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    Das Mädchen, das die Seiten umblättert
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Mädchen, das die Seiten umblättert
    Von Christoph Petersen

    Es wird kaum eine Kritik zu Denis Dercourts Psycho-Thriller „Das Mädchen, das die Seiten umblättert“ in der internationalen Presse zu finden geben, in der der Film nicht entweder mit den Werken von Alfred Hitchcock (Das Fenster zum Hof, Vertigo), von Claude Chabrol (Geheime Staatsaffären, Die Brautjungfer) oder von beiden verglichen wird. Und tatsächlich gibt es dieser stimmigen Einordnung nicht mehr allzu viel hinzuzufügen. Der hintergründige, psychologische Thriller des frühen Chabrol trifft hier auf die inszenatorische Finesse eines typischen Hitchcocks. Das Ergebnis ist folgerichtig grundfranzösisches Spannungskino at it´s best.

    Für die 10-jährige Mélanie (Julie Richalet) bedeutet ihr Klavierspiel alles, durch dieses will sie aus den bescheidenen Verhältnissen ihres Elternhauses ausbrechen und sich eine hellere Zukunft ermöglichen. Doch dann zerbricht ihr Traum von einem Moment auf den anderen. Beim Vorspiel für das Konservatorium wird Mélanie von der sich taktlos benehmenden Ariane Fouchécourts (Catherine Frot), die als bekannte Pianistin den Juryvorsitz übernommen hat, vollkommen aus ihrer Konzentration gebracht. Noch am selben Tag hängt Mélanie das Klavierspiel für immer an den Nagel. Zehn Jahre später begegnen sich die beiden wieder. Ohne dass Ariane wüsste, wer ihr da gegenübersteht, hat Mélanie (Déborah Francois) eine Stelle als Aushilfs-Kindermädchen bei den Fouchécourts angenommen. Ariane ist mittlerweile an dem ständig auf ihr lastenden Erfolgsdruck zerbrochen, Ängste bestimmen ihr leben. Als sie mitbekommt, dass Mélanie hervorragend Noten lesen kann, macht sie diese zu ihrer neuen Umblätterin. Langsam stellen sich erste Erfolgserlebnisse ein, die Ariane aber allesamt ihrer neuen Freundschaft mit Mélanie zuschreibt. So steigert sie sich immer tiefer in eine emotionale Abhängigkeit hinein, dabei wartet Mélanie doch nur auf den richtigen Moment, um sich endlich für die zehn Jahre zurückliegenden Vorkommnisse zu rächen…

    „Das Mädchen, das die Seiten umblättert“ ist in wirklich jeder einzelnen Szene zu hundert Prozent französisch. Eine erlesene, einfach verdammt schön anzusehende Einstellung wechselt sich mit der nächsten ab, die psychologische Präzision ist im Vergleich zu den meisten US-Produktionen, die diese zu Gunsten eines Effekts auch gerne mal hinten überfallen lassen, in jedem Moment gewährleistet. Und auch wenn sich diese Qualitäten zunächst nach auf Anspruch pochendem Kunstkino anhören, ist der Film schlussendlich doch vor allem eines – nämlich ungeheuer spannend! Gerade weil hier kein Tropfen Blut fließt, keine Slashereinlagen für zusätzliche Würze sorgen sollen, sondern Mélanie das Leben ihrer Feindin auf wesentlich subtilere und heimtückischere Art zu zerstören plant, zieht einen der Film schon nach wenigen Szenen so unheimlich tief in seinen Bann. So zynisch und abgrundtief böse wie das Vorgehen der Umblätterin könnte ein einfacher Mord schlicht gar nicht sein.

    Verglichen mit dem letzten gefeierten Kino-Zickenkrieg, nämlich dem von Cate Blanchett und Judi Dench in Richard Eyres Tagebuch eines Skandals, möchte man aufgrund seiner wesentlich subtileren Ader vielleicht doch eher dem „Das Mädchen, das die Seiten ümblättert“-Duo den Darstellerinnen-Sonderpreis für die eindrucksvollste Schlampenschlacht überlassen. Nachwuchsstar Déborah Francois war zwar zuvor erst in einem einzigen Kinofilm zu sehen, aber ihre Darstellung in dem Drama „L´ Enfant“ hat immerhin erheblich mit dazu beigetragen, dass der Film in Cannes zu Recht mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Und auch in ihrem zweiten Leinwand-Auftritt sieht man ihr die mangelnde Erfahrung nie an. Als bildhübsche, aber berechnende Rache-Lolita liefert sie eine auf den Punkt präzise Performance ab, die durch ihre eiskalte Intensität noch lange Zeit nachwirkt. Ihr gegenüber steht mit Catherine Frot, die zuletzt in Boudu und Zwei ungleiche Schwestern in den deutschen Lichtspielhäusern zu sehen war, eine der ganz Großen des französischen Kinos. Brillant wie immer verkörpert sie die von Komplexen und Ängsten getriebene Pianistin, die mit aller Kraft ihre Hoffnungen auf die neue Umblätterin projiziert. Die hervorragende Leistung der beiden ist nur noch höher einzuschätzen, wenn man bedenkt, dass der souveräne Auftritt eines Pascal Greggory (La Vie En Rose, Gabrielle) da kaum noch weiter positiv ins Gewicht fällt.

    Fazit: „Das Mädchen, das die Seiten umblättert“ ist ein extrem spannender Psycho-Thriller, der statt mit krachenden Effekten oder expliziter Gewalt mit erlesenen Einstellungen und grandiosen Darstellern überzeugt.

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