Geschichten, die es nicht wert sind, erzählt zu werden. Ganz weit vorne sind dabei die Exzesse der sogenannten It-Girls anzusiedeln. Nie wird so ganz klar, was diese eigentlich Großartiges leisten, außer „das besondere Etwas“ (it) zu haben. Dennoch sind sie kontinuierlich in den Medien präsent und füllen mit ihren Auftritten die Boulevard-Kassen. Heute heißen sie Paris Hilton und Lindsay Lohan - und von Verfilmungen ihrer Lebensgeschichten wurde bislang glücklicherweise abgesehen. Anders sieht dies bei dem deutschen It-Girl der 70er aus: Das wilde Leben der Uschi Obermaier hat es bereits ins Kino geschafft. Allerdings wird in dem Film nebenher auch noch ein Szeneporträt der Kommunenlandschaft gezeichnet und die drohende Banalität somit umschifft. Noch eine Dekade vorher hieß das angesagteste It-Girl Edie Sedgwick, und deren Geschichte ist aus ähnlichen Gründen etwas wert: Sedgwick war die Muse der exzentrischen Pop-Art-Ikone Andy Warhol und verkehrte mit Bob Dylan und Jim Morrison. Also eigentlich genug Stoff für einen Blick auf Licht und Schatten der New Yorker Künstlerszene der 1960er. Der fällt in George Hickenloopers „Factory Girl“ dann aber leider zu oberflächlich und klischeehaft aus, um einen ganzen Spielfilm ansprechend ausfüllen zu können.
Nach einer harten Kindheit in einer psychotischen Familie zieht es die junge Edie Sedgwick (Sienna Miller, Der Sternwanderer, Interview) nach New York. Dort lernt sie 1965 den Künstler Andy Warhol (Guy Pearce, Memento) kennen, der augenblicklich für ihr natürliches Charisma entflammt. Sie wird seine Muse und steigt an seiner Seite zur Stil-Ikone auf. Fortan lebt sie in der glamourösen und exzessiven Welt der Factory, einer stillgelegten Hutfabrik, die Warhol zu einem Künstlertreff umfunktioniert hat, und gleitet immer tiefer in die Drogensucht und zwischenmenschliche Bezugslosigkeit ab. Als Edie sich in einen geheimnisvollen Rockstar (Hayden Christensen, Star Wars – Episode III, Awake) verliebt, scheint sie ihrer Vergangenheit entfliehen zu können. Doch das Glück hält nicht lange an – gefangen zwischen Warhols Welt und ihrer neuen Liebe fühlt sie sich schließlich von beiden im Stich gelassen...
Das Leben der bereits mit 28 Jahren an einer Überdosis verstorbenen Edie ist eine tragische Geschichte. Alleine damit ist „Factory Girl“ allerdings schon überfordert. Das ist nicht Sienna Millers Schuld, die Edie auch dank einer großen optischen Ähnlichkeit glaubhaft verkörpert. Es fehlen schlicht jene Augenblicke, die eine Einsicht in ihr Innenleben ermöglichen. Mit vollem Körpereinsatz steigert sich Miller in ihre Rolle, mal zugedröhnt im Bett strampelnd, mal tränenüberströmt durch New York hastend. Und das funktioniert auch. Was mit Edie passiert, ist leicht ersichtlich; nur erzählt „Factory Girl“ leider nichts über das „Warum“. Allzu offensichtlich ist beispielsweise, dass Edie schrittweise intensiver erfahren muss, für Warhol mehr ästhetisches Objekt denn geliebter Mensch zu sein, und dass sie sich die mangelnde Nähe bei ihrer neuen Liebe zurückholen will. Szenen, die ihre zwischenmenschliche Bezugslosigkeit zu Warhol „vor“ ihrem Absturz unterstreichen oder gar stimmig die Brücke zu ihrer katastrophalen Kindheit schlagen würden, finden sich allerdings nicht. Stattdessen wird mal zusammenhangslos über ihren toten Bruder gesprochen, mal die vorerst neu erfahrene Wärme beim Sex mit dem Rockstar in uninspirierter und mäßig erotischer Werbeästhetik verbildlicht. Das wirkt aufgesetzt und verhindert substanzielle Sympathien für die eigentlich tieftraurige Figur. So gelingt es dem Film über weite Strecken einfach nicht, an den Menschen hinter dem It-Girl heranzukommen.
Apropos Rockstar – der hat den ganzen Film über tatsächlich keinen Namen. Das mag daran liegen, dass er eh schon so offensichtlich an Bob Dylan angelehnt ist, dass eine rechtliche Reaktion befürchtet wurde. Die kam aber auch ohne Namen: Dylan klagte, dass „Factory Girl“ ihm eine Mitschuld an Edies Absturz unterstelle (der Rechtsstreit führte übrigens dazu, dass „Factory Girl“ auch in den USA erst lange Zeit nach seiner Fertigstellung in die Kinos kam.) Dabei hätte Dylan noch einen weiteren Grund zur Klage gehabt. Hayden Christensens Dylan-Verschnitt ist ein eindimensionales Rockstar-Klischee und als solches schlichtweg ärgerlich. Als Teenie-Schwarm in Actionern wie Jumper noch erträglich, ist seine mangelnde Kompetenz, tiefer angelegte Charaktere darzustellen, bereits in Star Wars – Episode III unangenehm aufgefallen. Nun liegen zwar zwischen einem jungen Darth Vader und Bob Dylan Welten – ausdrucksschwach bleiben sie bei Christensen aber beide. Ganz anders Guy Pearce, der in der Andy-Warhol-Maske kaum wiederzuerkennen ist. Seine Imitation ist der einsame Höhepunkt des Films. Auftreten, Sprache, Gestik und Mimik des Künstlers sind in zahllosen Aufnahmen dokumentiert, und Pearce verleibt sich die Ikone regelrecht ein. Er dominiert die Leinwand selbst dann noch, wenn er in teilnahmsloser Starre auf Anfeindungen oder Nachrichten von Edies Niedergang wartet. Eine beeindruckende Darstellung, die leider reiner Selbstzweck bleibt.
Denn die pulsierende Szenerie um Warhol bleibt blass. Weder gibt es Einblicke in die künstlerischen Prozesse in der „Factory“, die über fallende Klappen zu spontanen Filmereien hinausgehen würden, noch wirken die Party-Bilder nennenswert intensiv. Hier hat Oliver Stones The Doors mit seinem kurzen Aufeinandertreffen von Jim Morrison und Warhol deutlich mehr zu bieten. Das mangelhaft ergründete Drama um Edie wäre verschmerzbar, würde zumindest eine facettenreiche Auseinandersetzung mit der Pop-Art-Episode in New York stattfinden. Doch auch die bleibt „Factory Girl“ seinem Publikum schuldig.
Fazit: George Hickenlooper hat ein konventionelles Biopic über ein It-Girl gedreht, das ziellos zwischen Szeneporträt und Absteigerdrama pendelt, beide Genres aber lediglich streift. Diese Unentschlossenheit dem eigenen Thema gegenüber zeigt sich sogar noch im Abspann, der Zeitzeugen-Laudatios auf Edie nachliefert - fast so, als ob Hickenlooper gespürt hätte, dass er sie zuvor unzureichend porträtiert hat. Wirklich sehenswert ist an „Factory Girl“ lediglich der großartige Guy Pearce, der in einem Film mit Warhol als Haupt- und Edie als Nebencharakter deutlich besser aufgehoben gewesen wäre.