Okay! Da scheint also echt etwas dran zu sein, an der Vorliebe vieler Spanier fürs Übersinnliche. Zwar gibt die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung an, römisch-katholisch zu sein, doch anscheinend sind nicht gerade wenige Spanier zusätzlich empfänglich für den Glauben an Geister, Prophezeiungen und andere übernatürliche und abergläubisch wirkende Phänomene. Jedenfalls ist dies das Bild, welches vor kurzem der Regie-Großmeister Pedro Almodóvar in seinem Geisterdrama Volver von der spanischen Gesellschaft zeichnete. Nun kommt der nächste Film aus Spanien ins Kino, bei dem der Glaube ans Übersinnliche die wesentliche Rahmung bildet. In der andalusischen Milieustudie „7 Jungfrauen“ des Regisseurs Alberto Rodríguez ist es das gleichnamige Spiel, das den Roten Faden durch die Handlung spinnt und mithilfe dessen man seine eigene Zukunft voraussehen kann. Klar also, dass dieses Thema Anklang in Spanien fand und über eine Million Zuschauer ins Kino lockte. Doch ob der Film hierzulande auf ein ähnlich spirituell offenes Publikum treffen wird, darf bezweifelt werden. Zudem kommt „7 Jungfrauen“ mit einigen Schwächen daher, die das grundsätzlich interessante und wichtige Thema der Jugendkriminalität etwas schwach verpackt wirken lässt.
Eigentlich sitzt der 16-jährige Tano (Juan José Ballesta) in der Jugendvollzugsanstalt in irgendeiner andalusischen Stadt und muss eine Jugendstrafe wegen fahrlässiger Tötung abbrummen. Während einer illegalen Spritztour mit einem Auto ist ihm plötzlich ein Passant durch die Frontscheibe geflogen. Doch an diesem Wochenende bekommt er Ausgang auf Zeit, denn sein Bruder Santacana (Vincente Romero) will heiraten. 48 Stunden hat Tano, um das Leben außerhalb der dicken Gefängnismauern auszukosten und die im Kittchen versäumten Monate seiner Jugend wenigstens ein bisschen nachzuholen. Kurzum trifft er sich mit seinem besten Kumpel Richi (Jesús Carroza), der ihm hilft, das nötige Kleingeld für die freie Zeit zu besorgen. Nebenbei ist Richi ganz versessen auf das Spiel „7 Jungfrauen“, bei dem der Spieler zwei Kerzen entzündet, sich vor einen Spiegel stellt und sich in diesem 60 Sekunden lang anstarren muss. Danach werde das Spiegelbild die eigene Zukunft voraussagen, so der Glaube. Ungeachtet dessen, machen Tano und Richi auf ihrem Mofa die Straßen der Stadt unsicher, treffen alte Freundinnen und geben sich in angesagten Clubs die Kante. Obwohl Tano sauber bleiben will – er fürchtet noch mehr Ärger, wodurch seine Entlassung in drei Monaten auf dem Spiel stünde –, kann er sich nicht aus den Drogenexzessen und den Bandenkämpfen raushalten, die zwischen den Jugendlichen und einer anderen Gang aus der Plattenbausiedlung toben. Nach der Hochzeitsfeier seines Bruders wird Richis „7 Jungfrauen“-Prophezeiung plötzlich wahr, was Tano vor eine große Entscheidung stellt...
Denkt man an Milieufilme über sozial benachteiligte Jugendliche, die wenig mit ihrer Zeit anzufangen wissen und außer Drogen und Sex kaum etwas im Sinn haben, drängt sich Larry Clarks legendäres Teenager-Drama „Kids“ förmlich auf. Im dem wird gezeigt, wie fatal der sorglose Umgang von Drogen und Sex in Zeiten von HIV sein kann. Auch „7 Jungfrauen“ will ein realistisches Bild von zeitgenössischen Jugendcliquen entwerfen, legt die Gewichtung aber eher auf den Kriminalitätsaspekt. Tano, Richi und all ihre Bekannten führen ein Leben, als wäre jeder Moment der letzte, als gäbe es kein Morgen, denn der Alltag der spanischen Jugendlichen ist rau, es werden des öfteren Prügeleien und sogar Straßenschlachten ausgetragen. Eben noch stehen sie auf der Straße und flirten mit Mädchen, im nächsten Moment schon werden die Gegner halb zu Tode geprügelt. Der ganz normale Wahnsinn der Jugendlichen um Tano präsentiert sich hier so krass ambivalent, dass es an manchen Stellen des Films sogar zu überzeichnet wirkt, das Tempo der Handlungen einem kaum mehr Zeit zum Luftholen lässt. Zusätzlich wird das wilde Treiben mit pulsierenden HipHop-Beats und Latin-Jazz-Rhythmen untermalt – unter anderem dargeboten von Haze, einem HipHopper aus Sevilla –, was das Publikum noch weiter aufputschen soll. Eine rasante Achterbahnfahrt im Kino, die zwar dem Sujet teilweise gerecht wird, doch der eine noch wichtigere Sache fehlt: die emotionale Beziehung zwischen Protagonisten und Publikum.
Auch nachdem der Großteil des Films vorüber ist, fühlt man sich als Zuschauer höchstens als flüchtiger Beobachter des bunten und lauten Geschehens auf der Leinwand denn als Involvierter. Die Figuren verpassen es, eine emotionale Bindung zwischen sich und dem Publikum aufzubauen. Durch dieses Defizit wirkt der Film wenig packend, löst kaum emphatische Momente aus. Die Ursache ist wohl im Drehbuch zu suchen, das einfach zu wenig Platz für Tanos und Richis familiäre Hintergründe reserviert hat. Fragen, die sich unweigerlich aufdrängen, bleiben ungeklärt. Wo sind Tanos Eltern? Wer ist die Frau, die Santacana heiraten will und der lediglich ein Auftritt als Vielfrass gegönnt wird? Warum lebt Richi mit seiner Mutter allein? Diese und andere Fragen zum Hintergrund der Charaktere bleiben mehrheitlich unbeantwortet, was den Eindruck vermittelt, hauptsächlich Momentaufnahmen, kurze Schnappschüsse aus dem Leben einiger andalusischer Jugendlicher präsentiert zu bekommen. Schade, denn das Thema ist von Bedeutung.
Mit „7 Jungfrauen“ legt Alberto Rodríguez einen Film über den Übermut der Jugend und das Erwachsenwerden andalusischer Teenager in sozial schwierigen Verhältnissen vor, in dem ein abergläubisches Ritualspiel das Framing und den roten Faden bildet, das sich aber nicht so recht in den Film einfügen will und aufgesetzt wirkt. Das Thema des Films ist durchaus relevant und erwähnenswert; von der Umsetzung jedoch hätte man sich an gewissen Stellen mehr Emotionalität und somit mehr Einbeziehung des Zuschauers gewünscht.