Meerjungfrauen strahlen vor innerer und äußerer Schönheit; sie haben einen langen, glitschigen Fischschwanz; und die Fabelwesen müssen mit ihrer Stimme bezahlen, wenn sie an Land wollen, um ihre große Liebe zu finden. Das weiß man aus Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“, eines der wohl herzerweichendsten und traurigsten Märchen seit Erfindung der Unterwasserwesen. „Aquamarin“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Alice Hoffman, hat sich einige Rosinen aus dem Märchen herausgepickt, sie um ein paar Elemente erweitert und die Geschichte in die Gegenwart transportiert. Entstanden ist dabei eine Teenager-Komödie, die vorrangig für Mädchen gedacht ist, die aber den Glanz und Charme der kleinen Meerjungfrau nicht mehr widerspiegelt. Wohl auch deshalb, weil die Meerjungfrau im Film, Aquamarin, nicht ihre Stimme verliert als sie an Land kommt, sondern munter drauf losplappert, was ihr ins Unterwasserhirn kommt.
Es ist Sommer, die Sonne scheint und der Sandstrand ist weiß im Capri Beach Club, Florida: In dieser Szenerie verbringen die beiden pubertierenden Mädchen Claire (Emma Robert) und Hailey (Joanna „JoJo“ Levesque) ihre Ferien. Leider werden es für die beiden besten Schulfreundinnen die letzten gemeinsamen Sommerferien sein, die sie miteinander verleben. Der Grund: Haileys Mutter hat in Australien, auf der anderen Seite der Welt, eine Anstellung als Meeresbiologin angeboten bekommen. Die letzte gemeinschaftliche Unternehmung der Mädchen: Sie wollen ihren Schwarm, den Rettungsschwimmer Raymond (Jack McDorman), dazubringen, eine von ihnen zu küssen. Doch die Pläne der beiden Mädchen ändern sich jäh, als während eines großen Sturms die Meerjungfrau Aquamarin (Sara Paxton) in den Swimmingpool des Capri Beach Clubs gespült wird. Ihre Mission: an Land die wahre Liebe zu finden, um einer von ihrem Vater arrangierten Ehe mit einem komischen Unterwasserwesen zu entgehen. Ihr Auserwählter an Land: Raymond. Weil jeder, der einer Meerjungfrau hilft, sich etwas wünschen darf, entschließen sich Claire und Hailey schweren Herzens von ihrem Objekt der Begierde abzulassen und dem Fabelwesen zu helfen, die Liebe Raymonds zu gewinnen. Wenn da nur Cecilia (Arielle Kebbel) nicht wäre, die eingebildete Schickimicki-Tochter des TV-Meteorologen, die es ebenfalls auf Raymond abgesehen hat. Ein Wettlauf mit der Zeit und um die Liebe beginnt.
Wie schon angedeutet: Die Zielgruppe dieses Films besteht eindeutig aus pubertierenden Mädchen zwischen elf und 14 Jahren. Zudem überstünde es wohl kein anderes Publikum, das permanente Gekreische der beiden Teenies zu ertragen, ohne dabei dauerhaften Schaden zu nehmen. Anfangs noch nett und leicht ironisch daherkommend, nervt das Gequieke und Geschreie nach einer Weile einfach nur noch. Auch ist die grobe Handlung – zwei Freundinnen helfen einer Meerjungfrau die böse Gegenspielerin Cecilia auszubooten, um den blonden, muskulösen Jüngling für sich zu gewinnen – ganz klar auf Mädchen zugeschnitten. Warum die Mädchen so wild dem komplett naiven und beinahe trottelig wirkenden Raymond hinterlaufen, erschließt sich dem Zuschauer nicht. Es muss wohl wahre Teenager-Liebe sein. Gegen diese Geschichte gäbe es prinzipiell wenig einzuwenden, wenn die Rollenbilder und Geschlechterklischees nur nicht so grausam betagt und einfallslos wären.
Beispiel: Um Aquamarin auf die bevorstehende Balztour vorzubereiten, stopfen Claire und Hailey das kleine wasserstoffblonde Köpfchen voll mit Frauenzeitschriften und „guten“ Ratschlägen der Marke „Um das Interesse eines Jungen zu gewinnen, muss du ihn zuerst aufmerksam auf dich machen und danach eiskalt abblitzen lassen“. Zwar begreift das zarte Unterwassergeschöpf die Widersprüchlichkeit vieler Ratschläge (eine kaum spürbare Prise Pädagogik im Film), doch verfährt Aquamarin hinterher, beim ersten Kontakt mit Raymond, genau nach dem abgetragenen Rollenbild und gibt sich frauchenhaft und hilflos. Um für die finale Strandparty richtig gerüstet zu sein, gehen die beiden Mädchen mit Aquamarin natürlich... SHOPPEN! Auch wenn die Meerjungfrau während des Einkaufsbummels etwas vor sich herblubbert, das so klingt wie „Ihr müsst nicht immer teure Markenklamotten kaufen. Sachen aus zweiter Hand und ältere Klamotten sind viel cooler und individueller“, so kommen sie dennoch aufgedonnert und mit mehreren Dutzend Einkaufstüten zurück. Wäre ja auch schlimm für die amerikanische Wirtschaft, wenn ein Teenager-Film den Konsum-Entzug lobpreisen würde.
Den absoluten Gipfel der Frechheit aber erreicht der Film, als Aquamarin nach einem herben Rückschlag in Sachen Raymond ein heißes Wannenbad nimmt und dabei Eis löffelt. Währendessen gibt sie von sich: „Ich brauche keinen Freund. Ich habe jetzt zwei neue Freunde. Die heißen ... & ...“ (Name einer sündhaftteuren Eismarke). Produktplatzierung mal auf die ganz offensichtliche und völlig uncoole Art. Sicher: Auch James Bond fährt in „GoldenEye“ vorrangig mit einer Automarke aus dem Süden Deutschlands herum. Das aber wirkt wenigstens lässig.
Auf der sprachlichen Ebene hat der Film einige nette Ansätze zu bieten. Die Freundinnen und auch die Meerjungfrau bringen außer pubertärem Gequieke auch gelegentlich intelligente Sätze und Gedanken hervor. Dazu zählen so Sprüche wie „Der hat doch nicht mehr alle Perlen in der Auster“. Fantastisch auch: Aquamarin erklärt den beiden Mädchen, dass sie in jeder Muschel das Meer hören können, auf der anderen Seite das Meer aber auch hören kann, was sie sagen. Netter Gedanke. Leider bleibt am Ende des Films dennoch das Bild einer blonden, blauäugigen Aquamarin zurück, die voll und ganz dem Blondinenklischee entspricht: naiv in der Gegend herumstarrend, fast immer ein dümmliches Lächeln auf den Lippen und größtenteils damit beschäftigt, sich herauszuputzen, um dem Angebeteten auch ja zu gefallen. Barbie und Ken lassen grüßen.
„Aquamarin“, ein Film der laut Presseinfo eine Teenager-Komödie sein soll, „in der es darum geht, dass man sich nicht verstellen muss, um von anderen gemocht zu werden“, wird diesem Anspruch überhaupt nicht gerecht. Die falschen Rollenbilder und die Weiterverbreitung von angestaubten Klischees haben den Streifen zurecht in die Imdb-Bottom-100 gebracht, die Liste der 100 schlechtesten Filme der weltweit größten Filmdatenbank.