Takashi Miike ist vor allem für härtere Filme bekannt. Viele seiner Werke spielen im Yakuza-Milieu, weisen oft gewalttätige oder sexuelle Szenen auf. Doch eine Reduktion seines Schaffens auf solche Filme ist verfehlt. Er ist ein immens vielseitiger Regisseur, der mittlerweile fast in jedem Genre schon einmal etwas gedreht hat. So gibt es von ihm auch Unterhaltungsfilme für die ganze Familie. Mit „Andromedia“ (1998) oder der Manga-Verfilmung „Salaryman Kintaro“ (1999) hat er sich zum Beispiel in diesem Genre versucht. Doch gerade letzterer wirkt eher wie eine Fingerübung des Regisseurs. Zwar von gehobener Durchschnittsqualität und durchaus unterhaltsam, erweckt er manchmal den Eindruck schnell heruntergekurbelt zu sein. Seine späteren Versuche, Familienunterhaltungsfilme zu drehen, kommen da deutlich ausgereifter und vor allem mit mehr Herzblut daher. The Great Yokai War (2005) ist der Film, dem er sich am intensivsten widmete (ein ganzes Jahr dauerte die Produktion). Ausgestattet mit einem für japanische Verhältnisse beachtlichem Budget (rund 11 Mio. Euro) kann sich das Ergebnis durchaus sehen lassen. Schon ein Jahr vorher entstand „Zebraman“, eine gnadenlose Superhelden-Parodie, die aber auch andere Themen aufgreift.
Tokyo im Jahre 2010: Das Leben des gescheiterten Grundschullehrers Shin'ichi Ichikawa (Sho Aikawa) ist eine einzige Katastrophe. Die Frau (Makiko Watanabe) geht fremd, die Tochter (Yui Ichikawa) arbeitet als Prostituierte und der kleine Sohn (Keisuke Mishima) wird in der Schule verprügelt und gehänselt. Ichikawa selbst hat in seinem Beruf einen schweren Stand, wird von Kollegen und Schülern kaum ernst genommen. Sein einziges Vergnügen liegt in der Flucht aus der Realität. Er schaut sich Superheldenserien an und vergöttert vor allem Zebraman. Die Serie wurde in den siebziger Jahren ausgestrahlt, aber nach sieben Folgen mangels Erfolg eingestellt. Ichikawa hat sich selbst das Kostüm des Helden nachgebaut und schlüpft immer wieder in dieses. Auf die Straße traut er sich damit allerdings erst einmal noch nicht.
Doch dann kommt der im Rollstuhl sitzende Shinpei Asano (Naoki Yasukôchi) in seine Klasse und entpuppt sich als begeisterter Zebraman-Fan. Um diesem sein Kostüm zu zeigen, traut sich Ichikawa zum ersten Mal nachts verkleidet auf die Straße. Bei diesem nächtlichen Streifzug kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem Mann, der eine Krabbenmaske und Scheren auf dem Kopf trägt. Beim anschließenden Kampf versucht der Krabbenmann (Akira Emoto), auch Kunde von Ichikawas Tochter, seinen Widersacher zu töten, muss aber schließlich selbst ins Gras beißen. Ichikawa hat an sich ungeahnte Martial-Arts-Fähigkeiten entdeckt. Seltsamerweise untersucht nicht die Polizei, sondern eine Spezialeinheit des Verteidigungsamts unter Leitung von Oikawa (Atsuro Watabe) und seines Assistenten Segawa (Koen Kondo) den Fall. Der Leichenfund wird in der Öffentlichkeit weitestgehend totgeschwiegen.
Dass „Zebraman“ ein klarer Fortschritt gegenüber früheren Versuchen von Miike, in der Familienunterhaltung Fuß zu fassen, ist, liegt zunächst an der Wahl des Drehbuchautors. Kankurô Kudô (Go) arbeitete zum ersten Mal mit dem Regisseur zusammen. Und dass er ein exzellenter Autor ist, beweist er hier mal wieder. Die spaßige und abgedrehte Komödie kommt zudem zeitweise mit dem nötigen Ernst daher. Die Darstellung von Ichikawas Familie erinnert dabei frappierend an Miikes Meisterwerk „Visitor Q“ (auch hier geht die Tochter der Prostitution nach, der Sohn wird in der Schule verprügelt). Dabei fällt auf, dass auch die zweite Familie zerstört ist. Shinpei lebt nur noch mit seiner allein erziehenden Mutter (Kyoka Suzuki) zusammen. Der Vater hat sich umgebracht. Die zerstörte Familie ist, genauso wie der gesellschaftliche Außenseiter, ein Leitmotiv in der Arbeit des Regisseurs.
Die ernsteren Szenen bilden dabei aber nur den Background. Im Vordergrund steht das Vergnügen. Und das werden nicht nur Fans von trashigen Actionserien a la „Power Rangers“ haben. Solche Serien, die es in Japan zuhauf gibt, werden persifliert, gleichzeitig ist „Zebraman“ aber auch eine Hommage an diese. Immer wieder werden kleine Hinweise auf solche Serien eingestreut. Auch offensichtliche Referenzen gibt es, wenn man einen Blick auf Cast und Crew wirft. So spielt Hiroshi Watari, ein bekannter Darsteller dieses Serien-Genres, den TV-Zebraman. Der Titelsong wird von Ichirou Mizuki gesungen. Er ist so etwas wie ein Guru der Serien-Intro-Songs, vor allem auch bei Animes.
Das Spiel mit Zitaten endet hier nicht. So darf gleich zu Beginn in einer Serie, die sich Ichikawa im TV anschaut, der Superheld gegen Sadako aus Ringu kämpfen. Diese hat natürlich auch ihren Brunnen dabei. Das Fahrzeug der beiden Ermittler vom Verteidigungsamt erinnert sofort an Zurück in die Zukunft und trägt mit „Dulurian 2“ einen ähnlichen Namen. Mit Tim Burtons Mars Attack findet sich ein weiterer Hollywoodfilm in „Zebraman“ wieder und kleine Anspielungen auf das populärste japanische Monster „Godzilla“ dürfen natürlich auch nicht fehlen. Selbst die aktuelle Politik wird nicht verschont.
Familienfilme haben oft darunter zu leiden, dass sie eine Botschaft transportieren müssen. Natürlich bleibt der Zuschauer auch hier nicht davon verschont: „Anything goes“, also „Alles ist möglich“. Jeder kann etwas erreichen, eine Botschaft, die sich immer wieder im Genre findet und schon recht abgenudelt ist. Dessen waren sich Miike und Kudô wohl bewusst und haben es daher auf erfrischend andere Weise verstanden, die Botschaft zu vermitteln. Warum soll man diese laufend mit dem Holzhammer dem Zuschauer einbläuen. Da ist doch eine große Texteinblendung gleich zu Beginn viel besser. Danach kann man sich dann wieder der Unterhaltung widmen, weist vielleicht noch ein paar Mal kurz auf die Botschaft hin. Gesagt, getan. Danke.
Visuell kann „Zebraman“ überzeugen. Neben den natürlich bewusst etwas trashig und überspitzt gehaltenen Kampfszenen, die zum Subgenre dazu gehören, finden sich auch hier einige schöne Einfälle, die zu gefallen wissen. So löst sich zum Beispiel in einer Szene die von Shinpei gezeichnete Zebraman-Figur vom Papier und wendet sich direkt an den Zuschauer: „Wollt ihr den Original-Trailer von Zebraman’ sehen?“, fragt sie, den man sogleich danach präsentiert bekommt.
Einen großen Verdienst an dem Gelingen des immens spaßigen und trotz der Dauer von knapp zwei Stunden sehr kurzweiligen Unterhaltungsfilms hat Hauptdarsteller Sho Aikawa, eine Ikone des japanischen V-Cinema. Dieser Begriff beschreibt den sehr populären, meist recht günstig gedrehten, japanischen Direct-to-Video-Film. Die meisten V-Cinema-Werke spielen im Yakuza-Milieu und sind Actionfilme. Auch Miike hat hier sehr viele Filme gedreht und oft Aikawa besetzt. Dieser war meist der Inbegriff von Coolness, natürlich mit stoischer Miene und Sonnenbrille, wortkarg, aber doch auch einen lockeren Spruch auf den Lippen. „Zebraman“ ist sein hundertster Film (das deutsche DVD-Cover weist „Zebraman“ fälschlicherweise als hundertsten Film des Regisseurs aus; so viele Filme hat aber auch der immens produktive – teilweise auch mal sieben Filme in einem Jahr – Miike nicht gedreht).
Dieses Jubiläum führt unter anderem dazu, dass bekannte japanische Darsteller wie zum Beispiel Kumiko Aso, Yoshihiko Hakamada, Arata Furuta und vor allem Ren Osugi (Hana-bi, Audition) in kleinen Gastrollen, sozusagen als Ehrerbietung für Aikawa, mitwirken. Der Hauptdarsteller ist hier vollständig gegen sein Image und seine eigentliche Rollenwahl besetzt. Statt hartem, coolem Held in einem Actionfilm, spielt er hier einen verweichlichten, ängstlichen Lehrer in einer Komödie. Er spricht hier so viel, wie selten in einem Film, oft ist es allerdings ängstliches oder verlegenes Gestammel. Selbst mit Superkräften hat Ichikawa noch vor allem Angst. Nur wenn er sein Kostüm an hat, bessert sich dies nach und nach ein wenig. Sho Aikawa beweist hier, dass man ihn nicht mit Betongesichtern wie Steven Seagal vergleichen darf. Er kann schauspielern, versteht es mit seiner Mimik Emotionen zu transportieren. Er macht es nur recht selten, weil es bei den meisten Filmen nicht vonnöten ist, vielleicht gar nicht erwartet wird.
Trotz einiger trashiger Szenen (die bei einer Hommage an ein Trash-Genre nicht fehlen dürfen) ist „Zebraman“ selbst kein Trash. Stattdessen liefert Miike einen seiner massenkompatibelsten Filme, eine gelungene Komödie und Superhelden-Parodie ab. Absolut familientauglich (sogar die bösen Aliens sind über weite Strecken putzige, kleine, grüne Glibber-Männchen), dabei aber auch nicht das ältere Publikum vernachlässigend. Sehr abgedreht, nichtsdestotrotz sehenswert.